Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes M. Holdborg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644712
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scheint sich irgendwie verändert zu haben. Du bist wie verwandelt.« Er sah sie ratlos an. »Allmählich machst du mir echt Angst.«

      »So’n Quatsch, Jens, also wirklich!«

      Achselzuckend versuchte sie, seine prüfenden Blicke zu ignorieren, und begann damit, den Tisch abzuräumen. Jens stand auf, um ihr zu helfen.

      »Musst du noch einkaufen?« Anna sah ihn verblüfft an. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Sie nickte.

      »Wir könnten das doch zusammen machen und meinen Golf nehmen. Dann musst du nicht alles ans Fahrrad hängen. Und vorher könnten wir noch eben bei Mama vorbei. Was meinst du?«

      Nur allzu gern nahm Anna das Angebot ihres Bruders an. Sie wunderte sich zwar über Jens’ ungewohnte Freundlichkeit, fand aber seinen Vorschlag viel zu verlockend, um ihn abzulehnen.

      ***

      So kam es, dass sie bereits um Viertel nach elf auf der Lichtung an ihrer Birke saß.

      Sie hatte sich geschminkt, nur ganz dezent. Das Make-Up hatte sie sich am Morgen beim Einkauf besorgt und dabei Jens’ Stirnrunzeln nicht übersehen.

      Bei der Erinnerung daran lächelte sie heiter in sich hinein. Sie hatte in der Drogerie-Abteilung des Supermarktes nicht nur Kosmetik gekauft, sondern auch heimlich zu den Kondomen geschielt. Doch das ginge ihrer Meinung nach eindeutig zu weit. Jedenfalls in Gegenwart von Jens. Der Gedanke, wie ihr Bruder wohl geglotzt hätte, wenn sie ein Päckchen Kondome auf das Einkaufsband gelegt hätte, ließ sie kichern.

      Ein Hauch Rosa legte sich auf ihre Wangen, als sie an Viktors zärtliche Berührungen dachte und wie die sie in Wallung gebracht hatten. Sie war nicht so naiv, ihre Beziehung lediglich als ein kleines unschuldiges Techtelmechtel anzusehen. Deshalb hatte sie sich schon vor dem Inselurlaub die Pille verschreiben lassen. Nur nahm sie die noch nicht lange genug, um sich ihrer Wirkung sicher zu sein, meinte sie.

      Da sie sich ihrer Röte im Gesicht bewusst wurde, strich sie die begehrlichen Gefühle aus ihrem Sinn, lehnte den Kopf an die Birke und träumte vor sich hin.

      Sie fühlte sich wohl in ihrer hellblauen Lieblingsbluse und der dunklen Röhrenjeans, die sie sich auf der Insel geleistet hatte. Die dünne weiße Strickjacke hatte sie sich um die Schultern gelegt und darüber ergoss sich ihr glänzend blondes Haar. Sie senkte die Lider. Ja, sie fühlte sich wohl! Mit diesem erhebenden Gefühl saß sie lächelnd da und wartete.

      Als sie spürte, wie jemand auf die Lichtung trat, schaute sie nicht auf, sondern sprach stattdessen träge: »Wer stört mich da in meinen Träumen? Ich hoffe, es ist kein Wolf, denn ich habe mein Körbchen für die Großmutter vergessen.«

      »Tja«, erwiderte eine Stimme, die ihr zwar vertraut war, aber eindeutig nicht zu Viktor gehörte. »Ohne Körbchen werde ich dich natürlich auch nicht fressen. Wer würde das schon?«

      »Was? Wie? – Viola?«

      Irgendjemand – war das etwa Viola? – gluckste fröhlich, als sie erschrocken aufsprang, hielt aber sofort inne, weil Anna sich heftig den Kopf an der Birke stieß.

      »Au, verflixt! Was ist denn hier bloß los?« Sie rieb sich die schmerzende Stelle und blinzelte verdutzt, da ihre Vermutung sich bestätigte. »Mensch, Viola, bist du das? Was machst du denn hier? Ich warte auf … Ich versteh das nicht!«

      Der Schreck war ihr gehörig in die Glieder gefahren. Außerdem war sie viel zu schnell aufgesprungen und der Kopf tat ihr vom Stoß weh. Sie fühlte regelrecht die Farbe aus sich heraussickern.

      »Oh, Anna, tut mir leid.« Bevor Anna einknickte, hielten sie blitzschnell zwei schlanke Arme fest. »Das war meine Idee. Aber ich sehe jetzt ein, dass Viktor recht hatte. Das war echt keine gute Idee. Oh je, der wird ganz schön böse auf mich sein.«

      Viola biss sich verlegen auf die Unterlippe und schaute Anna mit dunkelblauen Augen unter einem tiefbraunen Fransenpony an. Dann lächelte sie warm.

