Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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fortblies. Doch sosehr er sich auch darum bemühte, heute hatte er keinen Erfolg damit. Es war einfach viel zu ruhig.

      Als das wunderschöne Antlitz seiner geliebten Veronika langsam in ihm auftauchte, sah er sich nicht dazu in der Lage, es wieder zu verbannen. Dieses feine und liebliche Gesicht mit den vollen weichen Lippen und den leuchtend dunkelblauen Augen. Alles umrahmt von dichten braunen Locken, in denen immer so ein mahagonifarbenes Licht spielte. Der Gedanke an sie zerriss ihm schier das Herz. Er hatte sie geliebt, so sehr geliebt. Und sie hatte ihn verlassen. Die Erinnerungen stiegen unaufhaltsam in ihm hoch und griffen nach dem Rest seiner verborgenen Seele. Klein und zart war ihre Gestalt. Elfengleich, so sagten die Menschen.

      »Elfengleich«, flüsterte er schwach lächelnd und schüttelte den Kopf. »Ja, ein Mensch hätte sie wohl so beschrieben.«

      Nur war sein Elfenvolk in Wirklichkeit ganz und gar nicht klein und zart. Elfen waren in der Regel groß und stark, zwar meist auch sehr schön und anmutig, aber ganz gewiss nicht klein und zart. Die Mehrzahl von ihnen jedenfalls. Doch Veronika war ja auch keine Elfe gewesen, sondern ein Mensch.

      Vitus wurde zornig, weil ihn seine Gedanken zu ihr getragen hatten, er aber nicht an sie denken wollte. Er durfte es nicht, denn diese Gedanken verbrannten sonst auch noch den Rest seiner Seele. Er straffte die breiten Schultern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Die Arme vor der muskulösen Brust verschränkt wartete er auf Erlösung. Er kniff die Augen zusammen, als könnte er damit seine schwelende Sehnsucht ausblenden.

      Der Schmerz machte ihm schwer zu schaffen, auch wenn er noch so verzweifelt versuchte, sich und seine Gefühle zu kontrollieren. Er schnaufte einmal kräftig durch, schob seine Hände in die Taschen der dunklen Hose, nur um sie sofort wieder herauszuziehen. Vor lauter Unrast vergrub er stattdessen mit scharrenden Bewegungen seine Füße in den Sand. Wie immer trug er keine Schuhe, denn die hasste er. Fast alle Elfen, jedenfalls die männlichen, konnten dem einengenden Schuhwerk nichts abgewinnen.

      … Vitus wirkte ausgesprochen verwegen mit seiner Statur, aber auch mit dem Bartschatten, der sich allmählich zu einem Dreitagebart auswuchs. Das schulterlange rabenschwarze Haar hatte er mit einer dünnen Lederschnur zurückgebunden.

      Sein recht breites, aber durchaus attraktives Gesicht mit der ausgeprägten großen Nase, den meergrünen Augen und dem etwas schmalen, festen und sanft geschwungenen Mund war ansonsten scharf geschnitten. Das straffe, energische Kinn wurde von einem Grübchen in der Mitte geziert. Und wenn er lachte, erschienen auch auf den Wangen Grübchen. Aber er hatte schon seit langer Zeit nicht mehr gelacht. Über seinem schwarzen Hemd glänzte das große goldene Amulett seiner Ahnen im Mondlicht.

      Insgesamt strahlte Vitus eine ungeheure Aura von Macht und Autorität aus. Die besaß er ja auch, denn schließlich war er ein König. Ein Elfenkönig. …

      Seine Gedanken schweiften weiter in die Vergangenheit:

      Schon sehr früh, mit gerade mal neunzehn Jahren, hatte er die Führung des Reiches übernehmen müssen, weil seine Eltern von den Nuurtma, den dunklen Mächten aus alter Zeit, getötet worden waren. Seitdem trug er das Zeichen seines königlichen Standes um den Hals, seit nunmehr knapp neunzehn Jahren.

      Erst wenige Monate vor diesem schrecklichen Ereignis war er der süßen Veronika begegnet und hatte sich in sie verliebt. Nach seinem Sieg über die Nuurtma war es sein einziger und innigster Wunsch gewesen, mit ihr und seiner Welt in Frieden zusammenzuleben. Sie sollte seine Frau werden. Doch das königliche Protokoll verbot die Heirat mit einer »unwürdigen« Menschenfrau.

      Nachdem Veronika direkt nach der Geburt der Zwillinge gestorben war und er sie daraufhin in der Menschenwelt zu Grabe getragen hatte, war er in sein Elfenreich zurückgekehrt und hatte dieses unsägliche Protokoll vernichtet. Er hatte sich wie ein Tyrann eigenmächtig über alle Regeln hinweggesetzt. Nicht, dass er überhaupt jemals wieder an eine Heirat auch nur hatte denken wollen. Aber dieses Protokoll hatte all die furchtbaren Geschehnisse für ihn noch schlimmer und schier unerträglich gemacht.

