Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
Скачать книгу
und er sprach in einem geschäftsmäßigen Ton: »Hast du noch ein halbes Stündchen Zeit, zum Zurückhaltung-Üben? Erzähl mir von deiner Schreckenswoche mit dem fürchterlichen Jens.«

      … Und sie erzählte ihm alles.

      Quizstunde

      »Warte, Anna, du hast da noch ein paar Blätter im Haar.« Viktor zupfte ihr sorgfältig die Spuren von Moos, Birkenblättern und Wald von Haar und Kleidung. Dann musterte er sie lächelnd.

      Amüsiert entdeckte sie den Glanz in seinen Augen und wusste, dass er genau diesen Glanz auch bei ihr sehen konnte. Allerdings hoffte sie inständig, niemand aus der Familie würde eben diesen verräterischen Schimmer bei ihr bemerken.

      Sie standen am Waldrand und küssten sich noch einmal zum Abschied.

      »Hast du morgen ein wenig mehr Zeit für mich?«, erkundigte er sich und sah sie herausfordernd an, wobei seine Hände immer noch fest an ihrer Taille lagen und sie die Arme um seinen Nacken geschlungen hielt.

      Ihr Herz stockte und ihre Wangen glühten bei seinem Anblick – schon wieder!

      »Tja, morgen ist Samstag. Mama kommt erst am Montag aus der Klinik. Papa und Jens werden den ganzen Nachmittag Bundesliga gucken. Die bestellen sich dann immer Pizza. Also brauch ich nicht zu kochen. Ich müsste nur morgens eben ein paar Besorgungen machen für übermorgen und kurz bei Mama vorbei und … Ach, was quassele ich denn da?« Anna grinste. »Aber ja, ich könnte mir schon ein kleines bisschen mehr Zeit für dich nehmen. Wieso?«

      »Na ja, ich würde dir halt gern mein Zuhause zeigen. Ich könnte dir bei dieser Gelegenheit auch meine Schwester vorstellen. Die ist nämlich schon ganz wild darauf, dich kennenzulernen.« Er schaute verlegen. »Außerdem war ich bisher ganz schön unfair zu dir.«

      »Unfair? Wie meinst du das?« Mit hochgezogenen Brauen blickte Anna erwartungsvoll zu ihm auf.

      »Jaa, also, vielleicht hättest du mir ja gerne mal hier und da ein paar Fragen gestellt.« Trotz seines Lächelns räusperte er sich. »Wenn wir nicht gerade, hhm, beschäftigt waren.«

      Während er mit dem Finger einer Hand leicht über ihre Unterlippe strich, glitt seine andere Hand einmal ihre Wirbelsäule hinauf und dann wieder hinunter, was Anna eine Schnappatmung bescherte.

      Dann umfasste er wieder brav ihre Taille und sprach weiter: »Also, weißt du? Ich hab da manchmal ein bisschen geschummelt und dich emphatisch ein ganz klein wenig beeinflusst. Ich wollte keine Fragen beantworten. Die Zeit mit dir war mir einfach zu kostbar, um sie mit einem Quiz-Spiel zu vergeuden. Deswegen habe ich bei dir, nun ja, sozusagen Gehirnwäsche betrieben.«

      »Ich bin gar nicht verrückt! Ha! Das erklärt so einiges!«

      »Tut mir leid«, fügte er noch zerknirscht hinzu. »Bitte, nicht sauer sein.«

      Anna kramte in ihrem Inneren nach so etwas wie Verärgerung. Schließlich hatte sie ja tatsächlich ab und zu an sich gezweifelt, weil sie ihn und sein »Halbelfentum« so fraglos, geradezu bedingungslos, akzeptiert hatte. Doch seine Begründung, die kostbare Zeit mit ihr nicht mit Fragen vergeuden zu wollen, legte sich zärtlich auf jedes ärgerliche Gefühl.

      »Tztztz!« Sie schüttelte langsam den Kopf und machte ein gespielt empörtes Gesicht. »Tja, dann machen wir also morgen eine kleine Quizstunde. Und ich darf dir alle möglichen Fragen stellen?«

      Er lachte erleichtert auf. »Alle Fragen, die dir einfallen. Obwohl das wohl ein taktischer Fehler von mir war, es dir schon heute zu erzählen. Jetzt hast du die ganze Nacht zum Überlegen. Deshalb habe ich eine Bedingung: kein Papier, keine Liste oder so etwas. Nur spontane Fragen aus deinem hübschen Köpfchen, ja?«

      Anna tat so, als würde sie angestrengt überlegen und machte dazu ein möglichst dümmliches Gesicht.

