Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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handelte. Diese alarmierende Ungewissheit ließ ihn an seinen Kräften zweifeln.

      Bis zum frühen Morgen haderte er mit sich, seinem Groll und Argwohn. Dann zog er die bitteren Gedanken aus den Wolken heraus und klärte seinen Geist, denn er hatte endlich eine Entscheidung getroffen.

      Es war höchste Zeit, das wusste er. Er musste die Gefilde verlassen, um zu handeln.

      Zuerst würde er die dunklen Kräfte von hier fortbringen und in ein anderes sicheres Verlies zwingen. Ihm war zwar nicht klar, weswegen er die Nuurtma umquartieren wollte. Allerdings spürte er intuitiv, dass es ungemein wichtig war, sogar höchster Priorität bedurfte.

      Danach wollte er Estra, Isinis und auch seinen Kindern einen Besuch abstatten. Es gab einiges zu klären.

      Als er im Morgengrauen den Strand verließ, klarte der Himmel auf.

      ***

      Ein dunkles Grollen über dem Haus weckte Anna. Verschlafen fragte sie sich, wie spät es wohl wäre. Ein Blick aufs Handy verriet ihr, dass es eigentlich zu früh zum Aufstehen war, aber nun war sie halt hellwach.

      Sie rieb sich die Augen und dachte enttäuscht, dass Viktor sich wieder nur kurz in ihren Träumen hatte blicken lassen.

      Der Morgen brach zwar gerade erst an und Anna hatte ja das Grollen vernommen, doch als sie die Vorhänge zur Seite nahm, war sie dennoch enttäuscht von der trüben Tristesse da draußen. Es sah aus, als hätte der Himmel nie eine andere Farbe als grau gekannt. Passend dazu wirkte alles verlassen und still. Selbst die Vögel schienen auszuharren, wo sie doch sonst im Morgengrauen so emsig waren. Der Regen zog in gleichmäßig dicken Bindfäden herab, prasselte mit kräftigen Tropfen auf den Weg vorm Haus und schlug dabei große Blasen.

      Mit einem Mal erhellte ein Blitz das Grau zu einem schmutzigen Gelb und es donnerte erneut bedrohlich über Himmel und Haus hinweg.

      »Das gibt heute ja wohl keinen Strandtag!«

      Missmutig ging Anna ins Bad, putzte sich die Zähne, wusch sich kurz und zog sich dann ihren bequemen Jogginganzug an. Danach schlich sie leise in die Küche, um Kaffee aufzubrühen.

      Da die anderen beiden noch schliefen, machte sie es sich mit Keksen, Kaffeebecher und Buch auf dem Sofa im Wohnzimmer unter einer Decke gemütlich und trotzte so dem »Scheißwetter«, wie sie es nannte.

      Das Einheitsgrau da draußen vor dem Fenster erinnerte sie an all die trüben Gedanken, die sie aufgrund ihrer Sehnsucht nach Viktor ständig überfielen. So schmollte und muffelte sie mürrisch vor sich hin, versuchte sich dann aber, aufs Buch zu konzentrieren.

      Deshalb bemerkte sie zunächst nicht, dass es sich allmählich aufhellte und die Vögel ihre Betriebsamkeit endlich aufnahmen. Als sie vom Buch aufschaute und aus dem Fenster sah, entdeckte sie zu ihrer Verblüffung das erste himmelblaue Loch in der grauen Trostlosigkeit, von der sie angenommen hatte, dass sie den ganzen Tag anhalten würde.

      Mit Staunen beobachtete sie, wie die morgendlichen Sonnenstrahlen schüchtern aus den Wolkenbergen hervorlugten und wider Erwarten einen sonnigen Tag versprachen.

      Froh darüber, dass ihre Insel immer wieder solch schöne Überraschungen bereithielt und nun doch Strandwetter versprach, stand Anna erheblich besser gelaunt auf und ging duschen, um danach Brötchen fürs Frühstück zu holen.

      Halbe Elfen machen keine halben Sachen

      Anna und Jens saßen betrübt im Auto. Nicht im Traum hatten sie damit gerechnet, dass diese Woche so schnell hätte vergehen können und dass sie ihnen sogar Spaß bereiten würde. Doch genau so war es gewesen. Dank Viola! Aus diesem Grunde war ihnen der Abschied schwergefallen.

      … »Hey, guckt doch nicht so traurig«, munterte Viola die Geschwister auf. »Das war so eine tolle Woche, die werde ich niemals vergessen. Außerdem hab ich doch eure Handynummern und ihr meine. Also, wir telefonieren, ja?«

      Sie umarmte die beiden, drückte ihnen einen kleinen Kuss auf den Mund, schaute zu, wie sie in den weißen Golf stiegen, winkte noch ein letztes Mal und ging fort.

