Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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ist doch gar nicht möglich! Das ist ja viel zu verrückt, um wahr zu sein. Also träume ich wieder mal!«

      »Schön, dass du gekommen bist, Anna«, holte er sie aus ihren gedanklichen Zweifeln und bedachte sie auch heute wieder mit einem warmen, freundlichen Lächeln.

      Obschon verwirrt, war sie daneben hingerissen von ihm, genau wie am Tag zuvor. Es gelang ihr nur eine zögerliche Antwort: »Ja, mit Brille, hhm, schön.«

      »Mit Brille? Mensch, Anna, blöder geht’s wohl nicht!«

      Viktor sah verdächtig danach aus, als müsste er sich ein Lachen verkneifen. Dann schmunzelte er. Allem Anschein nach amüsierte er sich köstlich über ihre Erwiderung, was sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund maßlos ärgerte.

      »Was?«, fragte sie daher etwas zu laut.

      Er schien unbeeindruckt. »Nichts«, gab er zurück. »Du siehst heute nur wieder so hübsch aus, besonders mit deiner Brille. Die steht dir wirklich gut.«

      »Na, wenn du meinst.« Sie glaubte ihm kein Wort, schon gar nicht das mit der Brille.

      Viktor neigte den Kopf zur Seite und musterte sie. »Du klingst ziemlich gereizt. Habe ich was Falsches gesagt? Bist du wieder traurig?«

      Ja, da gab es so einige Punkte, die ihrer Gereiztheit Schwung gaben, dachte Anna: Die Sorge um Theresa. Der immerwährende und anstrengende Streit mit Jens. Der derzeit missmutige Vater. Die stets sorglos anmutende Schwester. Noch dazu nannte Viktor Anna hübsch. So ein Stuss! Und schlussendlich hatte sie in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan. Aus all diesen Gründen war sie tatsächlich ein wenig gereizt.

      Ohne weiter zu überlegen, sprudelte es einfach aus ihr heraus: »Nein … Ja …« Sie räusperte sich. »Okay, pass auf: Meine Mutter, die ist krank. – Und wer soll hübsch sein, ich? Ach, und was hast du nur andauernd mit meiner Brille? Wieso interessiert dich das überhaupt? Wieso interessierst du dich überhaupt für mich? Ich verstehe das einfach nicht!«

      Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Jetzt war sie einfach nur aufgebracht, so sehr, dass sie wusste, ihre Augen würden funkeln. Diese ganze Situation zu Hause und Viktor, seine geheimnisvolle Art, seine Worte, aber auch ihre unglaubliche Freude über eben genau diese Worte – all das, all dieses Hin und Her machten sie noch verrückt.

      »Hey, nicht.« In Viktors Stimme schwang ein mitfühlender Unterton. Dabei überraschte er sie, indem er mit einer sehr schnellen Bewegung näher an sie heranrückte und ihre Hand nahm.

      Sofort spürte Anna wieder diese eigenartig wohlige innere Sonne: hell, warm, tröstend. Ihre Zweifel daran, er würde sie für hübsch halten und sogar mögen, milderten sich, was sie wiederum verunsicherte. Auch die Frage, wie das alles überhaupt sein könnte, brachte sie aus dem Tritt. Trotzdem wurde sie ruhig.

      Ohne zu bemerken, dass ihr eine Träne die Wange entlanglief, schaute sie ihm in die tiefblauen Augen. Vorsichtig nahm Viktor die Träne mit seiner Fingerspitze auf und hielt sie ins Licht. Sie glitzerte in der Sonne wie ein funkelnder Diamant.

      »Selbst deine Tränen sind besonders«, flüsterte er.

      Nun stockte ihr der Atem. Sie konnte einfach nicht mehr richtig Luft holen. Schnell ließ er ihre Hand los und blickte sie zunächst ernst an, um sie dann übergangslos mit einem Lächeln zu bedenken.

      »Nein!«, rief er munter aus. »Schluss mit Trübsal blasen! Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang? Der würde dir gefallen und dich auf andere Gedanken bringen, könnte ich mir vorstellen. Dieser Wald ist zwar nicht gerade der größte, aber ich glaube, so manches schöne Plätzchen ist dir bestimmt entgangen. Was meinst du?«

      Er hatte es tatsächlich geschafft. Anna fühlte sich erheblich wohler und schmunzelte nun belustigt in sich hinein. Schließlich kannte sie hier so gut wie jeden Baum und Strauch. »Na schön«, erwiderte sie trotzdem ernst und wollte rasch aufstehen, hatte allerdings schon wieder weiche Knie und wieder half Viktor ihr auf.

