ee) Die Rolle Dritter im Verfahren
139
Gemäß Art. 21bis KGSR können Dritte, deren Interessen[337] von der Entscheidung eines beim Staatsrat anhängigen Verfahrens berührt sind, diesem beitreten. Ein Interesse an einer Verfahrensbeteiligung kann u.U. bestehen, wenn ein Dritter von einer gerichtlich angegriffenen Verwaltungsmaßnahme begünstigt wird. Dieser erhält durch den Verfahrensbeitritt die Möglichkeit, seine durch die Klage berührten Belange zu verteidigen. Der Antrag auf Beteiligung am Rechtsstreit muss innerhalb von 30 Tagen eingereicht werden, nachdem der mögliche Verfahrensbeteiligte ein entsprechendes Schreiben der Kanzlei des Staatsrates erhalten hat[338] bzw. nachdem im Belgischen Staatsblatt eine Bekanntmachung über die Möglichkeit, gegen eine Rechtsverordnung Nichtigkeitsklage zu erheben, veröffentlicht wurde. Ein Beitritt zu einem späteren Zeitpunkt ist nur zulässig, wenn dadurch das Verfahren in keinerlei Hinsicht verzögert wird. Gemäß Art. 21bis KGSR können beitretende Parteien zur Unterstützung des Antrags des Klägers keine anderen als die in der verfahrenseinleitenden Antragsschrift erwähnten Klagegründe vorbringen,[339] es sei denn ein zusätzlicher Klagegrund ergibt sich für die antragstellende Partei erst aus der Einsicht der Verwaltungsakten.[340] Ein Verfahrensbeitritt erfolgt oftmals auf eigene Initiative des Beitretenden. Die Verwaltungsstreitsachenabteilung kann aber auch von sich aus Dritte einbeziehen.
ff) Öffentlichkeit des Verfahrens und der Urteilsverkündung
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Gemäß Art. 22 Abs. 1 KGSR erfolgt die Vorermittlung zu einer Klage grundsätzlich schriftlich. Der Staatsrat kann die Parteien aber auch laden und anhören. Die mündliche Verhandlung ist dann jedoch öffentlich,[341] wobei die Öffentlichkeit im Falle einer Sittlichkeitsangelegenheit ausgeschlossen werden kann. Auch die Urteilsverkündung erfolgt öffentlich. Das Urteil wird den Parteien gem. Art. 36 Abs. 1 VVerwSSRE zugestellt. Alle Urteile und Nichtannahmebeschlüsse von Revisionsanträgen werden veröffentlicht – seit 1994 vollständig in elektronischer Form[342] und in der Sprache der Urteilsverkündung auf der Internetseite des Staatsrates (http://www.raadvst-consetat.be). Hierdurch erhält die Öffentlichkeit – wie von Art. 28 Abs. 3 KGSR vorgesehen – Zugang zu den Urteilen des Staatsrates.
141
Urteile und Nichtannahmebeschlüsse in Ausländerrechtsstreitigkeiten werden hingegen nur veröffentlicht, wenn dies für die Rechtsprechung oder das Rechtsgebiet von Bedeutung ist. Dabei erfolgt stets eine Anonymisierung des Klägers. Bei allen anderen Verfahrensarten wird der Name einer Partei nur unkenntlich gemacht, sofern dies ausdrücklich während des Verfahrens begehrt wird.
gg) Gerichtsgebühren
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Seit 2007 sieht Art. 1022 Code judiciaire für Verfahren vor den ordentlichen Gerichten eine Verfahrensentschädigung in Form „eine[r] pauschale[n] Beteiligung an den Anwaltsgebühren und -honoraren der Partei, die Recht erhalten hat“, vor. Somit erhält die obsiegende Partei von der anderen für ihre Prozesskosten eine Entschädigung, deren Höhe sich u.a. nach der Bedeutung der Streitsache richtet. Art. 1022 Code judiciaire gilt jedoch nicht für Verfahren vor dem Staatsrat.
