Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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konnte sie nicht widerstehen, obwohl sie befürchtete, ihr Glotzen könnte ihm unangenehm werden. Trotzdem musterte sie ihn weiterhin so intensiv und brauchte etwas, um ihrer Verwirrung Herr zu werden. Gerade wollte sie ihn fragen, was er hier auf ihrer Lichtung zu suchen hätte, als er einfach weitersprach:

      »War doch nur eine kleine Frage. Entschuldige, wenn ich dich verschreckt habe. Aber sonst bist du nicht so sprachlos, wenn du hier sitzt. Du redest nämlich sehr viel. Und normalerweise trägst du eine Brille.«

      »Ich rede sehr viel?«, brachte Anna immer noch verwirrt hervor. »Wie kommst du denn darauf?«

      »Nun, ich habe dich hier schon oft beobachtet und deshalb weiß ich, dass du gerne hier sitzt und redest.«

      »Stimmt, ich bin wirklich gerne hier. Aber ich rede doch nicht«, empörte sie sich.

      Sein Lächeln veränderte sich zu einem breiten Grinsen, was Anna an Jens erinnerte und deswegen ziemlich verärgerte. »Du scheinst halt gerne zu träumen oder was du da auch immer tust. Tja, und dabei sprichst du.«

      »Kann nicht sein«, widersprach sie noch einmal. »Und überhaupt, wer bist du eigentlich? Ich hab dich hier noch nie gesehen. Von wegen, beobachten. Das kann gar nicht sein.«

      »Ich heiße Viktor und ich bin oft hier, sehr oft. Man muss sich nicht groß verstecken, um dich zu beobachten. Ich glaube, wenn du hier bist, siehst du ohnehin nichts mehr. Du bist dann irgendwie weggetreten oder so. Du sitzt hier, redest vor dich hin und bist halt trotzdem irgendwo anders. Ich wüsste nur zu gerne, wo?«

      Ja, sie wohl auch, stellte Anna fest, ehe eine vage innere Unruhe sie erfasste und ins Grübeln brachte. Zuerst hatte sie gar nicht richtig begriffen, dass sie nicht mehr allein auf ihrer Lichtung war. Dann hatte sie sich darüber geärgert. Doch jetzt wurde ihr mit einem Male bewusst, dass dieser Viktor ihr total fremd, vielleicht sogar gefährlich war. Weil ihr die Knie weich wurden, setzte sie sich wieder hin. Eigentlich befand sie ihn ja für nett, nicht zu vergleichen mit den anderen, die sie meistens hänselten. Auch war er ja kaum älter als sie. Dieser Gedanke beruhigte sie ein wenig. Aber ein leicht mulmiges Gefühl blieb.

      Viktor schien ihre Stimmungsschwankung zu bemerken. Jedenfalls wich sein Grinsen einem schwachen Lächeln und verflüchtigte sich dann vollends. Stattdessen zog er seine geraden dunklen Brauen hoch. Wahrscheinlich weil sie ihn so blöde anstarrte, nahm Anna an.

      »Nur heute bist du irgendwie anders. Du hast nicht viel gesagt. Und du bist so traurig. Ob das daran liegt, dass du deine Brille nicht aufhast?« Er sah ihr direkt in die Augen. »Ähm, geht’s dir nicht gut?«

      »Was hast du nur andauernd mit meiner Brille?« Anna wartete eine Antwort nicht ab. »Es kommt mir halt sonderbar vor, dass du hier so plötzlich, wie aus dem Nichts auftauchst und mir solche Dinge sagst, so, als würdest du mich kennen. Das ist irgendwie, hhm, eigenartig. Du bist irgendwie …«

      Weiter kam sie nicht, denn Viktor ging leise lachend vor ihr in die Hocke, was Anna zusätzlich verunsicherte, hatte sie doch das Gefühl, er würde den goldenen Sonnenstrahl mit sich nehmen.

      »Hast du etwa Angst vor mir?«, fragte er sie. »Das brauchst du nicht. Tut mir leid, ich sollte natürlich nicht darüber lachen. Aber glaube mir, vor mir brauchst du dich nicht zu fürchten.«

      Erstaunt überlegte Anna, vor wem sie denn hier im Wald sonst Angst haben sollte, wenn nicht vor einem Wildfremden wie ihm.

      Als könnte er ihre Gedanken hören, wurde er ernst. »Du bist manchmal etwas unvorsichtig oder eigentlich immer. Dies ist schließlich ein Wald. Wer weiß, wer sich hier so alles rumtreibt. Das könnte gefährlich sein und ist deshalb eigentlich nichts für kleine Mädchen.«

      Bei der Bezeichnung »Kleine Mädchen« funkelte sie ihn böse an. Doch er lachte schon wieder und nahm ihr damit den Wind aus den Segeln. Obwohl er offenbar über sie lachte und sie damit verärgerte, fand sie dieses Lachen ungeheuer anziehend.

