Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
Скачать книгу
keine Frage, aber hier stimmt doch was nicht. Es ist wie ein Traum, der sich allerdings überhaupt nicht wie ein Traum anfühlt. Das geht aber doch gar nicht. Das ist total verrückt!«

      »Anna, bitte.«

      »Nein, ich möchte gehen. Ich möchte sofort nach Hause.« Ihr fröstelte trotz der sonnig warmen Atmosphäre dieses seltsamen Ortes.

      Viktor sah sie forschend an. »Anna, ich bringe dich gerne zurück. Aber wäre es wohl zu viel verlangt, wenn du mir vorher ganz kurz zuhören würdest?«

      Sein Blick war derart flehend, dass sie auf der Stelle seufzend nickte und damit seine Miene deutlich aufhellte. Er schien von innen heraus zu leuchten, jedenfalls sah es in Annas Augen so aus.

      Erneut nahm er die Blume zur Hand, so, als würde sie ihm helfen, die richtigen Worte zu finden. Und wieder schwoll sie in seiner Hand strahlend an.

      Anna platzte fast vor Erwartung. Stocksteif, mit durchgedrücktem Rücken saß sie neben ihm.

      Verlegen blickte er zu Boden, fing dann langsam an zu sprechen: »Du hast natürlich recht. So ganz normal ist das für dich wohl nicht.« Er hob den Kopf und sah sie durchdringend an. »Für mich aber schon. Und du träumst nicht, hörst du, Anna. Du träumst das nicht. Das hier, das ist meine Welt. Hier gehöre ich hin, ich und meine Schwester Viktoria. Dies ist unser Wald, unser Land, unser Leben.«

      Anna riss die Augen auf. »Unser Land? Unser Leben? Was meinst du denn damit?«

      »Also, das ist so.« Er zögerte, als suchte er wieder nach den richtigen Worten. »Anna, kannst du dir vielleicht vorstellen, dass manche deiner Träume gar nicht soo fantastisch sind, sondern wahr?«

      »Hä, was soll wahr sein?« Sie konnte nicht anders. Sie musste einfach dazwischenfragen. »Meinst du etwa so was wie: Es gibt Zauberer und Hexen? Oder Feen und Elfen, Zwerge und Trolle? Vielleicht auch noch Vampire und Werwölfe? Also echt, Viktor. Harry Potter lässt grüßen. Edward und Bella, Gandalf und Frodo und auch Legolas wären begeistert. Aber nicht ich!« Sie war völlig durcheinander. »Ich bin Anna! Ich träume vielleicht von so was, aber ich glaube doch nicht im Ernst, dass es das alles wirklich gibt!«

      »Na ja, ganz so ist es ja auch nicht. Nur etwas«, erwiderte er vorsichtig. Auf seinen Wangen tauchte ein Hauch von Rosa auf. »Meine Zwillingsschwester Viktoria und ich.« Er räusperte sich verlegen. »Wir sind …«

      »Was, Viktor? Was seid ihr?«

      »Wir … Wir sind … Ähm … Tja, wir sind – Halbelfen!« Das letzte Wort stieß er förmlich aus sich heraus. Danach schüttelte er seine Haarpracht, ganz so, als wäre er erleichtert, ja, sogar stolz, es endlich rausgebracht zu haben.

      »Hat er Halbelfen gesagt?«

      »Halbelfen? Halb Elfe, halb was?«, wollte Anna wissen. Sie hörte sich dabei erheblich ruhiger an, als ihr zumute war.

      Wieder einmal schien Viktor ihre Gemütsverfassung zu erkennen. Er legte die Blume beiseite und nahm ihre Hände.

      Eine gewaltige Lawine warmen Sonnenlichts durchflutete Anna. Es floss regelrecht in sie hinein, anders konnte sie es nicht beschreiben. Daran verblüffte sie ganz besonders, dass sie sich auf der Stelle beruhigte.

      »Halb Elfe, halb Mensch, Anna. Das sind wir«, antwortete er nun gelassen.

      »Elfe! Er sagt immer Elfe!«

      »Aber, wie ist das möglich? Wie kann das sein?« Jetzt zweifelte Anna doch an ihrem Verstand.

      Offenbar entlockte ihr ungläubiges Staunen ihm ein kleines Schmunzeln. »Tja, du musst nur einfach akzeptieren, dass es manche Fabelwesen wirklich gibt.« Er wurde ernst. »Ja, ich weiß, das ist nicht so einfach. Aber versuch es doch bitte, wenigstens ein bisschen, ja? Es macht mir meine weiteren Erklärungen leichter, wenn du nicht so zweifelst und mich nicht anschaust, als sei ich irgendein Biest.«

      »Nein, du bist kein Biest«, gab sie hastig zurück. »Tut mir leid, wenn ich mal wieder so bescheuert aus der Wäsche gucke. Ich wollte dich nicht kränken. Ich muss es nur …«

      »… glauben, Anna?«

      »Ja, hhm, glauben. Das ist schwer. Das ist echt nicht leicht. Aber ich versuche es. Bitte erzähl weiter, ich hör dir zu.«

      Anna versuchte, sich ein wenig zu entspannen, auch wenn es ihr unsagbar schwerfiel. Auf keinen Fall aber wollte sie Viktor vergraulen.

