Auferstehung von den Toten
Die Erfahrungen von Jüngerinnen und Jüngern, dass der gekreuzigte Jesus von Nazareth nicht im Tod verblieben ist, sondern von Gott auferweckt wurde, bestimmten das weitere Geschehen. Die zentrale theologische Einsicht lautete: Jesus Christus hat sein Leben ‚für uns‘ gegeben, um es von Gott neu zu erhalten. Im Horizont der Auferstehung erfolgte faktisch eine Neucodierung des Kreuzes, das nun nicht mehr Ort der Gottesferne (vgl. Dtn 21,22f), sondern Ort der Liebe Gottes ist. Als der älteste Kern der Auferstehungsbotschaft8 müssen Aussagen wie Röm 10,9 gelten: „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt“ (vgl. 1 Kor 15,15; 2 Kor 4,14; Gal 1,1; Röm 4,24; 8,11a). Charakteristisch ist die streng theologische Struktur, Gott ist das an Jesus handelnde Objekt. In zahlreichen zwei- und mehrgliedrigen Formeln wird die Auferstehung/Auferweckung Jesu erwähnt, wobei Jesus bzw. Christus das jeweilige Subjekt ist: „… Jesus ist gestorben und auferstanden …“ (1 Thess 4,14; vgl. 2 Kor 5,15; Röm 4,25). Die Auferstehung wird zum Gottesprädikat, der Gott der Auferstehung ist der, „der die Toten lebendig macht und das Nicht-Seiende ins Sein ruft“ (Röm 4,17b; vgl. 8,11). Gott identifiziert sich so sehr mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth, dass seine in der Auferstehung sich offenbarende Lebensmacht weiterhin wirkt: „Denn dazu ist Christus gestorben und wieder zum Leben gekommen, damit er Herr werde über die Toten wie über die Lebenden“ (Röm 14,9).
Speziell Paulus lässt an der Bedeutung der Auferstehung als Fundament des neuen Glaubens keinen Zweifel: „Wenn aber Christus nicht auferstanden ist, dann ist auch unsere Verkündigung leer, und auch euer Glaube ist leer“ (1Kor 15,14), und: „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden … so sind wir die elendsten unter allen Menschen“ (1Kor 15,17.19b).
Die Erscheinungen als Initialzündung
Die Wirklichkeit der Auferstehung erschloss sich für die Christusgläubigen durch die Erscheinungen des Gekreuzigten als Auferstandenen. Dieses Geschehen war offenbar die Initialzündung für die grundlegende Erkenntnis der ersten Christusgläubigen: Der schmachvoll am Kreuz gestorbene Jesus von Nazareth ist kein Verbrecher, sondern er ist auferweckt worden von den Toten und gehört bleibend auf die Seite Gottes. Aus der hervorragenden Qualität Jesu vor Ostern wurde so Jesu unüberbietbare Qualität nach Ostern. Ausgangspunkt der Erscheinungsüberlieferungen9 ist die Protepiphanie Jesu vor Petrus (vgl. 1Kor 15,5a: „und dass er Kephas erschien“; Lk 24,34: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden und Simon erschienen“)10, denn sie begründete die hervorgehobene Stellung des Petrus im frühen Christentum11. Das Johannesevangelium geht von einer Ersterscheinung vor Maria Magdalena aus (Joh 20,11–18), erst danach erscheint Jesus den Jüngern (Joh 20,19–23).
Sowohl Lk 24,34 als auch Joh 20,11–18 verweisen auf Jerusalem als Ort der Erscheinungen (Joh 21,1–14 spielt allerdings in Galiläa). Bei Markus werden Erscheinungen Jesu in Galiläa angekündigt (Mk 14,28; 16,7: „Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat“), ohne erzählt zu werden. Bei Matthäus werden die markinischen Ankündigungen von Erscheinungen in Galiläa übernommen (Mt 26,32; 28,7), dann erscheint Jesus zunächst Maria Magdalena und der anderen Maria in Jerusalem (vgl. Mt 28,9.10), dann den Jüngern in Galiläa ((Mt 28,16–20). Lukas konzentriert die Erscheinungen exklusiv auf Jerusalem, zunächst vor den Emmausjüngern (Lk 24,13–35), dann vor allen Jüngern (Lk 24,36–49). Die Berichte lassen noch erkennen, dass Jesus wahrscheinlich zunächst Petrus und Maria Magdalena12 bzw. mehreren Frauen erschien. Offensichtlich verfolgen die Erscheinungsberichte keine apologetische Tendenz13, denn obwohl Frauen nach jüdischem Recht nicht voll zeugnisfähig waren, spielen sie in fast allen Erscheinungsberichten der Evangelien eine wichtige Rolle. Von zahlreichen Einzel- und Gruppenerscheinungen berichtet 1Kor 15,3–8. Neben Petrus (V. 5a) erschien der Auferstandene den Zwölfen (V. 5b), mehr als 500 Brüdern (V. 6), Jakobus (V. 7a), allen Aposteln (V. 7b) und schließlich Paulus (V. 8). Paulus widerfuhr eine Erscheinung bei Damaskus; über die Orte der anderen Erscheinungen wird nichts gesagt, denkbar ist für die ‚Zwölf‘ und die ‚500 Brüder‘ Galiläa, für die weiteren Erscheinungen vor Jakobus und ‚vor allen Brüdern‘ kommt vor allem Jerusalem infrage. 