Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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bitte«, lenkte Viktor hastig ein. »Das war mehr als dumm von mir. Natürlich vertraue ich dir. Immer. Aber, ich bin so … Ach, ich weiß auch nicht. Ich kann und ich will nichts ungeschehen machen. Es war viel zu schön, mit Anna zu reden. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass sie mich braucht. Wie gesagt, sie ist so traurig und sie fühlt sich so schlecht.« Viktor überlegte kurz. »Nein, das trifft es nicht. Sie fühlt sich eher klein und nichtig. Das tut mir richtig weh. Ich will das nicht. Ich will ihr lieber zeigen, was sie alles kann und was sie ist.«

      »Was sie ist?«, forschte Viktoria nach. »Was meinst du denn damit? Meinst du, sie ist mehr als nur ein einfacher Mensch? Wie kommst du darauf? Ich habe jedenfalls nichts dergleichen wahrgenommen. Okay, ich habe sie erst heute gesehen, noch dazu nur aus der Ferne, aber sie schien mir ganz normal zu sein.«

      »Richtig, Schwesterlein, du hast sie lediglich aus der Ferne betrachtet und ihr nicht monatelang beim Träumen zugeschaut oder dich mit ihr unterhalten, so wie ich. Aber ich, ich hab es gespürt. Da ist etwas, tief in ihr drin. Etwas Kraftvolles und Gutes. Glaub mir, es ist da. Und ich werde es finden und ihr zeigen.«

      »Ja, das wirst du wohl«, seufzte sie, während sie die Hand nach ihm ausstreckte. »Ich hab uns was Feines gekocht. Lass uns beim Essen weiterreden, ja? Du räumst danach die Küche auf.«

      Sie zog ihn hinter sich her. Doch Viktor sah sich nach einigen Metern noch einmal um, obwohl ihm natürlich klar war, dass es nichts mehr zu sehen gab. Sie hatten Annas Welt bereits verlassen.

      Halbe Sachen

      Zum Glück war es vom Wald nicht weit bis nach Hause. Dort angekommen meldete sich gleich Annas Vater und ließ ihr damit keine Zeit, über die seltsam aufregende Begegnung weiter nachzudenken. Er roch nach Sägemehl und war schlecht gelaunt, wie eigentlich immer in den letzten Wochen.

      »Wo warst du? Was hat du so lange gemacht?«, fragte er mürrisch.

      »Nichts Besonderes«, erwiderte sie spontan.

      »Ja, war klar«, gab Johannes resigniert von sich. Diese Antwort kannte er von ihr zur Genüge, was Anna zwar wusste, aber nicht daran hinderte, sie immer mal wieder zu benutzen. »Deine Mutter hat sich übrigens schon hingelegt. Sie war ziemlich erschöpft und fühlte sich wieder schlecht.«

      »Oh, das tut mir leid. Heute Mittag ging es ihr doch noch einigermaßen gut.«

      »Ja«, meinte er nur matt. »Könntest du mir wohl was zu essen machen? Ich bin hundekaputt.«

      Johannes war äußerst genügsam, was sein Abendessen und überhaupt seinen Feierabend betraf. Er machte sich dann meist selbst einen Toast mit Käse, einen mit Tomaten und eine Scheibe Rosinenstuten mit Honig zurecht, dazu ein Glas Milch und eine Tasse Pfefferminztee. Danach ging er unter die Dusche und krönte den Abend mit einem Feierabendbierchen, einer Plauderei mit Theresa und den Kindern und zuletzt dem Fernsehprogramm, manchmal auch mit guten Freunden. Damit war er meist zufrieden, fast jeden Tag.

      Heute aber machte Annas Vater einen wirklich abgespannten und niedergeschlagenen Eindruck, weshalb sie kurzerhand beschloss, ihn einmal zu verwöhnen. Sie wusste ja um seine Sorgen, auch wenn er sie nicht aussprach.

      »Klar, Papa. Essen wie immer?«

      »Mmh.« Johannes nickte zustimmend.

      Also bereitete sie ihm das Abendbrot zu und brachte auch ihrer Mutter noch eine Tasse Tee ans Bett.

      Später setzte sie sich zu Johannes ins Wohnzimmer und schaute fern. Lieber hätte sie mit ihm über die Mutter gesprochen, doch er war wieder derart einsilbig und zurückgezogen wie schon so oft in den vergangenen Tagen. Da hatte es einfach keinen Sinn. Deshalb starrte sie weiter auf den Fernseher. Es drangen zwar sowohl Worte als auch Bilder in Ton und Farbe zu ihr durch, so richtig jedoch nahm sie die nicht wahr.

      Ihre Gedanken schweiften ganz woanders hin – zu ihm!

