Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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miteinander freuten sich stets wie kleine Kinder, wenn den Zwillingen wieder etwas Besonderes gelungen war. Vor allem Viktors Gabe, die Sonne zu holen und damit die Seelen anderer zu wärmen, fand großen Anklang. Genau wie Viktorias intensives Gefühlsverständnis und die Art, mit der sie ihr Umfeld gern positiv beeinflusste.

      Estra und Isinis waren ganz offenbar glücklich darüber, sich um den Neffen und die Nichte kümmern zu dürfen.

      Laut den Erzählungen seines Onkels hatte der sich seinerzeit überaus gut mit Vitus verstanden. Lächelnd hatte Estra dabei erwähnt, dass der ältere Bruder früher ein ziemlicher Draufgänger gewesen wäre. So einer von der stürmischen Sorte, der sich gern, ohne groß zu überlegen, in ein Abenteuer stürzte. Er wäre lustig, lebensfroh und liebevoll gewesen, trotz seines ungestümen Temperamentes. Niemals hätte er jemandem schaden wollen.

      Ein anderes Mal hatte Estra ihm etwas mehr erzählt. Viktor hatte die Worte seines Onkels noch im Ohr:

      … »Seine unbesonnene Art führte ihn zu Veronika. Er sah sie und wollte sie, egal was und wer sie war. Das führte damals zum Eklat, denn er war bereits einer anderen Frau versprochen, einer Elfenprinzessin aus dem Süden namens Kana. Doch das kümmerte ihn nicht. Vitus bevorzugte seine geliebte Menschenfrau.

      Kanas Eltern waren darüber sehr erzürnt. Sie besaßen leider nicht so ein gutes und liebevolles Gemüt wie unsere Familie. Aus Rache entsandten sie daraufhin ihre bösen Kräfte, die Nuurtma, Mächte aus uralter Zeit. Unsere Eltern stellten sich ihnen entgegen. Sie wollten unsere Familie und auch Veronika schützen. Doch sie verloren und wurden beide getötet.

      Vitus war schon damals ungeheuer stark. Er bezwang die Nuurtma und unterwarf sie. Nie hatte ich meinen Bruder so außer sich, so wütend und gefährlich gesehen.

      Das war eine sehr schwere Zeit. Die Trauer um unsere Eltern war unendlich groß. Aber das Reich brauchte einen neuen König. Und so kam es, dass Vitus den Thron übernahm, sehr viel früher als gedacht.

      Veronika war damals schon mit euch schwanger. Das Protokoll verbot es Vitus, sie zu heiraten. Dem wollte er sich mit aller Macht widersetzen, doch Veronika bat ihn, es zu lassen. Sie glaubte, sie hätte schon genug Unheil angerichtet. Ja, sie dachte allen Ernstes, sie wäre schuld an dieser ganzen Tragödie.

      Vitus hat lange versucht, sie umzustimmen. Soviel ich weiß, blieb sie allerdings standfest der Meinung, seiner nicht würdig zu sein. Mein Bruder liebte sie viel zu sehr, um ihr einen Wunsch abzuschlagen, und schien deshalb ihre Bitte zu respektieren. Er hätte alles für sie getan.

      Doch dann wurde sie nach und nach schwächer. Vitus und auch wir anderen Elfen konnten ihr nicht helfen. Es war rätselhaft, so, als hätte sie all ihre restliche Kraft nur dafür aufgespart, um euch das Leben zu schenken. Nach eurer Geburt starb sie. Sie ist einfach in Vitus’ Armen eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.

      Vitus war so verzweifelt. Mir schmerzt heute noch das Herz, wenn ich daran denke. Wie also musste sich dein Vater erst nach ihrem Tod fühlen. Ich wusste es nicht, denn er ließ nicht zu, dass ich es wahrnehmen konnte. Aber wir sahen es alle auch so. Er hatte sich verändert. Es brach ihm das Herz.

      Euch wollte er nicht sehen, so gab er euch zu uns. Glaube mir, es war besser so. Aber ich weiß ganz sicher, dass er euch trotz allem sehr liebt. Es ist nur so: Ihr und besonders du, Viktor, ihr seht eurer Mutter unglaublich ähnlich. Ich denke, er kann es einfach nicht ertragen, wenn er Veronikas Antlitz in euren Gesichtern wiederfindet.

      Was euch betrifft, hat er Isinis und mir keine Vorschriften gemacht, nur eine Bedingung: Kein Kontakt zu Menschen, zumindest bis ihr erwachsen seid.« …

      Und das war Viktors Meinung nach der springende Punkt: Vitus’ Unberechenbarkeit und sein gestörtes Verhältnis zu Menschen. Was würde er also tun, wenn er von Anna erführe?

      »Nein«, flüsterte Viktor, »das darf nie geschehen.«

      Aber zurzeit saß er hier in dem Haus, das er gemeinsam mit Viktoria vor ein paar Monaten gekauft hatte.