      Anna kniff die Augen zusammen, als sie wahrnahm, dass Violas Haar nun eine andere Farbe hatte. Und auch die Augenfarbe war eine andere. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah, denn in diesem Moment erkannte sie Viktors Augen und auch sein Lächeln – mitsamt den Grübchen. Langsam ging ihr ein Licht auf, auch wenn sie überhaupt nicht verstand, wohin sie dieses Licht denn nun eigentlich führte.

      »Was meinst du, Anna?«, raunte Viola ihr verschwörerisch ins Ohr und unterbrach damit Annas angestrengte Überlegungen. »Könntest du ein wenig flunkern, was unsere Begegnung hier betrifft? Ich wollte dich doch nicht erschrecken.« Flehend fügte sie hinzu: »Viktor bringt mich um, wenn er erfährt, wie durcheinander ich dich gebracht habe. Bitte, bitte, Anna!«

      »Moment mal!« So richtig konnte Anna immer noch nicht begreifen, was hier gespielt wurde. »Du kennst Viktor? Und wo sind deine grünen Augen und roten Haare? Du hast mich verarscht, Viola!«

      »Also, das ist kein schönes Wort, findest du nicht auch? Außerdem heiße ich Viktoria und habe nur mein Aussehen etwas ›entviktorisiert‹, damit du mir nicht auf die Schliche kommst. Das war alles nur zu deinem Schutz gedacht, Anna, und nicht böse gemeint. Bitte, ich …«

      »Schutz? Schutz!«, fuhr Anna aufgebracht dazwischen, presste sich eine Hand an die Stirn und stemmte die andere in die Hüfte.

      Nach einer kurzen Verschnaufpause sprach sie weiter: »Okay. Ja klar. Du bist also Viktors Schwester, ja? Du bist Viktoria. Und du wolltest mich beschützen. Ähm, wovor denn, wenn ich fragen darf? Vor den Monsterwellen, den Holländern und den Frikandeln? Echt, Viola … Viktoria … Wer auch immer … Das ist doch Stuss!«

      »Hey, jetzt werd doch nicht gleich so sauer. Viktor hat gesagt, dass du heute drei Fragen frei hast.« Viktoria grinste verschmitzt. »Das wäre doch schon mal eine. Komm, ich bring dich zu ihm. Oder hast du es dir jetzt anders überlegt?«

      »Nein, auf gar keinen Fall. Bist du verrückt?«

      Anna atmete noch einmal kräftig durch, warf Viktoria einen gekonnt bitterbösen Blick zu, deutete ihr dann aber, dass sie mitkommen würde.

      Die nickte erleichtert und gab an, dass es nicht weit wäre.

      Sie gingen in die Richtung, in welche Anna damals mit Viktor zu der Elfenlichtung spaziert war. Viktoria murmelte etwas Unverständliches und plötzlich wurde wieder alles fremd und geheimnisvoll. Kurz darauf hörte Anna, wie Viktoria ein weiteres Mal in dieser eigenartigen Sprache flüsterte.

      Anna folgte ihr durch ein paar dichte Büsche hindurch und spürte mit einem Mal anstatt des weichen Waldbodens knirschenden Kies unter ihren Füßen. Dieser Kiesweg führte sie zu einem Haus, das beinahe wie aus dem Nichts vor ihren Augen auftauchte. Gerade eben war sie noch im dichten Wald gewesen und jetzt bot sich ihr dieser Anblick:

      Rechts und links vom Weg blühten in einem liebevoll angelegten Vorgarten farbenfrohe Sommerblumen. Doch Annas Augenmerk wurde wie magisch auf das zweigeschossige rote Backsteinhaus gelenkt. Die zahlreichen, teils sehr großen Sprossenfenster ließen dieses Haus modern erscheinen, während das Reetdach, in das sich etwas Moos gesetzt hatte, ihm etwas Altehrwürdiges verlieh. Anna musste unwillkürlich an ihre Insel und die dortigen Häuser denken, wobei allerdings dieses Gebäude sicherlich nicht so alt und dafür erheblich größer war.

      Als sie an einem wuchtigen Haselnussstrauch vorbeilugte, entdeckte sie zur rechten Seite noch andere, weitaus weniger hübsche Häuser, getrennt durch weitläufige Grundstücke, und eine ruhige Straße, an deren Seiten vereinzelt ein paar Autos parkten. Das Reetdachhaus befand sich demnach in einem normalen Wohngebiet, und zwar am Ende einer Sackgasse.

      Viktoria führte Anna hinein und rief dann mit heller Stimme nach ihrem Bruder.

      Währenddessen schaute Anna sich mit großen Augen um und spähte neugierig durch die geöffneten Türen des Eingangsbereiches in die anliegenden Zimmer. Sie wirkten allesamt geräumig und irgendwie unbeschwert. An den Wänden hingen Bilder in warmen Farben. Unzählige Bücher reihten sich in breiten hohen Regalen. Im Wohnraum luden die beiden riesigen weißen Ledersofas samt zwei passenden Sesseln, auf denen Berge von bunten Kissen verteilt lagen,