Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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schaute er Viola und Anna an. Er dachte wohl, sein Angebot wäre unwiderstehlich, aber Anna winkte dankend ab.

      Viola hingegen erwiderte lächelnd: »Warum nicht? Gibt es da auch was anderes als Biertje? Das ist nämlich nicht ganz so meins. Und die erste Runde geht auf mich.«

      Sie bedachte die beiden mit dem ganz speziellen warmen Blick, der Anna schon mehrmals aufgefallen war und ihr seltsam vertraut vorkam.

      »Ich mache uns jetzt erst mal eine Kleinigkeit zum Abendessen. Schließlich haben wir die ganzen Sachen ja nicht umsonst eingekauft und hierher geschleppt. Und dann fahren wir noch mal los, ja?«

      Jens war sofort Feuer und Flamme. Das allein bot Anna bereits Grund genug, dagegen zu stimmen.

      »Nö, ich würde eigentlich lieber …« Viola neigte den Kopf zur Seite und blickte Anna freundlich an. »Äh, ach, was soll’s. Warum eigentlich nicht?«

      »Verdammt!«

      ***

      Wider Erwarten befand Anna den Abend dann doch für richtig nett. Sie saßen auf der großen rundum verglasten Terrasse der Strandbar in bequemen Lounge-Sesseln und schauten gebannt aufs Meer.

      Es war ein spektakulärer Anblick, wie die Sonne sich bedächtig senkte, alles in ein rosafarbenes Licht tauchte, dann den Horizont küsste, um damit Himmel und Meer miteinander zu verschmelzen.

      Bei dem fantastischen Bild stockte Anna der Atem. Sie wünschte sich schmerzlich, Viktor könnte bei ihr sein und diesen höchst romantischen Augenblick mit ihr teilen.

      Sie tranken ihr letztes Glas aus. Mineralwasser. Nur Jens hatte sich ein paar Bierchen gegönnt. Dann radelten sie gemütlich zurück, wobei der Leuchtturm sie im steten Rhythmus in seinen hellen Lichtkegel eintauchte und für einen kurzen Moment umschloss.

      Dieses Licht erinnerte Anna an Viktor und seine Sonne, was eine weitere tiefe Sehnsucht nach ihm auslöste. Sie vermisste ihn so sehr und fragte sich, wo er jetzt wohl war.

      Unvermittelt fiel ihr ein, ihn nicht einmal nach seiner Telefonnummer oder dergleichen gefragt zu haben. Nach irgendetwas, wodurch sie ihn hätte erreichen können. Sie hatte sich nicht nach seiner Adresse erkundigt. Wie konnte man so was eigentlich vergessen?, schalt sie sich erbost.

      Schlagartig landete Annas Laune im Keller. Das Sehnen, das schmerzliche Verlangen nach Viktor nagten an ihr. Auch die Träume halfen ihr nicht darüber hinweg. Sie hatte zwar jede Nacht von ihm geträumt, aber stets nur ein wenig, viel zu kurz und schon gar nicht so, wie sie es sich gewünscht hatte. Zudem schien er währenddessen irgendwie weit weg zu sein. Wie ein Hauch, nur zu erahnen.

      Am Haus angekommen sprang sie vom Rad, stellte es unwirsch an die Hauswand, schloss es ab und rannte ohne ein Wort schnurstracks ins Haus, um dort direkt in ihr Zimmer zu verschwinden.

      Sie hatte den beiden nicht einmal eine gute Nacht gewünscht, weil sie nur noch allein sein, sich ihren traurigen Gedanken hingeben und eventuell ein paar Tränchen vergießen wollte.

      Nach einer Weile klopfte es sachte an die Tür. Viola trat ohne abzuwarten ein und kam zu Anna ans Bett.

      »Ich wollte dir nur kurz gute Nacht sagen«, erklärte sie. Danach beugte sie sich zu Anna, nahm sie sanft in den Arm und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange. »Ich bin so froh, dass ihr mich mitgenommen habt. Danke dafür«, fügte sie noch hinzu.

      Lächelnd ging sie wieder hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.

      Die kurze Umarmung hatte Anna gutgetan. Sie war erstaunt darüber, wie schnell sie Viola ins Herz geschlossen hatte.

      Mit diesem Gedanken schlief sie ein.

      ***

      Viktoria stand in ihrem Zimmer, das direkt neben dem von Anna lag. Es war zwar schon weit nach Mitternacht, aber sie fand einfach keinen Schlaf. Stattdessen schaute sie nachdenklich durch den wehenden Organza zum Fenster hinaus auf einen dunklen Wolkenberg, der sich am mondhellen Samtnachthimmel auftürmte und sich unaufhaltsam näher schob.

      »Das Wetter ändert sich«, überlegte sie und versuchte unterdessen weitestgehend emotionslos, den vergangenen Tag Revue passieren zu lassen.

