In Folge wurde die primäre Zielsetzung dieser Arbeit angeführt, der Entwurf eines theoriebasierten Evaluationsmodells, KDE (Komplexe Dynamische Evaluation), welches zum einen auf den ESG und den Evaluationsstandards basiert, und zum anderen intendiert, den universitären Fremdsprachenunterricht in einer umfassenderen als der bisher durchgeführten Weise zu optimieren, indem auch Lehrende und Studierende in die Konzeption miteingebunden werden.
Um dies zu realisieren, werden im aktuellen Kapitel zentrale Evaluationsansätze angeführt und vor dem Hintergrund des universitären Fremdsprachenunterrichts diskutiert, da diese – bzw. Aspekte davon – in Folge bei der Konzeption der KDE zum Einsatz kommen (siehe Kapitel 6). Davor wird jedoch erörtert, was im vorliegenden Ansatz genau unter Evaluation verstanden wird und wie sich der Terminus von anderen ähnlichen Konzepten unterscheidet. Dies ist unabdingbar, da sonst Missverständnisse nicht auszuschließen sind.
3.1 Der Begriff »Evaluation«
Evaluation ist ein »außerordentlich vielfältiger Begriff« (Wottawa/Thierau 1998:13), ein schillerndes »Allerweltswort« (Kromrey 2005:33), dem »unterschiedliche Verständnisse« (Götz 1999:9) zugrunde liegen. Bereits Suchman (vgl. 1967:27) stellte vor 50 Jahren fest, dass dieser Terminus – abgesehen von seiner verbreiteten Beliebtheit – mangelhaft definiert und oftmals unpassend verwendet wird, geradezu »inflationär«, wie u.a. Spiel/Gössler (2001:9) und Stockmann (2010:9) dies bezeichnen. Das hat sich seither kaum verändert und es ist in der Tat schwer, in wenigen Worten exakt zu definieren, was Evaluation ist bzw. nicht ist, vor allem auch deshalb, weil je nach Kontext, in welchem der Terminus verwendet werden kann, Unterschiedliches damit verbunden scheint. Daher ist man »gut beraten, genau zu prüfen, ob dort, wo Evaluation draufsteht auch Evaluation drin ist« (Stockmann 2010:9), denn dieser Begriff gehört, wie es Liessmann (vgl. 2005:17) ausdrückt, zu jenen »Zauberwörtern«, die nie das bezeichnen, was die Wortbedeutung nahelegt, und das verbergen, was durch sie tatsächlich indiziert wird.
Während Guba/Lincoln (vgl. 1989:21) überhaupt die Ansicht vertreten, dass es keinen »richtigen« Weg gibt, Evaluation zu definieren, und sie meinen, dass die Frage »Was ist denn nun Evaluation wirklich?1« nicht nur nicht beantwortet werden kann, sondern es auch keinen Sinn macht, diese Frage überhaupt zu stellen, versucht Kromrey (vgl. 2005:33–36) sich diesem Begriff von zwei Richtungen aus anzunähern: Zum einen unterscheidet er die Verwendung von Evaluation hinsichtlich der unterschiedlichen Referenzebenen und zum anderen hinsichtlich der verschiedenen Kontexte, in welchen der Terminus Verwendung findet. Diese Unterscheidung ist plausibel und notwendig, denn selbst wenn man die Frage, was Evaluation letztendlich ist, nicht im Allgemeinen, sondern nur in der jeweiligen Situation und dem gegebenen Kontext beantworten kann, benötigt man einen Signifikanten, um über dieses Phänomen sprechen zu können, denn sonst befindet man sich schnell in jenem Dilemma, auf welches bereits Suchman (1967:27) hinwies:
»For the most part, its meaning is taken for granted and very few attempts have been made, even by those most concerned, to formulate any conceptually rigorous definition or to analyze the main principles of its use. The result is wide disagreement, with many other terms such as ’assessment’, ’appraisal’ and ’judgment’ often being used interchangeably with evaluation«.
3.1.1 Drei Referenzebenen von Evaluation
Die erste Gruppe von Referenzobjekten befindet sich, Kromreys Einteilung nach, auf der symbolischen und gedanklichen Ebene, wo Evaluation zum einen synonym mit Bewerten bzw. Bewertung verwendet wird und zum anderen für ein spezifisches […] Denkmodell eines nachprüfbaren Verfahrens des Bewertens steht (vgl. Kromrey 2005:33).
