Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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freundlich an. Anna ließ die Scheibe herunter.

      »Hi, ich störe hoffentlich nicht.« Das Mädchen strahlte sie aus grünen Augen an und entblößte dabei perfekte weiße Zähne. »Mir ist euer deutsches Kennzeichen aufgefallen und da dachte ich mir, ich könnte euch mal was fragen.«

      Anna stutzte. Sie hatte bereits weitaus mehr deutsche als niederländische Kennzeichen auf der Fähre entdeckt. Deswegen wunderte sie sich, dass dieses Mädchen ausgerechnet Jens und sie ansprach.

      »Was möchtest du denn wissen?«, erkundigte sie sich dennoch höflich.

      »Tja, ich hab mich spontan entschieden, diese Insel zu besuchen, und wollte fragen, ob ihr mir helfen könntet, einen günstigen Schlafplatz zu finden.«

      Wieder wunderte sich Anna. Das Mädchen sah eher nicht wie eine Schnorrerin aus.

      Sie überlegte kurz, ehe sie antwortete: »An Land brauchst du nur ein kleines Stückchen hochzugehen. Was weiß ich, einen halben Kilometer vielleicht. Da ist dann auf der rechten Seite ein VVV und da kannst du fragen«

      »VVV? Brauch ich dazu nicht ein Intanetz? Gibt es das hier?« Sie klang verzweifelt und kaute auf der Unterlippe.

      »Hä? Intanetz? Was meint die?«

      »Ähm, VVV, das ist doch das Zeichen für, äh, Intanetz-Adressen, oder?«, fragte sie nach, und zwar mit einem ziemlich ratlosen Gesichtsausdruck, klatschte sich dann aber die Hand an die Stirn und rief: »Ach nein, stimmt ja gar nicht! VVV? Ähm, was ist das denn?«

      »Ich werd nicht mehr! Die meinte ›www‹! Ha, ha! Die ist ja ganz schön verpeilt! Und die war mit Sicherheit noch nie in Holland!«

      Offenbar versuchte Jens, ein Lachen zu unterdrücken, was ihm kläglich misslang. Anna fiel es ausgesprochen schwer, nicht auch in Gelächter auszubrechen, und biss sich stattdessen auf die Zunge.

      »Nein, Internet brauchst du dafür nicht«, erwiderte sie trocken. »VVV ist so eine Art Touri-Info-Vermittlungsstelle.«

      »Turi- was?« Der verständnislose Blick der Rothaarigen ließ Anna resigniert aufseufzen.

      Sie schaute zu Jens, der zustimmend nickte, und wandte sich erneut an das Mädchen: »Okay, ich denke, du bist nicht mit dem Auto auf der Fähre, denn du hast dich ja spontan entschieden. Da wirst du jetzt in den Sommerferien wohl kaum einen Autoplatz ergattert haben.«

      »Stimmt genau«, bestätigte sie Annas Vermutung.

      »Also gut, steig ein. Wir fahren dich dorthin und helfen dir schnell.«

      Nun strahlte das Mädchen oder doch eher die junge Frau. »Das ist richtig nett von euch. Ich heiße übrigens Vi… ähm … Viola.« Sie stieg ein und sagte vorerst kein Wort mehr.

      Bei der VVV-Informatie konnte man Viola leider nicht helfen: Sommerferien. Alles ausgebucht.

      Das war für Anna ein weiterer Grund, sich zu wundern, denn selbst in der Hochsaison war normalerweise für eine einzelne Person immer noch ein Plätzchen auf der Insel zu finden. Dementgegen war diesmal alles belegt.

      Anna sah zu Jens. Offenbar dachte er das Gleiche wie sie. Schließlich hatten sie in ihrem Ferienhaus noch ein Zimmer übrig und diese Viola schien ganz nett zu sein. Aber das Beste daran wäre, dass sie dann nicht allein miteinander auskommen müssten.

      »Na gut, wenn du möchtest, kannst du mit uns mitkommen«, bot Jens an. »Wir sind eine Woche hier und haben noch ein Zimmer frei.«

      »Oh nein!«, entsetzte sich Viola. »Das kann ich doch nicht machen. Ich störe doch nicht euer junges Liebesglück. Das mache ich auf gar keinen Fall.«

      Anna verzog angewidert ihr Gesicht, was Jens köstlich zu amüsieren schien.

      »Keine Sorge«, erklärte er lachend, »wir sind Geschwister. Mit unserer Liebe und unserem Glück ist es nicht sonderlich weit her.«

      »Warum fahrt ihr dann zusammen in Urlaub?«, wollte Viola nun wissen.