      Nun hielt er es nicht mehr aus. Die Erinnerungen peinigten ihn zu sehr. Er schoss Blitze in die Nacht hinaus. Mit all seiner Macht rief er den Wind und das Wasser und damit das Tosen der See. Eine heftige Böe fegte über sein Gesicht hinweg und somit seine trüben Gedanken fort.

      »Gut.« Er atmete befreit auf.

      Himmel und Hölle

      »Setz dich, Anna«, befahl Johannes.

      Es war noch früher Nachmittag und sie wunderte sich darüber, dass ihr Vater seine Arbeit in der Schreinerei so zeitig abgebrochen hatte. Anna wusste, dass er das höchst selten und noch dazu sehr ungern tat. Anscheinend war es ihm wichtig, mit seinen Kindern zu sprechen.

      Auch Jens und Lena hatten offenbar früher Feierabend gemacht. Sie saßen bereits auf dem Sofa im Wohnzimmer und warteten mit ungeduldiger Miene darauf, dass Anna sich dazusetzte.

      Johannes dagegen war augenscheinlich viel zu unruhig. Er lief zunächst vor seinen Kindern hin und her. Dann blieb er endlich stehen, nahm im Sessel gegenüber Platz und sah sie ernst an.

      »Okay, hört zu. Also, ihr wisst, dass es Mama nicht gut geht«, begann er, nachdem er einmal tief Luft geholt hatte.

      »Ja«, erwiderte Lena, »deswegen hat sie sich hingelegt. Ich bringe ihr gleich noch eine Tasse Tee und dann …«

      »Lena«, unterbrach Johannes seine Tochter gereizt, »das ist lieb von dir. Aber es geht leider nicht nur um heute, um jetzt. Es geht um mehr.« Er rieb sich das Kinn. »Nun, Mama ist ernsthaft krank. Deshalb muss sie für ein paar Tage ins Krankenhaus.«

      »Was? Krankenhaus!« – »Wieso? Was hat sie?« – »Wann?«

      Alle drei fragten wild durcheinander.

      Aufgrund der Aufregung seiner Kinder sprach Johannes in beruhigendem Ton weiter: »Eigentlich ist es keine große Sache – wirklich. Aber Mama ist in den letzten Tagen so schwach geworden, dass die Ärzte das lieber im Krankenhaus beobachten möchten. Sie hat, hhm, das ist so eine – na ja, so eine Frauengeschichte.«

      Anna und auch ihre Geschwister bemerkten, dass es ihm sichtlich unangenehm war, über die Krankheit der Mutter zu reden, und schwiegen daher. Dennoch, unter Annas Sorge mischte sich Unmut, weil sie wieder nicht erfahren würde, was nun genau mit ihrer Mutter los war.

      »Also, eigentlich wollten wir ja am Freitag auf die Insel fahren. Alles ist gebucht. – Ja, Lena, ich weiß«, warf er ein, als sie den Mund öffnete. »Du fliegst mit Steffi nach Mallorca. Das ist auch in Ordnung, mein Schatz. Mach dir bitte keinen Kopf, hörst du? Und ich möchte, dass auch ihr beiden …«, er nahm zuerst Jens ins Visier, dann Anna, »… wegfahrt. Auf unsere Insel. Wie gesagt, alles ist gebucht: die Fähre, das Haus. Tja, und ohne Reiserücktrittsversicherung. Wäre doch schade. Bitte macht euch eine schöne Woche. Mama möchte das auch. Ihr sollt euch keine Sorgen machen und eure Ferien genießen. Für ein paar Tage komme ich durchaus allein zurecht.«

      Anna hatte ihre Augen ab einem gewissen Abschnitt der Ansprache ihres Vaters weit aufgerissen.

      »Papa, nein! Ich soll … Ich soll mit dem … Alleine?«

      »Pah!«, schaltete sich Jens, offenbar stinksauer, ein. »Was soll ich denn sagen? Wenn Silvi wenigstens Urlaub bekäme und mitkommen könnte. Aber ihr blöder Chef lässt sie ja nicht weg.« Er sah seinen Vater an. »Papa, echt, das ist echt keine gute Idee, mich mit der Transuse in Urlaub zu schicken.«

      Anna wurde furchtbar wütend. Sie setzte gerade zu einer üblen Schimpftirade an, als Johannes aufsprang.

      »Ruhe!«, brüllte er und fuhr sich fahrig mit der Hand durchs Haar. »Sagt mal, spinnt ihr? Merkt ihr denn nicht, dass mir im Moment ganz andere Dinge durch den Kopf gehen?« Er atmete einmal kräftig durch, bevor er weiterhin ungehalten sprach: »Ich möchte, dass ihr ein paar unbeschwerte Tage habt, während Mama im Krankenhaus ist, verflucht noch mal!«

      Nach diesem Wutausbruch nahm er wieder Platz und fuhr mit nun väterlich