Diese Verwendung kann man aller Voraussicht nach etymologisch erklären, denn der deutsche Terminus Evaluation lässt sich auf lateinische1 Wurzeln zurückführen. Evaluation kann, wie u.a. bereits Stockmann (vgl. 2004:2) und Balzer (vgl. 2005:9f) feststellen, vom lateinischen Nomen »valor« (Wert) und der Vorsilbe »e/ex« (aus, heraus) hergeleitet werden, was man in weiterer Folge mit »einen Wert aus etwas ziehen« übersetzen kann, oder vom lateinischen Verb »valere« (wert sein). Ähnlich führen Gollwitzer/Jäger (vgl. 2009:XI) Evaluation auf das lateinische Verb »valuere« zurück, was auch dem deutschen Verb »wert sein« entspricht.
In diesem Kontext wird folglich z.B. der Wert bzw. die Qualität oder Güte von etwas vor dem Hintergrund bestimmter Vergleichswerte (Standards) beurteilt. Das beurteilte Etwas kann dabei ein Produkt, ein Prozess, ein Projekt, Programm etc. sein. Voraussetzung für die Beurteilung ist zum einen das Vorhandensein bestimmter Kriterien, die zur Bewertung herangezogen werden und zum anderen das Einholen von Informationen hinsichtlich des zu bewertenden Gegenstandes. Die gewonnene Information wird mit den vorhandenen Kriterien verglichen, was in weiterer Folge zu einer Bewertung bzw. Beurteilung führt. Der Terminus Evaluation stellt folglich ein Fremdwort im Deutschen dar, wenngleich das, was damit gemeint ist, alltäglich ist und überall stattfindet (vgl. Nuissl 2013:9).
Die zweite Begriffsebene bezieht Kromrey (vgl. 2005:33) auf ein spezifisches Handeln, auf die Durchführung eines Evaluationsprojektes, auf zielorientiertes Informationsmanagement. Evaluationsprojekte können auf unterschiedlichste Art durchgeführt werden und verschiedenste Intentionen verfolgen (siehe unten). So können z.B. die Lehrenden, die Studierenden, die Universität, einzelne Studienrichtungen oder Lehrveranstaltungen evaluiert werden. Dabei kann man das Augenmerk auf bestimmte Prozesse, Ergebnisse, Materialien u.Ä. richten.
Als dritte Begriffsebene versteht Kromrey (vgl. 2005:34) das Ergebnis des oben angeführten spezifischen Handelns, also das Resultat eines Evaluationsprozesses, etwas Punktuelles, welches z.B. in einem Evaluationsbericht oder Evaluationsgutachten dargestellt werden kann und für das Nachvollziehen des Evaluationsvorgangs besonders wichtig ist.
Resümierend kann Evaluation demnach für ein spezifisches Handeln stehen, welches sowohl die Gewinnung als auch die Bewertung von Informationen zum Ziel hat. Zudem kann sie auch das Ergebnis dieses Prozesses bezeichnen (vgl. Stockmann 2006:65). Diese Vielschichtigkeit führt mitunter zu Missverständnissen, wenn nicht genau expliziert wird, worauf man sich in einem bestimmten Kontext bezieht. Um dies zu vermeiden, werden in Folge verschiedene Kontexte von Evaluation diskutiert und festgestellt, was im vorliegenden Buch explizit darunter verstanden wird. Im Anschluss daran wird der Begriff von anderen, ähnlich wirkenden Konzepten abgegrenzt, um Unklarheiten zu vermeiden.
3.1.2 Unterschiedliche Kontexte von Evaluation
Im Hinblick auf die unterschiedlichen Kontexte, in welchen Evaluation verwendet werden kann, führt Kromrey (vgl. 2005:34) (1) den alltäglichen Sprachgebrauch, (2) die politische Argumentation, (3) die empirische Methodologie und (4) ihre Verwendung im Zusammenhang mit »gewöhnlicher« Umfrageforschung an. Das alleinige Vorhandensein dieser unterschiedlichen Kontexte wäre, wie er ausführt, grundsätzlich nicht problematisch, wenn sich nicht – je nach Zusammenhang – mitunter völlig unterschiedliche Konzepte hinter dem Terminus verbergen würden.
Er expliziert (vgl. Kromrey 2005:34f), dass Evaluation im alltäglichen Sprachgebrauch »ausgesprochen unspezifisch« ist und im Wesentlichen nicht mehr ausdrückt, als dass irgendetwas von irgendjemandem nach irgendwelchen Kriterien in irgendeiner Weise bewertet wird. Das führt zur Problematik, dass derselbe Sachverhalt von unterschiedlichen Individuen sehr unterschiedlich bis gegensätzlich eingeschätzt und beurteilt werden kann, wie er fortführt. Im Kontrast hierzu wird der Begriff in politischen Argumentationen Kromreys Ansicht nach wesentlich spezifischer, wenngleich auch vielfältiger verwendet, und erstreckt sich z.B. von Effizienzmessungen in ökonomischen Zusammenhängen über von Sachverständigen durchgeführten Analysen der Funktionsfähigkeit von Organisationen bis hin zur beratenden Funktion