      Weil sie an diesem Abend ohnehin nichts Neues von Johannes erfahren würde und sie sich auf den Krimi so gar nicht konzentrieren konnte, streckte und reckte sie sich ein paarmal, stand dann auf und gab ihrem Vater einen kleinen Kuss. »Nacht, Papa. Grüß Jens und Lena, wenn sie kommen.«

      »Mach ich. Nacht, Engelchen. Schlaf schön.«

      »Ja, du auch.«

      ***

      Obwohl sie todmüde war, fand sie in dieser Nacht keinen Schlaf.

      Auch als Lena am späten Abend von ihrer Verabredung heimkam und leise das gemeinsame Zimmer betrat, um sich schlafen zu legen, war Anna immer noch wach.

      Ständig schwirrte ihr dieser mysteriöse Viktor im Kopf herum. Er hatte einen tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen. Trotzdem beschlichen sie Zweifel. Fast war ihr so, als hätte sie sich das alles nur eingebildet. Sein Gesicht tauchte zwar vor ihrem geistigen Auge auf, dennoch fragte sie sich, ob es vielleicht lediglich ihrer regen Fantasie entsprang. Schließlich hatte sie ja schon des Öfteren, gerade auf ihrer Lichtung Feen und Elfen tanzen gesehen.

      Sie seufzte schwer und wälzte sich unentwegt hin und her.

      »Kannst du nicht schlafen?«, fragte Lena im Bett nebenan.

      »Nein, ja, ich … Hhm, ich bin wohl irgendwie ein bisschen aufgedreht.«

      Gerne hätte sie ihrer Schwester von der Begegnung im Wald erzählt. Aber sie wusste, Lena hätte sie nicht verstanden. Wie auch? Sollte sie ihr sagen, manchmal, na ja, eigentlich sehr oft, im Wald laut vor sich hin zu faseln und dabei von einem äußerst attraktiven Jungen überrascht worden zu sein? Wohl kaum!

      Und da sie das wusste, ließ sie es auch besser bleiben. Stattdessen sagte sie, dass sie noch ein Glas Milch trinken wollte, und stand wieder auf.

      In der Wohnung war es still. Alle schliefen. Sie nicht. Die ganze Nacht.

      ***

      Am nächsten frühen Morgen war sie zwar weiterhin todmüde, dennoch voller Tatendrang. Die Sonne strahlte wie am Tag zuvor, weshalb Anna am liebsten sofort in den Wald gelaufen wäre. Doch ihrer Mutter ging es nach wie vor schlecht. Außerdem hatte sie Anna ja gebeten, ihr ein wenig zur Hand zu gehen.

      Da das eindeutig vorging, machte sich Anna zunächst an die Hausarbeit und begann danach, das Mittagessen für alle vorzubereiten. Sie versorgte die Mutter mit Kräutertee und versuchte vergeblich, sie dazu zu bewegen, eine Kleinigkeit zu frühstücken. Annas Besorgnis wuchs, wusste sie doch nicht, was Theresa fehlte. Sie nahm sich deswegen vor, alsbald beim Arzt anzurufen.

      Entgegen diesen Sorgen musste sie ständig an den gestrigen Tag denken. Viktor – oder der Traum? – ging ihr einfach nicht aus dem Kopf.

      »Sollte ich ihn wiedersehen, dann ist er mir so einige Antworten schuldig! Dann muss er mir allerhand erklären!«

      Nach dem Mittagessen räumte sie eilig den Tisch ab. Langsam, aber sicher wurde sie nervös. Deshalb stellte sie das Geschirr auch nicht so ordentlich wie sonst, sondern mit viel Geklapper in die Spülmaschine und machte auch die Küche nur fahrig sauber. Trotz ihrer Ungeduld schaute sie aber noch einmal rasch nach der schlafenden Mutter. Anna legte ihr einen Zettel ans Bett, mit der Nachricht, sie auf dem Handy anzurufen, falls sie gebraucht würde. Dann schlich sie sich aufgeregt hinaus.

      Als sie bemerkte, dass sie rannte, nahm sie sich zurück und ging in gemäßigtem Tempo zu ihrer Lichtung.

      Dort herrschte wieder dies wundervolle grüngoldene Licht. Dieses Mal spielte zusätzlich eine sanfte Brise mit den Blättern. Sie zauberte tanzende Lichterpunkte in das flirrende Farbenspiel von Sonnenschein und Schatten und überzog Annas Lieblingsort mit mystischem Schimmer.

      Wie leicht sie solch ein Sonnentanz im Wald in den Bann ziehen konnte. Als trüge dieser glanzvolle Tanz ihr Herz an ferne, unbekannte Orte. Fasziniert sah sie sich um, vergaß bei dem Anblick fast, warum sie so eilig hergekommen war, und setzte sich gedankenversunken an ihre Birke.

      Und ehe sie sich versah, saß Viktor auch schon neben ihr. Einfach so! Nur einen Wimpernschlag zuvor hatte