Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346068
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Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, Göttingen 61967. – Oscar Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen 51975. – Werner Kramer, Christos Kyrios Gottessohn, AThANT 44, Zürich 1963. – Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, FRLANT 83, Göttingen 51995. – Klaus Wengst, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StNT 7, Gütersloh 21973. – Martin Hengel, Der Sohn Gottes, Tübingen 21977. – Gerhard Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament, BThSt 6, Neukirchen 1982. – Gerhard Barth, Der Tod Jesu im Verständnis des Neuen Testaments, Neukirchen 1992. – Marinus de Jonge Christologie im Kontext, Neukirchen 1995. – James D. G. Dunn, Christology in the Making, Grand Rapids 21996. – Martin Karrer, Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998. – Frank J. Matera, New Testament Christology, Louisville 1999. – Larry W. Hurtado, Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in Earliest Christianity, Grand Rapids 2003. – Jörg Frey/Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005. – Kurt Erlemannn, Jesus der Christus, Neukirchen 2011.

      Durch Kreuz, Auferstehung und Erscheinungen gewann Jesus von Nazareth eine neue Bedeutsamkeit, die zur Ausbildung einer vielfältigen Christologie führte. Dabei konnten die frühesten Gemeinden bereits an Jesu vorösterlichen Anspruch anknüpfen19.

      Ostern als neue Basisgeschichte

      Jesus von Nazareth wollte keine Kirche gründen, aber er scharte (wie Johannes d. T.) einen Jünger- und Jüngerinnenkreis um sich (Mk 1,16–20; Lk 8,1–3), setzte den Zwölferkreis ein (Mk 3,14; 6,7; 14,10; 1Kor 15,5) und trat mit dem Anspruch auf, das eschatologische Israel zu sammeln (vgl. Lk 22,28–30). Er band das Aufrichten der Königsherrschaft Gottes exklusiv an seine Person, so dass sein Tun als Anbruch der Gottesherrschaft erschien (vgl. Lk 11,20). Wenn er seine Person zum Kriterium des eschatologischen/endgültigen Gerichtes erhob (vgl. Lk 12,8f par), als Wundertäter auftrat (vgl. Mk 1,40–45; 7,31–37), wie Gott Sünden vergab (vgl. Mk 2,1–12) und sich über Mose stellte (vgl. Mt 5,21–48), dann musste er notwendigerweise in die Nähe Gottes gerückt und mit Gott zusammengedacht werden. Die singuläre Qualität des vorösterlichen Jesus20 ist ein wesentlicher Grund, warum nach Ostern eine explizite Christologie ausgebildet wurde. Jesus erhob bereits vorösterlich einen einzigartigen Anspruch, der durch die Auferstehung und die Erscheinungen nachösterlich verändert und zugleich noch verstärkt wurde. Angesichts von Kreuz und Auferstehung waren Sinnbildungsleistungen unabwendbar, denn ein Ereignis wie die Auferstehung des Jesus von Nazareth von den Toten fordert Erschließungsleistungen! Die ersten Christusgläubigen in Jerusalem standen ebenso wie alle späteren frühchristlichen Autoren vor der Aufgabe, das Einmalige und Außerordentliche von Kreuz und Auferstehung durch Erzählen in ein theologisches Sinngebäude zu überführen. Christologie ist die Art und Weise, wie das Wesen und die Bedeutung des Jesus von Nazareth als Messias für Israel und die Völker begrifflich und erzählerisch geformt und umgesetzt wird. Ostern bekam innerhalb dieses Prozesses den Status einer Basisgeschichte der neuen Bewegung21.

      Wirkungsgeschichtliche Linien

      Die Entstehung der frühen Christologie liegt aber nicht nur im personalen Anspruch Jesu und im Ostergeschehen begründet, sondern auch in Jesu Lehrinhalten: 1) Jesus band den Willen Gottes nicht an rituelle Vollzüge, sondern betonte die Ethik der Gottes- und Nächstenliebe. Von hieraus konnte im frühen Christentum eine Liebesethik entwickelt werden, die nicht unmittelbar mit der Tora verbunden war. Jesu Wirken wurde in seiner Gesamtheit als heilsame Regelung gestörter Beziehungen des Menschen zu Gott und der Menschen untereinander wahrgenommen und interpretiert. 2) Gottes grenzenlose Liebe eröffnet Perspektiven, die über die Erwählung Israels hinausgehen. Obwohl Jesus sich prinzipiell nur an Israel gesandt wusste, ermöglichten seine zeichenhaften Hinwendungen zu Heiden den frühen Christen, ihre Botschaft über Israel hinauszutragen. 3) Jesus erkannte dem Tempel offenbar nur eine geringe Bedeutung zu, so dass für die frühen Christen die lokale Gottesverehrung an einem einzigen Ort keine besondere Rolle spielte. Jesus interpretierte die Grundpfeiler des Judentums seiner Zeit offenbar in einer Weise, die für eine Transformation hin zum Universalismus offen war.

