Stille Nacht. Dana Müller-Braun. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dana Müller-Braun
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955424350
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dass meine Mama mich nicht mehr lieb hat. Drei lange Jahre. Also erzähl mir nicht, was einfach ist.«

      Schweigen.

      »Sag mir bitte einfach nur, wovor du mich warnen willst, und dann lass Papa und mich in Ruhe Weihnachten feiern und genieß dein Leben in der Wüste.«

      Eigentlich würde ich gerne auflegen und nie wieder dieses versiffte Handy anfassen. Es ist zu viel Zeit vergangen, um verzeihen zu können. Viel zu viel.

      »Ich habe hier ein paar alte Freunde. Die haben etwas aufgeschnappt. Es geht um Frankfurt. Um ein Attentat. Bei euch.«

      »Wie – bei uns?«

      »Irgendwo am Stadion. Sie haben Pläne gesehen.«

      »Pläne? Pläne von der Arena gibt es haufenweise im Internet. Was soll daran gefährlich sein? Mama!«

      »Ich kann dir nicht mehr sagen, ohne meine Leute in Gefahr zu bringen. Eigentlich dürfte ich nicht mal mit dir telefonieren. Halt dich einfach heute fern vom Stadion. Dann ist alles gut.«

      Diese Frau schafft es in einem unglaublichen Tempo, mich völlig aus der Fassung zu bringen. Erst der Anruf. Dann die Warnung. Jetzt das Stadion und ein angebliches Attentat. Dazu die ganze alte Geschichte von Papa. Gedankenfetzen schwirren in meinem Kopf umher und es gelingt mir nicht, auch nur einen einzigen davon einzufangen. Fragend schaue ich Papa an, aber der sitzt mir auch nur mit weit aufgerissenem Mund gegenüber und scheint zwischen Verzückung, weil er ihre Stimme hören kann, und Entsetzen hin- und herzupendeln.

      »Bleib weg vom Stadion heute, versteh doch. Mehr will ich nicht.«

      »Ja. Ist gut. Hatte ich eh nicht vor. Also: Den Anruf hätten wir uns ersparen können. Machs’ gut, Mama. Frohe Weihnachten!«

      Ich klappe den Deckel des Handys zu und reiche es Papa.

      »Kannst du wegpacken. Ich bin hier. Also kann nix passieren, hat sie gesagt.«

      Ich schaue ihn an und spüre plötzlich meine zittrigen Beine. Ich habe in den vergangenen Jahren eine Menge abgefahrene und nicht alltägliche Sachen erlebt. Privat mit Sev und natürlich auch mit der Eintracht. So schnell haut mich nichts mehr vom Hocker, aber die letzten zwei Stunden waren dann doch harter Tobak. ›Too much information‹, würde Tim jetzt sagen.

      Papa nimmt mir das Teil ab. Rollt zurück zum Schränkchen und zögert plötzlich. Dann dreht er den Rolli herum und hält mir das Handy hin. »Ich glaube, es ist besser, wenn du das Teil jetzt erst mal bei dir behältst. Für alle Fälle.«

      Ich blicke ihn an und streiche ihm über die Wange. »Okay. Wenn du meinst.«

      »Hmmm«, brummt er und wendet sich ab. Und ich bin nicht sicher, was er meint. Will er, dass ich sie jederzeit erreichen kann, oder doch vielmehr, dass er es in dieser Nacht besser nicht kann?

      Kapitel 4

      23. Dezember 2020, 19.00 Uhr

      Severin

      Wer fährt denn um diese Uhrzeit ins Stadion?«, lacht Hel. »Haben die hohen Herrschaften etwa ihren eigenen Chauffeur-Service? Na dann kann der Schampus ja in Strömen fließen.« Sie tut so, als hielte sie mit spitzen Fingern ein Sektglas und prostet uns zu. Dann rümpft sie die Nase und duckt sich hinter einem Strauch weg. Oder stolpert eher, als plötzlich drei schwarze Vans nur knapp an uns vorbei die Rampe zur Geschäftsstelle hochfahren. Gustav, Kev und ich stellen uns ebenfalls zu ihr. Sehen muss uns hier jetzt niemand. Es ist zwar nicht sicher, ob das Betreten des Stadiongeländes um diese Zeit überhaupt unter den §123 Hausfriedensbruch fällt, aber in Corona-Zeiten weiß man ja nie.

      Trotzdem sehen diese komplett schwarzen Vans ohne Schriftzüge oder wenigstens einem Eintracht-Adler nicht gerade nach Eintracht-Fahrzeugen aus.

      Ich hebe meine Brauen, als ich die verdunkelten Scheiben sehe. »Vielleicht bekommen sie auch hohen Besuch«, lache ich und überlege, ob Tim irgendetwas erwähnt hat. Mobby Dick redet einfach zu viel, als dass ich mir alles merken könnte. Vor allem bei seinen Erzählungen von dieser dämlichen Weihnachtsfeier habe ich abgeschaltet.