143
Zwar hat Art. 30 KGSR die Zahlung für Kosten in Form einer „Stempelgebühr“ in Höhe von 200 Euro für Nichtigkeitsklagen und Aussetzungsanträge bzw. 150 Euro bei Anträgen zum Verfahrensbeitritt eingeführt. Diese entspricht jedoch nicht im Entferntesten einer Prozesskostenerstattung. Infolgedessen lehnte der Staatsrat eine Entschädigung des Klägers – gleich welcher Art – bis 2014 auch konsequent ab.[343] Der Kläger hatte sich vielmehr an ein Zivilgericht zu wenden, wo er die Wiedergutmachung seines erlittenen Schadens geltend machen konnte (die im Zuge des Verfahrens vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit an seinen Anwalt gezahlten Gebühren und Honorare wurden dabei als Schaden gewertet). Diese Praxis ging auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zurück,[344] wurde jedoch 2014 weitreichend modifiziert: Seitdem erlaubt es Art. 30/1 KGSR dem Staatsrat, der obsiegenden Partei eine Verfahrensentschädigung zuzusprechen. Ein königlicher Erlass legt Grundbetrag sowie Ober- und Untergrenze der Entschädigung fest, wobei die Art des Sachverhalts, die Bedeutung der Streitsache und die Finanzkraft der unterliegenden Partei Berücksichtigung finden.[345] Für mögliche Verfahrensbeteiligte existiert dagegen keinerlei Regelung zur Prozesskostenerstattung.
hh) Begründungspflicht
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Art. 149 Belg. Verf. sieht eine Begründungspflicht für jedes Rechtsprechungsorgan vor;[346] das gilt auch für solche, die von den föderierten Teilgebieten Belgiens eingerichtet worden sind.[347] Die KGSR greifen dies in Art. 28 auf. Damit besteht eine Begründungspflicht bezüglich aller von den Parteien vorgetragenen Rechtsgründe.
d) Einstweiliger Rechtsschutz
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Das Aussetzungsantragsverfahren ermöglicht es dem Kläger, den Vollzug einer Verwaltungsmaßnahme aus schwerwiegenden Gründen und bei Dringlichkeit aussetzen zu lassen.[348]
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › IV. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 4. Kontrolldichte und Urteil
aa) Überprüfung der Tatsachen
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Die für die Verwaltungsstreitsachenabteilung geltende allgemeine Verfahrensordnung bestimmt nichts Näheres über die Art der Sachverhaltsdarstellung.[349] Den Tatsachen kommt jedoch im Rahmen des Verwaltungsprozesses als rein objektives Verfahren eine besondere Bedeutung zu. Fehlt eine Darstellung des Sachverhalts im Antrag auf Nichtigkeitsklage, ist diese dennoch nicht automatisch unzulässig. Das ist nur dann der Fall, wenn der Antrag „derart verschwommen formuliert ist, dass dessen Gegenstand nicht [mehr] erkennbar ist“.[350] Hieraus folgt, dass der Klageantrag zwar grundsätzlich eine Darstellung des Sachverhalts umfassen muss, diese jedoch im konkreten Fall auch sehr kurz ausfallen oder ganz weggelassen werden kann, wenn der Antrag bereits aus sich heraus verständlich ist. Der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt gilt, außer wenn diese Tatsachen offensichtlich unzutreffend sind, als nachgewiesen,[351] wenn die beklagte Behörde nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Frist ihre Verwaltungsdokumente übermittelt.[352]
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Ist eine nähere Untersuchung des Sachverhalts erforderlich, kann diese gem. Art. 25 KGSR vom Staatsrat angeordnet und entweder während der Anhörung vor dem Staatsrat, vor einem Richter des Staatsrates oder einem Mitglied des Auditorats durchgeführt werden. Zeugen können unter Eid vernommen, Sachverständige zu bestimmten Fragen gehört und „Beweisaufnahmen vor Ort“[353] durchgeführt werden.
bb) Überprüfung der Zweckmäßigkeit der angegriffenen