Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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die Nachricht von dem Inselurlaub mit Jens überrumpelt. Jetzt benahm sich auch noch Viktor so eigenartig. Und ihre Mutter … Diese Mischung aus Frust, Sorge und schlechtem Gewissen ließen sie den Tränen bedrohlich nahekommen. Doch da regte sich noch ein anderes Gefühl in ihr: Stolz. Auf keinen Fall wollte Viktor etwas vorheulen.

      »Ich gehe dann mal.«

      »Anna, nein. Bitte.«

      »Lass nur, Viktor. Es ist besser so. Ich muss mich auf diese Situation, nun sagen wir mal, einlassen. Ich glaube, sonst platze ich.«

      Einige Tränen waren wohl doch entkommenen. Eilig wischte Anna sie fort, stand dann auf und ging.

      Ohne ihn anzuschauen. Ohne ein weiteres Wort.

      Auf dem Heimweg wurde Anna das Herz schwer. Sie war betrübt und deprimiert über Viktors befremdliches Benehmen, über den anstehenden Krankenhausaufenthalt der Mutter und über das, was ihr selbst bevorstand: eine grausame Woche, sieben schier endlose Höllentage. Ohne Viktor! Aber dafür mit Jens!

      Doch am meisten davon machte ihr Viktors seltsames Verhalten zu schaffen. Sie quälte sich deswegen mit unzähligen Fragen und Zweifeln und weinte bitterlich, als sie wieder zu Hause war. Als sie allerdings feststellte, dass ihr das überhaupt nicht weiterhalf, hörte sie einfach auf.

      »Schluss damit«, flüsterte sie. »Er wird mir schon noch sagen, warum er so komisch war. Und nächsten Freitag mache ich Urlaub mit Jens. Hurra.«

      ***

      In den nächsten drei Tagen lenkte Anna sich mit den Vorbereitungen sowohl für den Inselurlaub als auch für den Klinikaufenthalt ihrer Mutter ab: Nachthemden, Jogginganzug und Sonstiges für Theresa und Sommerkleidung für sich und sogar Jens waschen, bügeln und einpacken. Vom Taschengeld kaufte sie ein paar neue Sachen, wie zum Beispiel einen Bikini und eine Sonnenbrille. Bei den Einkäufen für den Haushalt zu Hause besorgte sie sich auch gleich noch ein paar Kosmetikartikel und, und, und.

      Zwischendurch flitzte sie immer wieder in den Wald. Und das, obwohl sie noch ein bisschen böse auf Viktor war, da er ihr nach wie vor seine rätselhafte Abneigung gegen die Nordsee nicht erklärt hatte. Sie schaffte es einfach nicht, für eine längere Zeit ohne ihn zu sein. Es graute ihr regelrecht davor, eine Woche lang von ihm getrennt sein zu müssen. So sehr hatte sie sich schon an ihn gewöhnt und brauchte ihn.

      ***

      Am Donnerstagmorgen brachte Johannes seine Frau ins Krankenhaus. Ohne die Kinder, weil Theresa es rigoros abgelehnt hatte, dass die mitkamen.

      Lena war ohnehin bereits am Tag zuvor mit ihrer Freundin nach Mallorca geflogen. Das war ein äußerst tränenreicher Abschied gewesen, auch für Anna.

      Erneut standen ihr Tränen in den Augen, weil Theresa nach dem gemeinsamen Frühstück sowohl Jens als auch ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn drückte und sie beide ermahnte, sich zu benehmen. Außerdem versicherte sie, bald gesund zurück zu sein. Sie versäumte es natürlich auch nicht, Konsequenzen anzudrohen, falls Jens und Anna sich zerfleischen sollten, wobei sie ein bisschen zwinkerte.

      Dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich. Traurig lehnte sich Anna von innen dagegen. Aus irgendeinem Grunde wusste sie, dass ihre Mutter in dieser Sekunde das Gleiche auf der anderen Seite tat und dann, nach einem Stoßseufzer, ihrem Mann zum Auto folgte.

      Trotz oder vielleicht auch eher wegen ihrer tiefen Traurigkeit wollte Anna sich am heutigen Tage unbedingt mehr Zeit für Viktor nehmen. Denn sie würde nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihn fürchterlich vermissen. Deswegen hoffte sie inständig, er könnte sie ein wenig aufmuntern.

      Sie war schon fast zur Tür hinaus, da traf ihr Blick auf den Spiegel im Flur, was meist einen großen Fehler bedeutete, weil sie ständig mit sich und ihrem Aussehen haderte.

      Mit ihren kleinen einen Meter und dreiundfünfzig kam sie eigentlich ganz gut zurecht. Nur fand sie sich trotz ihrer leichten einundfünfzig Kilo ein bisschen zu dick.