      Geist und Gott

      Neben den Erscheinungen des Auferstandenen ist das Wirken des Geistes die zweite Erfahrungsdimension, die auf die Ausbildung der frühen Christologie einwirkte. Während die Erscheinungen streng begrenzt waren, ist das Wirken des Geistes keinen Beschränkungen unterworfen. Religionsgeschichtlich gehören Gott und der Geist schon immer zusammen. Im griechisch-römischen Kulturraum vollzieht sich das Wirken der Gottheiten vor allem nach der Lehre der Stoiker in der Sphäre des Geistes22. Im antiken Judentum ist die Vorstellung von großer Bedeutung, dass in der Endzeit der Geist Gottes ausgegossen wird (vgl. Ez 36,25–29; Jes 32,15–18; Joel 3,1–5LXX; 1QS 4,18–23 u.ö.). Der Messias wurde als geistbegabte Gestalt vorgestellt und Tempel-/Einwohnungsmetaphorik verbanden sich mit dem Geist23. In legendarischer Ausschmückung, im Kern aber historisch sicherlich zuverlässig, beschreibt die Apostelgeschichte das Wirken des Geistes in den frühesten Gemeinden. Der Heilige Geist erscheint als die von Jesus versprochene „Kraft aus der Höhe“ (Lk 24,49; Apg 1,5.8), die den Jüngern zu Pfingsten (Apg 2,4) verliehen wird. Der Geist wird allen zuteil, die die Predigt der Apostel annehmen und sich taufen lassen (vgl. Apg 2,38). Der Empfang des Geistes ist auch an äußeren Phänomenen erkennbar (vgl. Gal 3,2; Apg 8,18), speziell an wunderbaren Heilungen (1Kor 12,9.28.30), ekstatischer Glossolalie (Apg 2,4.11; 4,31 u.ö.) und prophetischem Reden (vgl. 1Kor 12; 14; Apg 10; 19). Nach frühester Überlieferung war schon das Wirken Jesu seit der Taufe durch den Heiligen Geist geprägt (vgl. Mk 1,9–11; Apg 10,37). Es ist der Geist Gottes, der die Auferstehung Jesu bewirkt (Röm 1,3b–4a; Röm 6,4; 8,11; 1Petr 3,18; 1Tim 3,16), und nun die neue Seins- und Wirkweise des Auferstandenen bestimmt (2Kor 3,17: „Der Herr aber ist der Geist“; vgl. 1Kor 15,45). Die ältesten christlichen Aussagen über das Wirken des Geistes Gottes sprechen die Überzeugung aus, dass die jüdische Hoffnung auf das inspirierende und lebenspendende Pneuma für die Endzeit jetzt ihre Erfüllung gefunden hat. Im Wirken des Geistes Gottes erkannten die Christusgläubigen die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

      Ihre Sprache findet die Christologie vor allem aus den Schriften Israels, wie 1Kor 15,3f bezeugt: „gemäß den Schriften“. Die Christusgläubigen lebten in und aus den Schriften Israels. Die Lektüre vollzog sich allerdings unter veränderten Verstehensbedingungen, denn nun lasen die Judenchristen ihre Schrift (vornehmlich in der Gestalt der Septuaginta) neu aus der Perspektive des Christusgeschehens. Die Relecture der Schriften vollzieht sich in einer zweifachen Bewegung: Die Schriften werden zum Bezugsrahmen der Christologie und die Christologie gibt den Schriften eine neue Bestimmtheit24.

      Formen der Interpretation

      Die christologische Relecture der Schrift führt im frühen Christentum zu verschiedenen Modellen, um die Kontinuität des Verheißungshandelns Gottes in der Geschichte aufzuzeigen. Durch Gottes Heilshandeln an Jesus von Nazareth in Kreuz und Auferstehung war für die ersten Christen deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem Geschehen und dem Heilshandeln Gottes mit Israel geben muss. In den Figuren der Typologie (Vorabbildung; vgl. 1Kor 10,1–6), der Verheißung und der Erfüllung (vgl. Mt 2,17f u.ö.) sowie in den exegetischen Methoden der Allegorese (vgl. Gal 4,21–31) und des Midrasch (vgl. Apg 7; 2Kor 3), in Zitatkombinationen (vgl. Röm 9,25–29), Zitatvariationen (vgl. Röm 11,3) und Anspielungen sind Modelle zu sehen, um diese grundlegende Überzeugung auszudrücken. Einige Einzeltexte nehmen in der frühchristlichen AT-Rezeption eine besondere Stellung ein. Paulus setzt mit Gen 15,6 und Hab 2,4b faktisch alle anderen Texte des Alten Testaments außer Kraft. Bei der interpretierenden Aufnahme von Hab 2,4bLXX in Gal 3,11 und Röm 1,17 bindet der Apostel die Treue Gottes nicht an den aus der Tora