      Erst vor ein paar Minuten hatte sie mit Viktor telefoniert, ihm in knappen Worten davon berichtet. Dabei musste sie sich kurzfassen, möglichst sachlich bleiben, nur eben sagen, dass alles okay war. Es durften ja keine Emotionen mitschwingen. Das fiel ihr ausgesprochen schwer, weil sie ihren Bruder sehr liebte. Außerdem begann sie, auch Anna und Jens zu mögen. Das machte die Sache nicht gerade leichter.

      Die dünne Gardine bewegte sich, obwohl sie das Fenster geschlossen hatte. Und obwohl außer den Wolken noch nichts davon zu sehen war, konnte sie den herannahenden Sturm bereits auf ihrem Gesicht spüren. Er hauchte ihr zart durchs Haar, das sie nur Viktor zuliebe abgeschnitten hatte. Nur für diese Aktion.

      »Das muss Geschwisterliebe sein«, seufzte sie wehmütig, als ihr wieder einfiel, wie die lange dunkle Haarpracht Strähne für Strähne zu Boden gefallen waren.

      Allerdings fand sie die neue Frisur ziemlich hübsch und gar nicht so unpraktisch. Sie stand ihr außerdem ganz gut. Nur die Haarfarbe, die war so gar nicht ihr Fall. Erfreulicherweise könnte sie die ja bald wieder ändern, dachte sie schmunzelnd.

      Sie hatte die grünen Kontaktlinsen herausgenommen und genoss das freie Gefühl in ihren jetzt dunkelblauen Augen.

      Als plötzlich ein Gewitterblitz ihr dunkles Zimmer für einen Wimpernschlag mit flackerndem Licht anfüllte, blinzelte sie. Ansonsten blieb sie still stehen. Ohne das geringste Anzeichen von Schrecken oder Furcht.

      Selbst jetzt, in diesem Zimmer, wo sie allein war und ein dröhnender Donner dem Blitz nachhallte, behielt sie ihr gelassenes Gesicht bei. Nichts sollte etwas von ihrem Schmerz verraten und von den vielen Sorgen, die sich allesamt um Viktor, ihren Vater und um ihre unerfüllte große Liebe drehten. Vielleicht war sie ein wenig müde und blass, doch mehr gab sie auch in diesem Moment der Einsamkeit nicht preis. Sie stand nur reglos da. Barfuß, in einem schlichten dünnen Nachthemd, das sich mit der Gardine im Einklang bei jedem Windhauch bewegte.

      Doch als das Unwetter blitzartig, mit aller Macht gegen das Fenster schlug, ihr Regen, Sturm und Kälte entgegenspie, erschauderte sie und wich zurück.

      Dann schüttelte sie den Kopf. »Schlechtes Wetter an der Nordsee ist nun wirklich nichts Besonderes«, meinte sie und zog die schweren Vorhänge vor. Jetzt sollte sie versuchen, wenigstens ein bisschen zu schlafen.

      ***

      In dieser Nacht fand Vitus wieder einmal keine Ruhe, weshalb er sich zum Strand begab, um dort seinen Grübeleien nachzuhängen.

      Etwas beunruhigte ihn, aber er wusste einfach nicht, was es war. Die ganze Nacht stand er am Meer und dachte nach über die vielen widersprüchlichen Signale, die er empfing und nicht zu deuten wusste. Dabei kamen ihm seine Kinder in den Sinn: Viktor und Viktoria.

      Diese Namen! Bei dem Gedanken daran zuckte es beinahe belustigt um seine Mundwinkel. Veronika hatte die Namen ausgesucht. Ihr hatten sie so sehr gefallen und nur das war wichtig für Vitus gewesen. Viktor oder Viktoria, je nachdem, ob Junge oder Mädchen. Sie hatten ja nicht gewusst, dass sie beide Namen brauchen würden.

      Veronika war nie zum Arzt gegangen, aus Furcht, er könnte bei dem Kind etwas »Nichtmenschliches« entdecken. So stellten sie erst bei der Geburt fest, dass es zwei Kinder waren.

      Aufs Neue spukten die immer gleichen Fragen in ihm herum: Warum nur hatte er das nicht vorher schon gespürt? Warum hatte er nicht darauf bestanden, dass sie zu einem Arzt der Menschen ging? Hätte der Veronika vielleicht retten können? Was wäre, wenn? Immer wieder wanden sich diese Fragen in einer Endlosschleife durch seinen Kopf. Seit nun mehr als achtzehn Jahren!

      Bei der Erinnerung verdunkelte sich sein Blick. Grelle Blitze schossen aus seinen Augen, um Sturm, Regen und Donner zu holen. Das Unwetter sollte seinen Geist reinigen. Doch dieses Mal half es nicht. Die Gedanken an die vergangenen Zeiten und an seine verlorene Liebe quälten ihn weiterhin.

      Außerdem