      Das war allerdings beileibe nicht der einzige Kritikpunkt, der sie an sich selbst so störte. Sie hielt sich außerdem für ein eher durchschnittliches Mädchen, fand keinen Gefallen an sich. Sie sah sich nun einmal so. Alles an ihr schien nur allzu banal: Die blonden, spaghettiglatten langen Haare. Die hellblauen Augen. Die etwas schiefen Zähne. Na ja, die Brille stach hervor. Aber gerade auf die würde sie liebend gern verzichten.

      Keineswegs hielt sie sich für fraulich und erwachsen, obwohl Lena ihr häufig erklärt hatte, dass sie durchaus so wirken würde und das bei der geringen Größe und einem zarten Alter von nicht einmal siebzehn Jahren: fraulich und erwachsen.

      Nun also stand sie wieder einmal vorm Spiegel und fragte sich verwundert, was Viktor an so einer grauen Maus mit Brille finden könnte.

      Obgleich sie verärgert darüber war, dass sie sich immer wieder selbst aus der Bahn warf und verunsicherte, gab sie ihren Selbstzweifeln achselzuckend nach und zog sich noch einmal komplett um. Dafür durchwühlte sie sogar den Koffer, den sie für den unsäglichen Urlaub bereits fertig gepackt hatte.

      In einem geblümten Sommerkleid ging sie dann endlich zur Wohnungstür, hielt aber erneut inne und rannte wiederum Richtung Spiegel. Eilig öffnete sie ihren Pferdeschwanz, da sie glaubte, dass Viktor es mochte, wenn sie ihr Haar offen trug.

      Amüsiert kicherte sie über sich selbst, weil sie ihm so unbedingt gefallen wollte. Sorgfältig bürstete sie ihr Haar und trug zudem ein kleines bisschen Lipgloss aus dem reichhaltigen Kosmetikrepertoire der großen Schwester auf. Dann wandte sie sich hastig vom Spiegel ab, aus Furcht, sie könnte ein weiteres Mal etwas an sich ändern wollen.

      In der Absicht, Viktor in ihrem Kopf einzuspeichern und sich jedes Detail von ihm zu verinnerlichen, verließ sie das Haus.

      Als sie die Lichtung erreichte, saß er bereits an der Birke und blickte versonnen vor sich hin. Er wirkte tief in sich versunken, schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Doch sie schob ihre Verwunderung beiseite und nutzte die Zeit, um ihn von oben bis unten zu mustern.

      Viktor war ihr ja bereits sehr vertraut, aber als sie ihn in diesem Moment so aufmerksam betrachtete, bemerkte sie, dass sein attraktives Gesicht sie von all seinen vielen anderen schönen Attributen abgelenkt hatte:

      Er war schlank und muskulös, hatte starke Arme, zudem eine ausgeprägte breite Brust. Seine Haut schimmerte gleichzeitig samten und glatt.

      Auch seine Kleidung gefiel ihr, nur hatte sie der bisher halt nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Meist trug er schwarze Jeans mit eng anliegenden T-Shirts oder Hemden in dunklen Farben, wie anthrazit, mitternachtsblau, burgunderrot, moosgrün, fiel ihr nun ein.

      Schuhe hingegen mochte er ganz offensichtlich nicht, registrierte sie wieder einmal und grinste belustigt. Er war stets barfuß erschienen. Dementsprechend sahen seine Füße stets ein wenig schmuddelig und schwielig aus.

      Am Handgelenk trug er einen schmalen Goldreif, in dem hauchfein eine Art Ornament eingraviert war.

      Als Viktor den Kopf hob, veränderte sich sein Blick und ließ sofort ein fröhliches Funkeln erkennen.

      »Was schaust du mich so an, Anna? Willst du mich einscannen?«

      Er grinste süffisant, von Nachdenklichkeit keine Spur mehr. Überrascht musste Anna einsehen, dass er ihre Absichten mühelos durchschaut hatte. Die Frage, warum er als Halbelfe etwas vom Scannen wusste, wollte sie sich für später aufsparen.

      »Ja, da hast du völlig recht. Ich hoffe, ich kann dich komplett speichern und dann in den kommenden Tagen von dir träumen. Und das«, seufzte sie, »das ist nun echt oberpeinlich.«

      Viktor schien das gar nicht oberpeinlich zu finden, so wie er bei Annas Geständnis angefangen hatte zu strahlen. Mit glücklicher Miene stand er auf, legte seine Arme um ihre schmale Taille, sah ihr in die Augen und raunte ihr mit seiner dunklen Samtstimme ganz leise zu: »So etwas Schönes hat noch nie jemand zu mir gesagt.«

      Dann nahm er sie in einer Art und Weise, wie er es noch nie getan hatte, in seine Arme, so, als könnte er sich nicht mehr zurückhalten.