      »Dann wird ja wohl nicht viel draus werden, bei meinem winzigen Verstand, hihi.« Sie sprach normal weiter: »Das wird toll. Ich freu mich drauf. Ich bin um halb zwölf hier, ist das okay?«

      »Perfekt. Nun geh schnell, sonst behalte ich dich nämlich einfach hier. Bis morgen. Ach ja, Tschö.«

      Er strich über ihre Schultern und hauchte ihr noch einen letzten Kuss aufs Haar, drehte sich um und ging anmutig über den verschlungenen Weg zurück in den Wald.

      »Ja, Tschö«, flüsterte sie und schaute ihm gedankenverloren nach.

      ***

      Zu Hause angekommen machte sie die Wohnungstür hinter sich zu, lehnte sich noch einen Moment dagegen und dachte mit versonnenem Lächeln an die vergangenen Ereignisse. Bei dem Gedanken daran lief ihr augenblicklich ein wohliger Schauer über den Rücken, sodass sie genießerisch die Augen schloss.

      »Anna? Alles in Ordnung?«, wurde sie überraschend von Jens aus ihren Träumen geholt.

      »Ja, alles klar«, erwiderte sie hastig. »Ist Papa da?«

      »Nein, er war nur ganz kurz hier. Hat ein paar Toasts verdrückt und ist dann sofort zu Mama ins Krankenhaus gefahren.« Seine Augen verengten sich. »Anna, du siehst so anders aus. Ernsthaft, ist alles okay?«

      Das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Sie wollte an Viktor denken, weshalb sie ihren Bruder ungehalten anfuhr: »Alles in Ordnung, Jens! Lass mich einfach in Ruhe, ja?«

      »Hey, so nicht! Ich sehe dir doch an, dass da was nicht stimmt!« Er räusperte sich und schaute in Richtung seiner Zimmertür. »Also, pass auf, jetzt habe ich sowieso keine Zeit, weil ich mich noch um Silvi kümmern muss. Aber ich will wissen, was da los ist. Morgen reden wir noch mal.«

      »Pphh! Ich habe dir nix zum Sagen!«

      »Tja, ich kann ja auch mit Mama darüber sprechen, was meinst du? Das wird sie brennend interessieren.«

      Annas Augen weiteten sich. »Menno, Jens, du bist ein echt fieses Ar…! So miese Tricks hast auch nur du drauf!« Sie überlegte fieberhaft. »Also gut, hör zu. Du hast jetzt keine Zeit und ich morgen nicht. Lass uns am Sonntag drüber reden, okay? Versprochen. Aber nur unter einer Bedingung: Du sagst keinem was, hörst du, keinem. Nicht Mama, Papa, Lena und auch nicht Silvi.«

      Sie drehte sich um, lief schnurstracks in ihr Zimmer und beachtete Jens nicht mehr, der ihr immer noch mit gerunzelter Stirn hinterherstarrte.

      ***

      Silvi musste schon am frühen Morgen zu ihren Eltern, weil sie im Garten helfen sollte. Also saß Johannes allein mit seinen beiden Kindern am Frühstückstisch und bombardierte sie mit ungewohnt vielen Fragen, wovon sich die meisten einzig auf die Insel bezogen. Weil sowohl Anna als auch Jens klar war, wie sehr Johannes »seine oder unsere Insel«, wie er sie gerne nannte, liebte und wie schwer es ihm gefallen war, diesen Sommer nicht dorthin zu fahren, gaben sie geduldig Antwort. Bei der Erwähnung von Violas Namen murrte er und brummelte ein bisschen herum, sagte aber nichts weiter dazu.

      »Schön, dass ihr Spaß hattet und auch das Wetter mitgespielt hat. Mama hat sich übrigens riesig darüber gefreut, dass ihr noch bei ihr vorbeigefahren seid. War ’ne prima Idee von euch.«

      Seine Augen hatten sich leicht gerötet und glänzten verdächtig, so, als wäre er den Tränen nah. Augenblicklich sprang Anna zu ihm, schlang die Arme von hinten um seine Schultern und drückte ihre Wange an seine. Sie sagte nichts. Sie wusste, das brauchte sie nicht. Johannes erwiderte ihre Geste, indem er seine rechte Hand zärtlich auf ihren Unterarm legte. Nach ein paar Sekunden löste er sich von ihr und sah sie liebevoll an.

      »Danke, Engelchen«, meinte er nur, stand auf und ging ins Wohnzimmer.

      Sie sah ihrem Vater noch kurz nach und drehte sich dann wieder zu Jens.

      Der hatte die Szene mit offenem Mund und verständnislosem Blick beobachtet, weshalb sie die Brauen zusammenzog.

      »Was?«, fuhr sie ihn an.

      »Jetzt sag mir doch mal, was eigentlich mit dir los ist? Du bist so anders als sonst. Früher wärst du