      Von diesen Empfindungen hin- und hergerissen, bemühte sie sich dennoch um eine gelassene Antwort: »Dies ist nun mal meine Lieblingsstelle in meinem Wald und hier gibt’s doch nichts zum Fürchten.« Und da sie ja gerade erst beschlossen hatte, sich nicht vor ihm zu fürchten, fügte sie rasch hinzu: »Und vor dir habe ich schon mal gar keine Angst.«

      »Schon gut, Anna, ich hab’s ja nicht böse gemeint. Ich wollte nur …«

      »Anna?«, hakte sie überrascht nach und wurde misstrauisch. »Woher weißt du meinen Namen? Hab ich den etwa auch vor mich hingeplappert? Was soll ich überhaupt erzählt haben? Sag’s mir.«

      Nun schaute er etwas schuldbewusst drein. »Ich sage nur, was ich gesehen und gehört habe, wenn du hier sitzt, weißt du? Du kommst immer alleine und sprichst halt sehr oft.«

      »He, alleine? Von wegen«, warf sie ein.

      »Ja, entschuldige bitte, dass ich dich heimlich beobachtet habe. Aber es war so spannend, dir zuzuhören. Außerdem denke ich, dass du das gar nicht bemerkst, wenn du deine Gedanken und auch deinen Namen laut aussprichst. Du redest von deinen Wünschen und Träumen. Manchmal handeln sie von Prinzen und Zauberern, Elfen und Feen. Das ist alles sehr verwirrend für mich, weil ich nicht verstehe, warum du das tust und wo du dann bist.«

      »Ich rede nicht!«

      »Tust du doch!«

      Er setzte sich einfach neben sie. Ganz nah, aber ohne sie zu berühren. Anna wollte protestieren. Dann jedoch stockte ihr der Atem, weil es sich beinahe so anfühlte, als würde er sie in sein eigenes Sonnenlicht tauchen. Sie dachte, dass sie sich eigentlich wünschte, von ihm berührt zu werden.

      Da ihre anfängliche Vorsicht und Skepsis allmählich einem regen Interesse gewichen waren, nahm ihre Verunsicherung noch zu. Wie konnte das sein? Der Drang, schnellstens das Weite suchen zu wollen, hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Verwundert stellte Anna fest, dass ihr seine Nähe seltsam vertraut vorkam, obwohl sie ihr hätte fremd sein müssen. Ja, sie fühlte sich sogar wohl. Diese Vertrautheit verleitete sie dazu, sich weiterhin mit ihm unterhalten und überdies von sich erzählen.

      »Okay, ich träume halt gerne, denke über mich nach und darüber, wie es wäre, in einem schönen Märchen zu leben, ohne Sorgen und so. Und dabei endlich einmal etwas, na ja, Besonderes zu sein. Ich weiß, das hört sich blöd an. Aber hier im Wald, genau an dieser Stelle, da fallen mir solche Dinge ein. Sie sind so klar und real.« Beschämt ließ sie den Kopf sinken. »Aber, dass ich sie laut ausspreche, wusste ich nicht. Das ist echt oberpeinlich.«

      »Ist es gar nicht«, erwiderte er ruhig, wobei seine Stimme noch ein bisschen dunkler und sanfter klang.

      Sie nahm nur noch wahr, wie er sie aufmerksam betrachtete und dabei den Blick aus seinen intensiven Augen in ihren versenkte. Diesem Blick standzuhalten bereitete ihr große Schwierigkeiten. Einen endlosen Moment lang starrten sie sich an, vergaßen, währenddessen Luft zu holen, bis Viktor die Stille beendete und weitersprach. Doch seine Augen wandte er nicht von ihr ab.

      »Ich finde, dass du sehr wohl etwas Besonderes bist, Anna. Du sitzt hier ganz allein in deinem Wald und träumst. Andere Mädchen treffen sich mit ihren schwatzenden Freundinnen, gehen aus, shoppen oder machen sonst was. Aber du bist so oft hier. Warum? Das ist auf jeden Fall sehr besonders.«

      Nun konnte sie seinem durchdringenden Blick nicht mehr standhalten und schaute wieder auf das grüne Moos. Aus Verlegenheit nahm sie ein kleines Birkenblatt vom Boden und fing an, es versonnen zu zerreiben. »Das hört sich für mich eher nach einem Freak an und nicht nach jemand Besonderem«, meinte sie leise und dachte unterdessen schmerzvoll an Jens und an den Nachbarsjungen. »Aber danke, ich gehe jetzt besser mal nach Hause, sonst vermissen sie mich vielleicht.«

      »Warum? Bleib doch bitte noch ein bisschen. Du bist doch sonst auch länger hier. Lass uns noch eine Weile zusammen hier sitzen, ja? Du könntest mir mehr von dir erzählen.«

      Insgeheim freute Anna sich riesig, dass er sie zum Bleiben aufforderte. Dennoch wunderte sie sich darüber, sich so schnell umstimmen zu lassen. »Okay, für ein Weilchen hätte ich noch Zeit. Es ist gerade so schön hell und warm hier.