Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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      Annas Mutter wirkte ganz blass und durchsichtig, als sie vom Arzt zurückkam. Bei diesem Anblick wurde Anna das Herz schwer. Es war nicht das erste Mal, dass Theresa so angegriffen und krank aussah. Aber auch diesmal reagierte sie auf Annas besorgte Fragen lediglich mit einem warmen Lächeln.

      »Alles in Ordnung, Engelchen. Mir fehlen nur ein paar Vitamine und etwas frische Luft.«

      Da sie wusste, dass ihre Mutter kein weiteres Wort über ihre Krankheit verlieren würde, beließ Anna es dabei und schlug ihr stattdessen vor:

      »Wie wär’s, wenn du dich erst mal ein bisschen hinlegst, Mama? Du solltest dich ausruhen. Vielleicht magst du ja was lesen und ich mache das Mittagessen warm. Dann ist alles fertig, wenn Papa und Lena kommen.«

      »Lass nur, Anna. Danke, aber mir geht’s ganz gut. Ich möchte lieber was tun und zum Lesen fehlt mir momentan einfach die Muße. Außerdem ist das Essen ja schon vorbereitet und Lena kommt doch donnerstags sowieso nicht. Da ist ihre Mittagspause immer viel zu kurz, um vom Salon herzukommen. Ich würde mich allerdings freuen, wenn du nach dem Essen noch schnell einkaufen gehen könntest. Die Milch ist fast alle und der Toast auch.«

      »Klar, kein Problem.«

      »Das ist nett von dir. Ich könnte auch ab und zu ein wenig Hilfe im Haushalt gebrauchen, beim Waschen und Putzen und so. Falls du vielleicht mal Zeit dazu hättest«, meinte Theresa müde.

      »Mal Zeit?«, wiederholte Anna irritiert. »Ich hab doch immer Zeit.«

      »Na ja, du bist schon sehr oft unterwegs, wenn du mit deinen Hausarbeiten fertig bist. Was machst du dann eigentlich so?«

      »Hhm, eigentlich nichts Besonderes.«

      »Tja, das sagst du immer, wenn man dich fragt. Was ist denn: Eigentlich nichts Besonderes

      »Ach, Mama, das ist völlig unspektakulär. Ich fahre mit dem Rad rum oder gehe spazieren. Das ist alles, wirklich.«

      »Und wohin fährst oder gehst du dann so?«, hakte Theresa nach.

      Anna seufzte schwer. Alles war anders gekommen, als sie geplant hatte. Aus ihrem schönen Gammelvormittag war ein kaffeeloser Streit mit Grinse-Heini Jens und eine Verhörrunde mit ihrer Mutter geworden. Aber es nützte ja nichts, dann würde sie halt erzählen, was sie so in ihrer freien Zeit machte.

      »Ich schau mich nur ein bisschen um oder setze mich irgendwohin, wo ich es schön finde, und dann lese ich was oder mache einfach gar nichts.«

      »Wo ist denn Irgendwo?« Bei dieser Frage schmunzelte Theresa und zog die Brauen hoch.

      »Irgendwo ist zum Beispiel im kleinen Park am Denkmal. Da kann man prima in der Sonne sitzen«, antwortete Anna geduldig, obwohl Theresas Fragerei sie ziemlich nervte. »Und Irgendwo ist auch im Wald nebenan. Den mag ich nämlich sehr.«

      … Annas Gedanken schweiften ab, als sie den Wald erwähnte – ihren Wald. Jetzt im Sommer, bei schönem Wetter fand sie ihn besonders reizvoll. So auffallend hell, fast lichtdurchflutet. Mit den Sonnenstrahlen, die wie Silber- und Goldstreifen durch die Blätter der Laubbäume, Büsche und Sträucher glitten und so die Blätter, Farne und Moose in ein geheimnisvoll anmutendes, hauchzartes und grünschimmerndes Licht tauchten. Diese faszinierende Umgebung lud sie regelmäßig zum Nachdenken und Träumen ein.

      Es gab dort eine winzig kleine Lichtung, rechts ab von einem schmalen, verschlungenen Weg. Hier schien die Sonne fast ungehindert hinein und wärmte den moosbewachsenen Boden. Das war Annas absoluter Lieblingsplatz. Dort, am Rande der Lichtung, ließ sie sich gern nieder, verharrte oft stundenlang in einer bequemen Haltung zwischen Sitzen und Liegen, angelehnt an einer großen Birke und träumte. …

      »Mutter an Anna! Hörst du mich?«

      »Hhm? Was?«

      »Du hast mal wieder geträumt, Engelchen.«

      ***

      Nach dem Einkauf wollte Anna gerade ihr Fahrrad in den Keller bringen, als sie einem Nachbarsjungen begegnete. Sie erinnerte sich an Jens’ Worte und grüßte ihn deshalb freundlich. Doch der griente sie nur frech an, nannte sie eine »blöde Brillenschlangenkuh«, streckte ihr danach die Zunge raus und rannte weg. Das hatte sie nun davon, den Ratschlag ihres doofen Bruders zu befolgen.