      »Und die dürfen mich dann fast über den Haufen fahren?«

      Ich runzle die Stirn. Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. »Lass uns nachschauen, wer diese Rüpel sind.« Ich zwinkere ihr zu.

      »Was?«, empört sich Hel und schüttelt den Matsch von ihren Schuhen ab. Ohne Erfolg. »Die Idee, sich hinter dem Busch in Sicherheit zu bringen, war wohl nicht so schlau, was?«

      »Mir ist nicht nach Scherzen, Severin«, schnaubt Hel zurück.

      In dem Moment halten die Autos mit quietschenden Reifen direkt vor der Eingangstür der Geschäftsstelle. Zu sehen ist nichts. Es brennt nur die Notbeleuchtung. Die tollen Eintrachtler wollen wohl keine Aufmerksamkeit auf ihre illegale Party ziehen. Türen werden geschlagen. Ich höre Stimmen. Tiefe brummende Stimmen, aber wir sind zu weit weg, um sie zu verstehen.

      »Vielleicht wird die Party aufgelöst. Ist schließlich verboten sowas«, gibt Kevin zum Besten. Sein Ernst? Ich bin mir sicher, dass er sich an keine der Regeln hält.

      »Ich gehe jetzt nach Tim sehen. Geht einfach schon mal vor.«

      »Nein, wir werden mitkommen«, sagt Gustav bestimmt und hängt sich an meine Fersen.

      Wir schleichen die Rampe hinauf und halten uns dabei dicht an der Böschung. Zu sehen sind wir im Dunkeln so sicher nicht. Ich gehe Schritt für Schritt auf die Fahrzeuge zu und erwarte jede Sekunde, dass mich irgendwer vom Sicherheitsdienst erkennt.

      »Bist du jetzt Geheimagent geworden oder was tust du da?«, zischt Hel mit zusammengekniffenen Augen.

      »Sie müssen uns ja nicht gleich mit festnehmen«, gebe ich schulterzuckend zurück.

      »Dein Auto steht da, Severin. Und leider hast du vergessen, es mit Blättern zu tarnen.« Hel lacht, bis ihr Blick wieder auf ihre vor Kurzem noch weißen Sneaker fällt und sie den Mund verzieht. Ich schüttle belustigt den Kopf und suche nach den Fahrern. Aber da ist niemand. Die Fahrzeuge stehen mit offenen Türen und laufenden Motoren da, anscheinend sind die Fahrer in der Geschäftsstelle. Ich lasse kurz mein Handy aufleuchten und richte das Licht auf eines der Kennzeichen der Vans. Es ist abgeklebt. Hier stimmt etwas so ganz und gar nicht. Aber bevor ich das wirklich zu Ende denken kann, ertönt ein lauter Knall von drinnen. Schreie sind zu hören. Dann wird die Tür aufgerissen. Rauch dringt heraus und vier vermummte Gestalten stürzen zu den Fahrzeugen. Der Größe und Körperbauten nach scheinen es Männer zu sein. Gustav und Kev laufen einem davon direkt in die Arme. Einen Moment lang scheint der Kerl davon überrascht zu sein und Kev nutzt diesen, um sich mit einem Satz in die Böschung in Sicherheit zu bringen. Gustav hingegen zögert zu lange und bekommt im gleichen Moment den Kolben einer Maschinenpistole ins Gesicht. Sein weißer Bart färbt sich rot und er geht mit einem lauten Stöhnen zu Boden. Ich erstarre. Buchstäblich. Ich sollte ihnen helfen, aber kann mich nicht bewegen. Was zum Teufel passiert hier?

      Wie in Trance sehe ich dabei zu, wie weitere vermummte Männer Menschen mit Müllsäcken über den Köpfen zu den Autos bringen. Gewimmer dringt durch die Nacht. Dann folgt ein Schrei.

      »Lasst mich los, ihr Arschlöcher!«, brüllt einer. Unverkennbar Eric Presfeth, der Präsi. Er erntet einen heftigen Schlag in die Magengrube für sein Geschrei und geht ebenfalls zu Boden. Ein Tritt ins Gesicht bringt ihn endgültig zum Schweigen. Die Brutalität dieser Typen dringt mir bis ins Mark. Und da endlich löse ich mich aus meiner Starre.

      Ich packe Hel und ziehe sie hinter einen Wandvorsprung. Einer der Männer schießt eine Gewehrsalve Kugeln in die Richtung, in die Kev verschwunden ist.

      Ich starre fassungslos auf die Waffen der Männer. Sie packen Gustav, stülpen ihm einen Sack über den Kopf und zerren ihn ins Auto. Er stöhnt. Der Schlag mit dem Gewehr war übel, es muss ihm heftig zugesetzt haben.

      »Was soll das?«, wimmert Hel neben mir. Ich will mich aus der Nische hervorwagen, doch sie hält mich fest. »Spinnst du, Snobbi? Die haben Waffen!«

      »Ich lasse ganz sicher