      So fuhr er weiter fort: »Unser Vater, Vitus, er ist ein Elfenkönig.« Sein Gesicht nahm einen merkwürdigen Ausdruck an, fast so, als hätte er Angst vor seinem Vater. Doch dann hellte sich seine Miene auch schon wieder auf. »Eigentlich heißt er Viniestra Tusterus, erster Sohn der Tustera. Aber alle nennen ihn nur Vitus. Ich glaube, er mag es nicht, wenn man ihn bei seinem vollen Namen nennt. Genau wie unser Onkel. Der heißt nämlich Capiestra Tusterus, zweiter … Na ja, du weißt schon. Er wird Estra genannt.«

      »Und eure Mutter?«

      »Unsere Mutter hieß Veronika. Sie war ein Mensch. Sie …«

      »War? Sie war ein Mensch?«, unterbrach sie ihn.

      »Ja, sie starb direkt nach unserer Geburt. Vater konnte ihr nicht helfen.«

      »Oh, Viktor, das tut mir furchtbar leid. Das ist schrecklich traurig.«

      Er nickte. »Das ist es, Anna. Unser Vater ist seitdem sehr verbittert. Er hat sie abgöttisch geliebt und ist mit dem Schmerz nicht fertiggeworden. Uns hat er zu Estra, seinem Bruder, und dessen Frau Isinis gebracht. Bei ihnen sind wir aufgewachsen.« Als er ihr unglückliches Gesicht sah, fügte er rasch hinzu: »Sehr glücklich aufgewachsen, Anna. Estra und Isinis lieben uns wie ihre eigenen Kinder. Es war schön bei ihnen, wirklich schön. Aber nun sind wir achtzehn Jahre alt und erwachsen. Wir wollen mehr von der Welt, natürlich besonders von der Menschenwelt, sehen und verstehen.«

      Viktor sprach nicht weiter. Anna glaubte zu spüren, dass ihn die Schilderungen über seine Eltern mehr bedrückten, als er zu erkennen gab. Sie empfand instinktiv, dass sie ihm heute keine weiteren Fragen stellen sollte. Er wollte anscheinend nicht mehr darüber reden, also beließ sie es dabei. Außerdem hatte sie selbst schon mehr gehört, als sie verdauen konnte.

      »Du bist also ein halber Mensch«, stellte sie fest und kicherte. »Das ist doch schon mal was«, rutschte es ihr zudem heraus.

      Erst kicherte auch er leise, doch dann begann Viktor schallend zu lachen und riss Anna förmlich mit. Beide saßen sie da und hielten sich die Bäuche, während sie gar nicht mehr aufhören konnten, zu kichern und zu lachen.

      »Ja«, stieß er erleichtert aus, als er es endlich konnte, »das ist doch schon mal was, nicht wahr, Anna?«

      Der König

      Das Meer war spiegelglatt. Es war vollkommen ruhig. Er aber nicht. Er war nie ruhig. Er war stets rastlos. Die jahrelange Trauer hatte Viniestra Tusterus, genannt Vitus, innerlich verzehrt. Nicht seine Kraft! Er war mächtiger denn je. Seine Seele aber war fast verbraucht. Und der kleine Rest davon hielt sich fest versteinert tief in seinem Innersten verborgen.

      Das stete, beinahe schon liebliche Plätschern und Rauschen der See war ihm heute eindeutig zu wenig. Er brauchte mehr. Ihm fehlte ihr Stürmen, Grollen und Tosen, damit es seine finsteren Gedanken vertrieb und ihm die Sinne reinigte. Das Meer sollte ihm Vergessen schenken. Meist war es so rastlos wie er und auch genauso unberechenbar. In dieser Nacht allerdings nicht. Doch war er einfach zu tief erschöpft, um etwas daran zu ändern.

      »Ich bin schon viel zu lange hier«, überlegte er. »So lang, ich weiß gar nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen ist. Waren es Wochen oder Monate? Ich sollte später darüber nachdenken. Erst muss ich mich jedoch vergewissern, ob alles in Ordnung ist. Ich traue ihnen nicht. Sie sind seit geraumer Zeit irgendwie so eigenartig still und zurückhaltend. Das ist sehr verdächtig. Ich kenne diese Brut, da stimmt etwas nicht. Nun denn, wir werden sehen.«

      Es war