      Missmutig stieg sie mit ihren Einkäufen in den Aufzug und wollte den Vorfall am liebsten vergessen. Doch das gelang ihr einfach nicht. Der Groll darüber machte sich unaufhaltsam in ihr breit. So hatte sie sich ihren Ferienbeginn ganz bestimmt nicht vorgestellt.

      Am meisten war Anna sauer auf sich selbst, weil sie sich über einen kleinen dummen Jungen ärgerte. Der ging sie ja überhaupt nichts an. Und von Jens war sie weitaus Schlimmeres gewohnt. Trotzdem schossen ihr heiße Tränen in die Augen, so frustriert war sie.

      Hastig legte sie Milch und Toast in den Kühlschrank. Dann lief sie in ihr Zimmer, in der Hoffnung, sich bei einem Buch zu beruhigen. Aber als sie dort ihrem verheulten Gesicht samt Brille im runden Spiegel begegnete, kroch der ganze Ärger des Tages wie eine Schlange in ihr hoch und strebte zielsicher nach Freiheit. Wutschnaubend riss sie sich die Brille von der Nase, schleuderte sie aufs Bett und stürmte, ohne ein Wort zu sagen, schnurstracks aus dem Haus hinaus in ihren Wald.

      »Phhff! Ich kann auch ohne Brille ganz gut sehen und den Weg kenne ich ja sowieso im Schlaf.«

      Erst blickte sie sich unsicher um, obgleich eigentlich von vornherein klar war, was sie tun würde. Also steuerte sie ihren Lieblingsplatz an, ließ sich dort nieder und verdrückte noch ein paar Tränchen, die den Wuttränen gefolgt waren. Allmählich legte sich der innere Sturm. Die Schlange verkroch sich. Anna konnte wieder frei atmen – wie immer, wenn sie hier war. Die Sonne wärmte sie angenehm wie ein tröstender Arm.

      Schon bald war sämtlicher Kummer vergessen. So saß sie mit geschlossenen Augen da, die Beine angewinkelt, den blonden Kopf an die Birke gelehnt und hing ihren Gedanken nach, die sie unbewusst laut aussprach:

      »Wo ist denn nur der Prinz auf seinem weißen Pferd und befreit mich aus meiner Mittelmäßigkeit? Oder der Zauberer, der mich verwandelt, mich groß und schlank und atemberaubend schön macht? – Oder, oder, oder! So ein Schwachsinn!« Na ja, so ganz hatte sie sich wohl doch noch nicht erholt. Dafür saß der Stachel aus Frust und Zorn einfach zu tief. »Mensch, Anna, hör doch auf mit dem Mist! Du solltest lieber über was Vernünftiges nachdenken!«

      Anna schüttelte den Kopf und seufzte. Sie wollte ihre Lichtung genießen und nicht über irgendwelchen Ärger wegen irgendwelcher dummer Nachbarsjungen, blöder Brüder oder sonst was brüten. Sie machte die Augen wieder zu. »Ja, so ein Prinz wäre jetzt echt nicht schlecht.« Endlich fand Anna zur Ruhe. Die Spannung ließ nach und sie versank watteweich in ihren Träumereien.

      »Wo ist denn deine Brille? Wieso trägst du sie heute nicht?«, fragte plötzlich eine dunkle sanfte Stimme.

      »Hm, was iss los?« Annas Traum zerplatzte. Oder träumte sie immer noch? Überrascht riss sie die Augen auf.

      »Der Zauberprinz!«

      Sie musste wirklich träumen.

      Vor lauter Schreck sprang sie auf. Aber auch neuer Ärger machte sich breit. Bisher hatte sich noch nie jemand zu der Lichtung verirrt. Anna hielt sie sozusagen für ihren Privatbesitz und fühlte sich nun empfindlich in ihrer Ruhe gestört.

      Mit einer Hand schirmte sie das blendende Sonnenlicht ab und versuchte, auch ohne Brille so viel wie möglich zu erkennen.

      Direkt vor ihr stand ein Junge umhüllt von goldenen Sonnenstrahlen. Er wirkte etwas älter als sie selbst und hatte wirres dunkles Haar, das in der Sonne braun, zugleich mahagonifarben schimmerte und sich fröhlich über Stirn und Ohren kringelte.

      Groß und schlank, wie er war, stand er einfach da. Die Hände lässig in die Hüften gestemmt lächelte er Anna freundlich an. Dabei blitzten seine wunderschönen leuchtend dunkelblauen Augen. Außerdem zeigten sich hinreißende Grübchen auf seinen Wangen. Anna fand diesen