      »Das«, gab Anna zurück, »ist eine sehr gute Frage und lässt sich nur schwer in kurzen Sätzen beantworten.«

      »Okay, jetzt bin ich interessiert. Ich würde euer Angebot sehr gerne annehmen. Vorausgesetzt, ich kann mich angemessen an den Kosten beteiligen und ihr erzählt mir eure Geschwisterstory.«

      Die nächsten dreizehn Kilometer gestalteten sich ausgesprochen kurzweilig, denn Viola erwies sich als eine spaßige Person. So unterhielten sie sich alle drei angeregt miteinander und lachten dabei fast während der gesamten Fahrt bis zum Haus.

      Für Anna tat sich ein Silberstreif am Horizont auf. Sie hoffte inständig, dass die Woche mit Viola »im Gepäck« vielleicht doch ganz nett werden könnte.

      Ein Besucher

      »Gut, hhm … Ja, ja, okay. … Ja, du auch. Ruf mich bitte bald wieder an, hörst du? Ja. … Ich weiß, Viktoria. Mach’s gut. … Und hey – Danke.«

      Mit einem schweren Seufzer legte Viktor sein Handy beiseite. Er stand allein in dem großen Haus, tief versunken in trüben Gedanken.

      »Zwei Tage sind sie nun schon fort«, überlegte er. »Viktoria ist erstaunlich. Sie hat es tatsächlich geschafft, schon auf der Überfahrt Kontakt zu Anna und Jens aufzunehmen. Sie wohnt sogar bei ihnen. Wirklich erstaunlich. Sie hat eindeutig die besseren emphatischen Fähigkeiten von uns beiden. So schnell wie sie schaffe ich es niemals, die Gefühle anderer zu ergründen und sogar zu beeinflussen, ohne sie dabei zu berühren. Es ist gut, dass sie bei Anna ist.«

      Trotzdem gelang es ihm nicht, sich zu beruhigen, dazu vermisste er Anna viel zu sehr – ihre Wärme, ihre Küsse, ihre Haut. Alles in ihm verzehrte sich nach ihr. Sein Wunsch, sie zu berühren, wurde von Tag zu Tag stärker.

      Er war schon mit einigen Elfenmädchen zusammen gewesen, doch keines hatte ihn so erregt und um den Verstand gebracht wie Anna. In dieser Hinsicht gab er wohl mehr einen Elfen als Menschen ab. Liebe und Lust waren bei den Elfen tief miteinander verwurzelt. Umso schwerer fand er es, keinerlei Kontakt zu Anna aufnehmen zu dürfen.

      Außerdem hielt sich ja sein Vater nicht weit entfernt von ihr auf, jedenfalls für Elfenverhältnisse. Viktor wusste, dass Vitus über Fähigkeiten verfügte, die weit über die seiner Kinder hinausgingen. Vitus konnte die Emotionen anderer nicht nur über große Distanzen erspüren, sondern sie auch rasend schnell ergründen, die Zusammenhänge erfassen, auch wenn sie noch so komplex waren. Zudem besaß er enorme Kraft, nicht nur physisch. Wenn er es wollte, reichte ihm ein kurzer Blick, um einen Widersacher in die Knie zu zwingen oder in die Flucht zu schlagen. Sein bloßer Wille brachte selbst die Sonne dazu, sich zu verdunkeln, und Meer und Wind, sich in einer totbringenden Springflut aufs Land zu stürzen.

      Zwar hatte Vitus so etwas Zerstörerisches niemals getan, doch besaß er durchaus die Macht dazu.

      Estra, Viktors Onkel, hatte ihm davon berichtet, dass Veronikas Tod Vitus Tag für Tag ein Stückchen instabiler machte. Estra befürchtete, dass eines Tages etwas Schlimmes aus Vitus herausbrechen könnte, so unberechenbar wäre er geworden.

      Viktor kannte seinen Vater kaum. Vitus hatte die Zwillinge höchstens ein- bis zweimal im Jahr besucht und selbst dann nur wenig mit ihnen gesprochen.

      Besonders ihn bedachte sein Vater stets mit merkwürdigen, undurchdringlichen Blicken, die ihn jedes Mal ein wenig mehr verunsicherten. Denn Vitus’ Talent, sich selbst vollkommen vor den empathischen und telepathischen Verbindungen der anderen zu verschließen, gab Viktor ständig Rätsel auf. Er meinte, von seinem Vater kritische, fast schon böse Blicke zu ernten, irgendwie voller Hass. Die Erinnerung daran erfüllte Viktor mit Schmerz.

      Trotzdem hatte es den Geschwistern nie an etwas gefehlt. In den Bergen, bei Estra und Isinis, hatten sie immens viel Wärme und Liebe erfahren und zudem gelernt, diese weiterzugeben.

      Es hatte die Zieheltern nie gestört, dass Viktoria und er nur halbe Elfen waren. Sie brachten ihnen bei, was