1Kor 15,3–5 ist die literarisch älteste Überlieferung, die alle Elemente des Osterglaubens enthält: Jesu Tod, sein Begräbnis, seine Auferweckung und die Erscheinung des Auferstandenen („Dass Christus für unsere Sünden gestorben ist, den Schriften entsprechend, und dass er begraben wurde und dass er auferweckt ist am dritten Tage, den Schriften entsprechend, und dass er Kephas erschien, dann den Zwölfen“). Der Apostel Paulus wurde ca. 32/33 n.Chr. berufen, er erhielt seine Unterweisung im christlichen Glauben in Antiochia, so dass dort die von ihm zitierte Tradition sicherlich noch vor 40 n.Chr. entstanden sein dürfte. Neben den genannten Einzelpersonen und Gruppen dürfte es noch weitere Erscheinungen gegeben haben, die sich literarisch nur indirekt niederschlugen. Infrage kommt vor allem Röm 16,7: „Grüßt Andronikus und Junia, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die unter den Aposteln berühmt sind und schon vor mir in Christus waren.“Die herausragende Stellung dieses Ehepaares könnte durch Erscheinungen begründet sein14. Deutlich ist in jedem Fall, dass mit Paulus um 32/33 n.Chr. die besondere Epoche von Erscheinungen des Gekreuzigten und Auferstandenen beendet war; datiert man Jesu Kreuzestod auf das Jahr 30, dann dauerte sie ca. 2 bis 3 Jahre.
Das leere Grab und die Erfolge der Verkündigung
Unmittelbar mit den Erscheinungsberichten verbunden sind Berichte über das leere Grab. Jüngerinnen Jesu gehen am ersten Tag der Woche frühmorgens zum Grab, finden den Stein weggerollt und das Grab leer (vgl. Mk 16,1–5; Joh 20,1.11–13; Mt 28,1–6; Lk 24,1–6). Die Frauen berichten daraufhin den Jüngern von diesem Geschehen (vgl. Mk 16,7; Joh 20,18; Mt 28, 8; Lk 24,9). Wie die Evangelien setzt auch Paulus das leere Grab voraus15. Er erwähnt es nicht ausdrücklich, aber die Logik des Begrabenseins und der Auferstehung Jesu in 1Kor 15,4 (und auch des Mitbegrabenwerdens in Röm 6,4) verweist auf das leere Grab, denn die jüdische Anthropologie geht von einer leiblichen Auferstehung aus16. Hinzu kommt ein grundsätzliches Argument: Die Auferstehungsbotschaft hätte in Jerusalem nicht so erfolgreich verkündigt werden können, wenn der Leichnam Jesu in einem Massengrab oder einem ungeöffneten Privatgrab verblieben wäre17. Es dürfte weder den Gegnern noch der Anhängerschaft entgangen sein, wo Jesus beigesetzt wurde18. Jesu Kreuzigung hatte ein großes Aufsehen erregt, und wenn kurze Zeit nach diesem Geschehen die Jünger mit der Botschaft in Jerusalem auftraten, Jesus sei von den Toten auferstanden, dann muss die Frage nach dem Grab von Anfang an eine zentrale Bedeutung gehabt haben (vgl. Mt 27,62–66). Der Erfolg der Osterbotschaft in Jerusalem ist ohne ein leeres Grab kaum denkbar, denn die Botschaft der Jünger wäre sofort widerlegbar gewesen, wenn das Grab nicht leer gewesen wäre. Der bereits erwähnte Fund eines Gekreuzigten im Nordosten des heutigen Jerusalem aus der Zeit Jesu zeigt, dass die Leiche eines Hingerichteten an seine Angehörigen oder andere Nahestehende ausgeliefert und von ihnen bestattet werden konnte. Das leere Grab allein bleibt allerdings zweideutig, seine Bedeutung erschließt sich erst von den Erscheinungen des Auferstandenen her. Historisch lassen sich die Erscheinungen und das ihnen vorausliegende Auferstehungsgeschehen nicht erweisen, zugleich aber auch nicht ausschließen. Historisch können wir nur ermitteln, dass Anhänger des jüdischen Wanderpredigers Jesus von Nazareth nach dessen Kreuzigung und Tod behauptet haben, er sei ihnen als Lebendiger erschienen.
Bewertungen des Realitätsgehaltes des Auferstehungsgeschehens bewegen sich bei Befürwortern und Bestreitern gleichermaßen auf der Ebene erkenntnistheoretischer Setzungen, lebensgeschichtlicher Erfahrungen und historischer Erwägungen. Der Wahrheitsgehalt des Geschehens lässt sich historisch nicht demonstrieren, aber auch nicht negieren! Sicher ist aber, dass die Osterereignisse einen kreativen Deutungsprozess auslösten: Es musste im Licht des Ostergeschehens neu bestimmt werden, wer dieser Jesus von Nazareth war und nun als Auferstandener ist. Die Verschränkung der neuen Erfahrungen mit neuen Deutungskategorien führte zur Bildung neuen Wissens: der Christologie.