      … Es war Liebe auf den ersten Blick. Bei Viktoria wie auch bei ihm. Noch dazu lag dieses wunderschöne, helle und luftige Haus direkt am Eingang zur Elfenwelt.

      Viktoria stattete es mit hübschen Möbeln, Deko und allem möglichen Schnickschnack liebevoll und stilsicher aus. Sie hatte dabei durchaus auch seinen Geschmack getroffen.

      Ihm lag allerdings mehr an anderen Dingen und so schleppte er Unmengen an »Menschentechnik« hinein: Flachbildfernseher, Blue-Ray-Player, Computer, Spielekonsolen, Multi-Media und, und, und. Ständig entdeckte er etwas Neues, das ihn interessierte.

      Außerdem stopfte er sein Hirn mit menschlicher Musik aller Art voll, hatte sich dann aber schnell für eine Richtung entschieden.

      Auch bei den zahlreichen Filmen und Fernsehsendungen kristallisierte sich rasch sein Geschmack heraus.

      Dementgegen interessierte sich Viktoria mehr fürs Lesen und für die Malerei. Überall standen Regale mit Büchern und hingen teure Drucke oder ihre eigenen Gemälde, denn sie hatte selbst angefangen zu malen. Schon ihre ersten Versuche waren nicht schlecht, meinte Viktor. …

      Jetzt aber überlegte er unschlüssig, was er tun sollte. Ihm stand nicht der Sinn nach Filmen, Musik oder Computerspielen, doch musste er sich unbedingt ablenken.

      Gedankenverloren nahm er eines der vielen Bücher in die Hand: Der Medicus von Noah Gordon. In dem Entschluss bestärkt, dass Lesen ihm die gewünschte Zerstreuung bringen könnte, wollte er sich gerade auf das große weiße Ledersofa niederlassen, als ihm mit einem Mal etwas viel Besseres in den Sinn kam. Der Titel des Buches – Der Medicus – hatte ihn auf die Idee gebracht.

      Er schnappte sich die Lederjacke vom Garderobenhaken und, ach ja, Schuhe. Widerwillig zog er sich ein paar nagelneue Designer-Turnschuhe an und lief eilig hinaus.

      Vor dem Haus stand sein neuer Wagen, sein ganzer Stolz.

      … Nachdem Viktoria das Auto erblickt hatte, bestand sie augenblicklich auf ein eigenes, ein praktisches, und entschied sich für einen VW Polo. Typisch Frau, meinte Viktor.

      Er lächelte unvermittelt, da ihm die Fahrprüfung vom vorletzten Monat in den Sinn kam. Die war in seinen Augen nämlich sehr amüsant gewesen. Eigentlich wäre er wohl durchgefallen, wenn Viktoria das nicht mit ihrer Gefühlsbeeinflussung zu verhindern gewusst hätte. Das mit den Verkehrsregeln hatte ihn damals sehr verwirrt. Aber Viktoria hatte … Na ja, sie hatte ein wenig geschummelt, sodass der Prüfer letztendlich ihnen beiden mit einem äußerst verklärten Blick zur bestandenen Prüfung gratulierte. …

      Viktor stieg in das schwarze Mercedes Cabrio SLK und brauste davon, drosselte aber rasch das Tempo, weil ihm die unsägliche Geschwindigkeitsbegrenzung wieder einfiel. Es wäre wohl vernünftiger, sich daran zu halten.

      Jetzt am Vormittag würde Annas Vater bestimmt arbeiten, überlegte er, während er den Wagen einparkte. Es war ja eine spontane Idee gewesen, weshalb er sein Vorhaben gar nicht richtig geplant hatte. Trotzdem stieg er aus, ging zielstrebig Richtung Klinik und trat dann in die Eingangshalle.

      Dort fragte er die Frau hinter Glas nach der Zimmernummer und bekam prompt eine knappe, präzise Antwort. Dadurch bestärkt folgte er der Wegbeschreibung und stand bereits ein paar Minuten später vor der gesuchten Tür.

      Bei der Überlegung, wie er am besten weiter vorginge, erinnerte er sich an sein erstes Gespräch mit Anna. Wie sie ihm erzählt hatte, dass ihre Mutter so gerne Bücher las. Seiner Eingebung folgend wappnete er sich und betrat das Krankenzimmer.

      Glücklicherweise befand sich Frau Nell zurzeit allein in dem Dreibettzimmer, was die Durchführung seines Plans erheblich vereinfachte. Theresa wirkte blass, müde und verloren in ihrem Bett. Jetzt konnte Viktor den Begriff »durchsichtig«, den Anna einmal benutzt hatte, sehr gut nachvollziehen.

      Nach einem kurzen Räuspern näherte er sich dem Krankenbett. »Hallo, Frau Nell. Ich bin Dennis. Ähm, ich bin Praktikant hier