      Sie gingen den ihr bekannten verschlungenen schmalen Pfad weiter hinauf.

      »Der ist gut! Als wenn der sich hier besser auskennen würde als ich!«

      Für den Bruchteil einer Sekunde trat Viktor einen Schritt vor und murmelte in einer eigenartigen, für Anna unverständlichen Art leise vor sich hin. Nach einer weiteren Biegung kam ihr auf einmal alles so fremd und eigenartig vor, dass sie stutzte.

      »Ist was?«, wollte Viktor in unbeteiligtem Ton wissen.

      »Nein, nichts Besonderes«, entgegnete sie trocken und ärgerte sich gleichzeitig, weil sie wieder einmal ihre Standardantwort gegeben hatte.

      Während sie noch ein Stück liefen, verrenkte sich Anna fast den Hals, als sie sich neugierig umsah. So bemerkte sie zunächst nicht, wie Viktor immer wieder verstohlen zu ihr herüberschielte und sich über ihre augenscheinliche Verwirrung zu amüsieren schien.

      »Ich hab ja gesagt, dass du nicht alles hier im Wald kennst, Anna.«

      Sie antwortete nicht, sondern betrachtete weiterhin die Umgebung. Die Bäume hier wirkten irgendwie anders: größer, höher, dichter, als sie es gewohnt war. Dennoch war alles hell und luftig und dabei so seltsam still. Anna wusste einfach nicht, was sie davon halten sollte.

      Noch bevor sie die Gelegenheit erhielt, eingehend darüber nachzudenken, nahm Viktor sie bei der Hand und zog sie blitzschnell durch ein dichtes Gebüsch.

      Da tat sich eine Lichtung vor ihnen auf, viel größer als ihre, sehr viel größer, dazu einfach nur traumhaft schön.

      Mitten hindurch plätscherte munter ein Bach. Schillernde Schmetterlinge flatterten über bunte Blumen, die auf einer Wiese gemeinsam mit Farnen, Moosen und Flechten wuchsen.

      Anna machte große Augen. Es fiel ihr außerordentlich schwer, alles auf einmal zu erfassen:

      Diese spektakuläre Lichtung mit einer Pflanzenvielfalt, wie sie ihres Erachtens hier eigentlich gar nicht wachsen dürfte.

      Dieses Licht, das – wieder fiel Anna nicht nichts Besseres ein – anders war. Es strahlte. Nicht gleißend, sondern wie im Morgendunst. Es wirkte diffus und transparent, gleichzeitig aber gläsern hell.

      Dann dieser Himmel, der sich in einem Blau über ihnen spannte, das sie so noch nie gesehen hatte.

      All das zusammen – Pflanzen, Farben, Licht und Himmel – gab sich so lebensfroh und freundlich, fügte sich zu einem fremden und doch vertrauten und eben spektakulären Bild.

      Fasziniert ließ Anna Viktors Hand los, ging langsam zu dem Bach, setzte sich am Ufer ins Gras und schaute in das glasklare Wasser, das unter ihr gurgelte und gluckste. Darin entdeckte sie zahlreiche kleine Fische.

      »Das ist eindeutig zu viel für mich«, flüsterte sie matt. »Es kann ja nur ein Traum sein. So etwas gibt’s doch nicht.«

      Viktor war ihr gefolgt, ließ sich neben ihr nieder, pflückte eine kleine Butterblume und spielte gedankenverloren damit. Anna gewann den Eindruck, als würde die gelbe Blüte bei seiner Berührung wachsen und dabei pulsierend leuchten. Verstört starrte sie erst die Blüte, dann ihn an, sodass er die Blume schnell zur Seite legte.

      Sie atmete tief durch. »Okay, hör zu. Ich finde, du könntest mir allmählich ein paar Antworten geben.«

      »Ich dachte halt nur, dir würde es hier gefallen, Anna. Ich dachte, so könnte der Ort aussehen, an dem du bist, wenn du träumst und redest. Deshalb wollte ich dir das hier zeigen«, erklärte er leise. »Außerdem hast du mich doch noch überhaupt nichts gefragt.«

      »Viktor, ich bitte dich!«, empörte sie sich, redlich bemüht, die Fassung zu wahren. »Okay, wie wär’s damit?«, meinte sie. »Wer bist du? Wo kommst du her? Wie machst du das alles? Träume ich?«

      »So viele Fragen, Anna?« Er legte den Kopf schief. »Na ja, du träumst nicht, glaub mir. Du bist hier, und zwar mit mir. Ich bin Viktor, wie du bereits weißt. Außerdem mache ich doch gar nichts. Was meinst du denn damit? Ich zeige dir doch nur den ganzen Wald. – Fast«,