      Sie wollte die Fähre zu Fuß verlassen, hatte sie gemeint. Ihr Auto würde ja auf dem Parkplatz stehen, weshalb sie sich noch ein bisschen umschauen könnte. Anna hatte ihr zu erklären versucht, dass es auf dem Anleger nicht viel Besonderes zu sehen gäbe. Aber Viola hatte sich nicht davon abbringen lassen. Und Anna hatte nicht weiter nachgefragt. …

      Nun, auf der Rückfahrt, fiel ihr ein, dass sie Viola überhaupt sehr wenig gefragt hatte. Viola hatte auch so gut wie nichts von sich erzählt. Im Nachhinein fand Anna das ziemlich merkwürdig.

      Sie kannte nicht einmal Violas Nachnamen. Wusste nicht, wo sie wohnte. Hatte keine Ahnung, ob sie arbeiten ging oder vielleicht studierte und, und, und. Viola hatte nur mal einen Bruder erwähnt, als Anna sich wieder über Jens aufgeregt hatte. Und dass sie achtzehn wäre, hatte sie auf Jens’ Frage hin geantwortet. Das war ihm wichtig gewesen, weil er natürlich keine minderjährige Ausreißerin hatte beherbergen wollen.

      Beide hatten Viola sofort geglaubt, nicht mal nach ihrem Ausweis gefragt. Sie sah aber auch zumindest wie achtzehn aus. Warum also hätten sie ihr nicht glauben sollen?

      Jetzt allerdings überlegte Anna, warum sie Viola keinerlei Fragen gestellt hatte. Das ärgerte sie, weil sie das daran erinnerte, auch Viktor nur allzu wenig gefragt zu haben.

      »Sag mal, Jens«, erkundigte sie sich. »Weißt du eigentlich, wo Viola wohnt oder sonst was über sie?«

      »Nee, weiß ich nicht. Ich hab mal kurz versucht, sie auszuquetschen.« Er feixte. »Du kennst mich ja. Aber da hat sie schon wieder irgendwas Witziges gesagt und dann hab ich’s wohl vergessen.« Jens runzelte die Stirn. »Mmh, ist schon komisch, ne? Was meinst du, hat sie vielleicht Dreck am Stecken und ist auf der Flucht?« Er musste lachen und Anna auch.

      »Ne, ne!«, rief er aus. »Die kann keinem was tun, niemals. Es sei denn, sie hat einen Polizisten dazu gebracht, sich totzulachen.«

      Er gluckste in sich hinein, anscheinend hocherfreut über seinen großartigen Joke, wurde dann aber wieder still.

      Anna sah zu ihm hinüber, zu dem ihr so verhassten Bruder. Da saß er, mit seinem kurz und sorgfältig geschnittenen hellbraunen Haar, und starrte konzentriert auf die Straße. Er hatte die ruhigen grauen Augen und die Nase mit dem kleinen Höcker an der Wurzel von Johannes geerbt. Am Strand war Anna aufgefallen, dass sich das jahrelange Fußballtraining nicht gerade negativ auf den Körper ihres Bruders ausgewirkt hatte. Mit seinen ein Meter und neunundsiebzig gehörte er zwar zu den kleineren Jungs unter seinen Freunden, dennoch fand Anna seine Figur durchaus beeindruckend.

      »Na ja, wir können sie ja am Handy mal nach all den Dingen fragen«, überlegte sie laut, »und ihr Asyl gewähren, falls das FBI ihr zu dicht auf den Fersen ist.«

      Sie lachten und ließen es dabei bewenden. Jens stellte seine Lieblingsmusik an. Als Anna die Melodie mitsummte, verriet sie ihm damit, dass ihr seine Musik durchaus gefiel, was ihm ein kleines Grinsen entlockte, das sie wiederum, ganz entgegen ihren früheren Gepflogenheiten, überhaupt nicht störte. So fuhren sie ohne Zank und Nickeligkeiten Richtung Heimat.

      Jeder hing seinen Gedanken nach. Anna konnte regelrecht fühlen, wie ihr Bruder über seine Silvi und Theresa nachdachte, sowie auch sie sich nach Viktor und ihrer Mutter sehnte.

      Am Ortseingang ihres Heimatstädtchens sahen sie sich an und Jens begann: »Wir könnten ja noch eben …«

      »… bei Mama vorbeifahren, ja«, setzte Anna fort und kicherte verlegen. »Zwei Blöde, ein Gedanke, ha, ha. Das ist ja erschreckend.«

      ***

      Anna klopfte an die Krankenzimmertür, trat dann gemeinsam mit Jens ein und strahlte.

      »Hi, Mama!«, rief sie aus, lief schnell zum Krankenbett ihrer Mutter und fiel ihr überglücklich in die Arme.

      Jens schlenderte ihr hinterher,