Der neue Diskursgründer
Am Anfang der neuen Bewegung stand ein überaus kreativer Prozess: Mit Jesus Christus führten die Christusgläubigen nicht weniger als einen neuen Diskursgründer in die bestehenden religiösen Welten ein und schrieben ihm eine uneingeschränkte soteriologische Kompetenz zu. Ihm wurden Attribute zugelegt, die im jüdischen Denken bis dahin exklusiv Gott vorbehalten waren. Damit wurde nicht nur Mose als jüdischer Diskursgründer relativiert, sondern indem Jesus Christus als Gekreuzigter und Auferstandener Gegenstand göttlicher Verehrung wurde, überschritten die Christusgläubigen die Grenzen jüdischen Denkens und etablierten in Lehre und Kult eine eigene, neue Diskurswelt41. Hinzu kommt als zweiter Aspekt: Die Menschwerdung Gottes und die Gottwerdung eines Menschen ist ein griechischer Gedanke, der sich in seiner Fremdheit und Anstößigkeit für jüdische Ohren nicht relativieren lässt. Aber auch gegenüber dem griechisch-römischen Denken setzte die früheste Christologie eigene Akzente, denn die Gottessohnschaft eines Gekreuzigten blieb auch hier ein fremdartiger und anstößiger Gedanke (vgl. 1Kor 1,23). Ebenso widersprach Jesu exklusive soteriologische Stellung griechisch-römischer Tradition, wo Gottheiten jeweils für einzelne Bereiche zuständig waren.
Mit dem neuen Diskursgründer Jesus Christus und den neuen Wissensformen der Christologie war im Keim bereits angelegt, was sich später herausbildete: das frühe Christentum als eigenständige Bewegung. Es gab keine Möglichkeit, den gekreuzigten Gottessohn bruchlos in eine bestehende religiöse Wissenswelt einzuführen; weder die jüdische noch die griechisch-römische Wissenstradition ließen dies zu. Das Christuszeugnis wurde vom Judentum gerade nicht als eine mögliche Form der Pluralisierung des Alten Testaments akzeptiert. Dies zeigt sich bereits kurz nach Ostern in Jerusalem; obwohl die Christusgläubigen sich als ein legitimer Teil Israels verstanden, wurden sie von Anfang an nie als ein solcher akzeptiert. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass bereits die Jerusalemer Gemeinde in tiefgreifende Konflikte mit dem offiziellen Judentum hineingezogen wurde.
1Die lukanische Darstellung, wonach sich die Jünger aus Angst vor den Juden in einem Haus versteckten (vgl. Lk 24,36–49) und in Jerusalem verblieben, dürfte sekundär sein; vgl. Ludger Schenke, Die Urgemeinde, 13f.
2Anders Gerd Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 63f, der in der Überlieferung von Josef von Arimathäa bereits bei Markus eine christliche Legende sieht und Joh 19,31–37 für historisch ansieht (die Juden bitten um den Leichnam Jesu). Nach Joh 19,31 bitten die Juden zwar, Jesus die Beine zu brechen und ihn vom Kreuz abzunehmen, durchgeführt wird diese Abnahme aber nach V. 38 auch bei Johannes durch Josef von Arimathäa.
3Diese Frage beschäftigte schon die frühe Überlieferung, eine Antwort gibt Mt 27,60: Josef von Arimathäa bestattete Jesus in seinem eigenen, neuen Grab.
4Vgl. Tacitus, Annalen 6,29.
5Vgl. Philo, In Flaccum 83.
6Vgl. dazu Heinz Wolfgang Kuhn, Der Gekreuzigte von Givcat hat-Mivtar, in: Theologia Crucis – Signum Crucis (FS E. Dinkler), hg. v. Carl Andresen/Günter Klein, Tübingen 1979, 303–334.
7Anders Gerd Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 67, der behauptet, die früheste Gemeinde habe nicht gewusst, wo Jesus beigesetzt wurde. Als Argument führt er an, dass sich keine Traditionen über das Grab Jesu entwickelt hätten.
8Zur Auferstehungsthematik vgl. auch: Fritz Viering (Hg.), Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus, Berlin 1967; Willi Marxsen, Die Auferstehung Jesu von Nazareth, Gütersloh 1968; Ulrich Wilckens, Auferstehung, Gütersloh 21977; Paul Hoffmann, Die historisch-kritische Osterdiskussion von H.S. Reimarus bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: ders. (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstadt 1988, 15–67; Udo Schnelle, Paulus, 443–462.
9Zur Analyse der Texte vgl. Ulrich Wilckens, Auferstehung, 15–61.
10In Mk 16,7 verweist die Differenzierung zwischen Petrus und ‚den Jüngern‘ auf eine Ersterscheinung vor Petrus.
11Vgl. Hans von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse, 15.
12Vgl. hier Silke Petersen, Maria aus Magdala. Die Jüngerin, die Jesus liebte, BG 23, Leipzig 2011.
13Vgl. Hans von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse, 41.
14Zu Andronikus und Junia s.u. S. 120.
15Anders Rudolf Bultmann, Theologie, 48: „Legende sind die Geschichten vom leeren Grab, von denen Paulus noch nichts weiß.“
16Vgl. zuletzt die Argumentation bei Martin Hengel, Das Begräbnis Jesu bei Paulus und die leibliche Auferstehung aus dem Grabe, in: Friedrich Avemarie/Hermann Lichtenberger (Hg.), Auferstehung, WUNT 135, Tübingen 2001, (119–183) 139ff.
17Vgl. Paul Althaus, Die Wahrheit des christlichen Osterglaubens, Gütersloh 1940, 25: „In Jerusalem, am Orte der Hinrichtung und des Grabes Jesu, wird nicht lange nach seinem Tode verkündigt, er sei auferweckt. Dieser Tatbestand fordert, daß man im Kreise der ersten Gemeinde ein zuverlässiges Zeugnis dafür hatte, daß das Grab leer gefunden ist.“
18Anders Gerd Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 66, der ohne Begründung behauptet: „Da sich weder die Jünger noch die nächsten Familienangehörigen um Jesu Leichnam gekümmert haben, ist kaum denkbar, daß sie über den Verbleib des Leichnams informiert sein konnten, um später wenigstens seine Knochen zu bestatten.“
19Vgl. dazu Matthias Konradt, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen Jesus eine Gestalt ‚vorösterlicher Christologie‘ dar?, ZThK 107 (2010), 139–166.
20Eine Zusammenfassung des Wirkens und der Lehre Jesu findet sich in: Udo Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, 47–144.
21Vgl. Reinhard von Bendemann, Die Auferstehung von den Toten als ‚basic story‘, GuL 15 (2000), 148–162.
22Vgl. dazu die Texte in: Neuer Wettstein I/2, 226–234.
23Vgl. dazu grundlegend Friedrich Wilhelm Horn, Das Angeld des Geistes, 61ff.
24Einen Überblick vermittelt Steve Moyise, The Old Testament in the New. An Introduction, London/New York 2001.
25Vgl. Martin Hengel, Psalm 110 und die Erhöhung des Auferstandenen zur Rechten Gottes, in: Anfänge der Christologie (FS F. Hahn), hg. v. Cilliers Breytenbach/Henning Paulsen, Göttingen 1991, 43–74. Zur Rezeption der Psalmen vgl. insgesamt Steve Moyise/Martten