77
Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 19. Mai 1998, durch welches die Vorschriften des Code judiciaire zu den Schiedsverfahren geändert wurden,[192] konnten staatliche Stellen im Allgemeinen nicht auf ein Schiedsverfahren zur Streitbeilegung zurückgreifen. In seiner heutigen Fassung bestimmt Art. 1676 §§ 2 und 3 Code judiciaire hingegen, dass „[e]ine Schiedsvereinbarung […] eingehen [kann], wer die Fähigkeit oder die Befugnis hat, einen Vergleich zu schließen. Unbeschadet gesetzlicher Sondervorschriften, dürfen juristische Personen des öffentlichen Rechts eine Schiedsvereinbarung nur dann eingehen, wenn diese Streitigkeiten über einen Vertrag beilegen soll. Für den Abschluss der Schiedsvereinbarung gelten dieselben Bedingungen wie für den Abschluss des Vertrages, der den Gegenstand des Schiedsverfahrens bildet. Darüber hinaus können juristische Personen des öffentlichen Rechts eine Schiedsvereinbarung auch in allen anderen durch Gesetz oder im Ministerrat beschlossenen königlichen Erlass festgelegten Fällen eingehen […].“
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › III. Funktion und Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 5. Selbstverständnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Deutungsangebote der Rechtslehre
5. Selbstverständnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit
und Deutungsangebote der Rechtslehre
78
Mit dieser Frage hat sich die belgische Rechtswissenschaft bisher nicht auseinandergesetzt. Sie enthält jedoch unzweifelhaft einen soziologischen Aspekt, den es bei ihrer Behandlung zu berücksichtigen gälte. Aufgrund der mehrsprachigen Struktur Belgiens können durchaus unterschiedliche Auffassungen und Antworten je nach berücksichtigtem Sprachen-Spektrum bestehen.
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › III. Funktion und Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 6. Gegenseitige Beeinflussung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Rechtswissenschaft
6. Gegenseitige Beeinflussung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
und der Rechtswissenschaft
79
Der Gründung des Staatsrates gingen unzählige rechtswissenschaftliche Beiträge voraus. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Tätigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Fachliteratur aufmerksam begleitet wird. In zahlreichen Fachzeitschriften werden im Übrigen nicht nur Aufsätze zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern auch Urteile des Staatsrates veröffentlicht, so beispielsweise in der Zeitschrift Administration publique – trimestriel (APT). Diese Zeitschrift verbindet die Veröffentlichung von Urteilen des Staatsrates mit der Publikation von Kommentaren und Anmerkungen zu Urteilen oder themenbezogenen Studien. Auf diese Weise trägt sie zur Weiterentwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und des Verwaltungsrechts bei. Darüber hinaus veröffentlichen auch die einzelnen Mitglieder des Staatsrates allgemeine Monographien zum Staatsrat und rechtswissenschaftliche Aufsätze.
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › III. Funktion und Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 7. Die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei der Fortentwicklung des Verwaltungsrechts
7. Die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei der Fortentwicklung
des Verwaltungsrechts
80
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit trägt unzweifelhaft dazu bei, dass die Grundsätze guter Verwaltung von den Behörden befolgt und diese effektiv durchgesetzt werden. Die Rechtsprechung im Allgemeinen und die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Besonderen haben darüber hinaus auch ursprünglich als grundlegend erachtete Vorstellungen und Privilegien der Exekutive begrenzt. Durch die Zulassung eines dem Grunde nach allgemeinen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens (Möglichkeit eines Antrags auf Aussetzung der Durchführung einer Verwaltungsmaßnahme und – bei Erfolg – der Verhängung eines Zwangsgeldes[193]) hat der Gesetzgeber auch allgemeine Grundsätze, wie z.B. die Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Verwaltung oder auch den Grundsatz der unmittelbaren Vollstreckbarkeit einer Verwaltungsmaßnahme, relativiert. Gleichwohl müssen die Bürger den Entscheidungen der Verwaltung grundsätzlich nach wie vor Folge leisten, solange diese nicht von einem Gericht für rechtswidrig erklärt worden sind.[194]
81
Darüber hinaus ist es nunmehr möglich, auch den Vollzug einer Nichtigkeitserklärung durch Verhängung eines Zwangsgeldes zu erzwingen. All diese Gesichtspunkte verdeutlichen die Präsenz eines neuen Verständnisses des Verwaltungshandelns: es wird zunehmend versucht, die Allmacht der Verwaltung zurückzudrängen, diese wird „immer mehr wie eine gewöhnliche Beteiligte an einem Rechtsstreit“[195] angesehen.
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › IV. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext
IV. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › IV. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
82
Obwohl es bereits im Rahmen der Verfassungsnovellierungen von 1953, 1961 und 1967[196] entsprechende Vorschläge gab, wurde der Staatsrat erst mit der Verfassungsänderung vom 22. Dezember 1992[197] im Verfassungstext verankert. Der in Titel III der Verfassung eingefügte und am 18. Juni 1993 ausgefertigte und verkündete[198] Art. 160 (damals: Art. 107quinquies) sah zwar keine grundsätzlichen Änderungen des Staatsrats oder der Zuständigkeitsverteilung zwischen diesem und der ordentlichen Gerichtsbarkeit vor.[199] Er bekräftigt jedoch die Doppelrolle des Staatsrates als Gerichtshof und Beratungsorgan. Art. 161 Belg. Verf., der sich in gewisser Hinsicht mit Art. 146 überschneidet,[200] ermöglicht darüber hinaus ausdrücklich die Errichtung weiterer Verwaltungsgerichte[201] durch Gesetz. Dies würde gegebenenfalls den Aufbau einer gegenwärtig in Belgien in dieser Form nicht existierenden,[202] echten Verwaltungsgerichtsbarkeits-Pyramide nach französischem Vorbild ermöglichen. Weitere Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können darüber hinaus auch per Dekret oder Gesetzerlass geschaffen werden.[203]
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › IV. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 2. Institutionen und Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit