Meine Seele will endlich fliegen. Hermine Merkl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermine Merkl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991076704
Скачать книгу
Attribute. Ich verlor nicht nur die Haare, sondern auch die Augenbrauen und die Wimpern. Meinem Selbstbild nach war ich gänzlich entstellt. Ich erlebte die Alopezie wie eine Amputation. Mit dem Verlust meiner Haare war für mich ein wesentlicher Teil meines Frau-Seins, meiner Ausstrahlung dahin. Mein Schönheitsideal bekam einen gewaltigen Riss. Doch das Schlimmste daran war für mich diese Ohnmacht, wie dieser Krankheit zu begegnen ist. – Diese tiefe Ohnmacht.

      So begann für mich neben der Schule in den darauffolgenden Jahren eine zusätzliche und vor allem auch emotional sehr anstrengende Odyssee von Arzt zu Arzt, von Heilpraktiker zu Heilpraktiker, um zum einen mögliche Ursachen für diese Alopezie ausfindig zu machen und zum anderen Wege zu finden, diese Diagnose eventuell wieder rückgängig zu machen. Doch das, was mir die Ärzte sagen konnten, war in den meisten Fällen immer nur das Gleiche. In aller Regel war die Antwort zunächst ein Achselzucken bzw. ein Kopfschütteln, dann der Verweis auf die Wechseljahre. Die Ärzte gaben sich alle Mühe meine Schilddrüse auf die richtige Medikamentengabe einzustellen, bzw. meinen Hormon-Status wieder besser in den Griff zu bekommen. Doch die Hoffnung darauf, dass diese Symptomatik vielleicht nur vorübergehender Natur war, schwand mit der Zeit immer mehr. Keiner konnte mir letztlich sagen, worin dieser Haarausfall ursächlich begründet war. Vermutungen gab es viele, doch sie haben mich im Ergebnis nicht weiter- und dem Wunsch auf Heilung leider nicht nähergebracht. Was ich immer wieder gesagt bekam, war letztlich, dass dieser extreme Haarverlust wohl eine Spätfolge der Bestrahlung meines Hodgkin war, und dass ich lernen müsste mit dieser gesundheitlichen Situation zu leben. – Was für ein Schock diese Diagnose für mich als Frau war, das konnte leider niemand nachvollziehen. Für mich selbst war sie so niederschmetternd, dass ich damals bereits einen Großteil meiner Lebensfreude verlor und mich stattdessen tiefe Trauer und ein Gefühl von grenzenloser Ohnmacht ereilte. Wie sehr sich mir dieser psychische Schmerz in den folgenden Jahren noch zeigen sollte, das konnte ich damals noch gar nicht vollständig erahnen. Körperlich so „gezeichnet“ suchte ich noch mehr Ablenkung in meiner Arbeit. Suchte dort etwas wie Trost und Halt. Doch im Grunde genommen versteckte ich mich nur hinter all den beruflichen Aufgaben und war froh, dass es sie gab. Denn je mehr an Arbeit es gab, umso weniger musste ich über mich nachdenken. Welch schwacher Trost. – Kein guter Trost. – Im Grunde genommen war es nur Flucht. Eine Flucht, die mich letztlich zwar mein berufliches Lebensziel erreichen ließ. Doch was war der Preis dafür? – Ein viel zu hoher Preis, den ich dafür zu zahlen hatte.

      2010/11 erkrankte mein Vater und verstarb 2012 an den Folgen diverser Erkrankungen, die sich in den letzten zwei Jahren immer mehr bei ihm gezeigt hatten. Diese erste tiefere Begegnung mit dem Tod eines mir lieben Menschen, der mir so etwas wie Sicherheit gegeben hatte, war schon damals nicht leicht für mich zu verkraften und forderte mich heraus. 2012 wurde ich dann zur Schulleiterin ernannt und hatte somit das Ziel meiner beruflichen Träume erreicht. Was dieser neue Schul- und Standortwechsel für mich im Einzelnen bedeutete, ist Ihnen schon bekannt. Und so gut ich es vermochte und konnte, schritt ich auch weiterhin mutig voran. Schließlich wollte ich so etlichen meiner Visionen von einer gesunden und in die Zukunft weisenden Schule aus dieser Position heraus Leben geben und somit meinen Werten, Idealen und Träumen nach und nach Substanz geben.

      2013 war ich dann wie vom Donner gerührt, als ich eines Abends im Mai von meinem Mann gesagt bekam, dass er sich von mir trennen werde. Das war nun eindeutig zu viel. Mit so einer Hiobs-Botschaft hatte ich in meinem Leben nicht auch noch gerechnet. – Wir hatten zwar seit geraumer Zeit gemerkt, dass unsere Beziehung eine andere Qualität bekam, doch bevor es zwischen uns überhaupt zu einem klärenden Gespräch kam, war mein Partner bereits eine andere Beziehung eingegangen. 2014 wurde unsere Ehe dann geschieden, trotz insgesamt zwanzig Jahren intensiver Verbundenheit und vieler glücklicher Stunden. Doch das Glück entzieht sich uns, wenn wir vergessen, es regelmäßig zu hegen und zu pflegen. – Und an diesem Vergessen waren wir leider beide beteiligt. Jeder von uns auf seine Art.

      2015 lernte ich dann einen anderen Mann kennen. Ich war mal wieder bis weit über beide Ohren verliebt. Und dieser Partner erwiderte diese Liebe. Ich hatte mit solch intensiven Gefühlen nach all dem Trennungsschmerz von meinem Ex-Mann gar nicht mehr gerechnet. Doch da ich beruflich sehr stark eingebunden war, und es mir aufgrund der Trennung so lange Zeit überhaupt nicht gut ging, war ich mehr als dankbar für diese sich neugestaltende Beziehung, denn dieser Mann kam zu einer Zeit in mein Leben, als ich dieses schon fast aufgeben wollte. Ich war folglich nicht nur verliebt, sondern auch dankbar, dass er mich von diesem Vorhaben abhielt. – Sollte es mir tatsächlich wieder möglich sein, dieses verletzte Herz zu öffnen? – Sollte ich vom Leben eine neue Chance bekommen, sodass die alten Wunden der Trennung wieder heilen können? – Wie ein „Backfisch“ war ich verliebt bis über beide Ohren. Und so gab ich mich den Träumen von einer wunderschönen neuen Liebe und Partnerschaft hin. Schade nur, dass diese Beziehung, die für mich so vielversprechend begann, 2016 ein äußerst tragisches Ende dadurch nahm, dass dieser Mann mit all seinem Bemühen nicht wirklich mich meinte, sondern nur an meinem Geld interessiert war. So wurde dieser „Traum von einer neuen Liebe“ für mich zu einem reinsten Horror-Szenario. Wie sich leider herausstellte, hat er mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen um sehr viel Geld betrogen. Was für eine erneute Demütigung. – Was für eine Verletzung. – Was für ein Schock. – War ich denn überhaupt noch bei Sinnen? – Wie konnte das denn überhaupt geschehen? – Warum hat sich mein Verstand in all der Zeit nicht gemeldet? – Warum vertraute ich so sehr einem Gefühl von Verliebt-Sein? Ich könnte mir an dieser Stelle noch viele Fragen stellen, doch letztlich wozu? – Das Drama war bereits geschehen.

      Durch diese Geschichte habe ich letztlich ganz das Vertrauen in mich selbst, in meine Gefühle und in all mein Handeln verloren. Mein Geist, mein Verstand, meine Vernunft hatte so was von ausgesetzt. Im Nachhinein scheint mir, war ich damals, was diese Geschichte anging, nicht mehr Frau meiner Sinne. Wer da am Werk war mit Denken, Handeln, Reagieren und Tun, diese Frau kannte ich nicht. Diese Frau war mir so was von fremd. Und was das Schlimmste war: Ich konnte nicht wirklich darüber sprechen, weil ich mich so unwahrscheinlich schämte. Dass mir so etwas passieren sollte, das konnte und wollte ich einfach nicht glauben. In mir sträubte sich alles ob einer solchen Realität. Und doch wurde genau dies meine Realität. Eine weitere sehr traurige Realität. Und für mich das „i-Tüpferl“ an persönlichem Leid kennen Sie bereits: Der Tod meines Zwillingsbruders. – Mir war, als sei mit seinem Tod auch ein großer Teil von mir gestorben. – Einfach mit ihm fort gegangen. Unauffindbar und unerreichbar weggegangen. Können Sie sich vorstellen, dass ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch dachte: Warum er? – Warum nicht ich? – Warum musste ich bleiben? – War das fair?

      5

       Zusammenbruch und was dann?

      Meine dienstlichen Pflichten erfüllte ich nach dem Tod meines Bruders (im Januar 2016) noch bis Mai dieses Jahrs, doch dann brach mein Körper-Geist-Seele-System komplett zusammen. Dann brach genau genommen meine Welt, die sich in all den letzten Jahren ohnedies schon in so vielen Ausnahmezuständen befand, vollkommen in sich zusammen.

      Um mich von all der Trauer und dem Schmerz bestmöglich abzulenken, wurde ich immer mehr so etwas wie eine Arbeitsmaschine in Menschengestalt. Doch schade nur, dass sich auch im Feld Schule zu dieser Zeit immer mehr Situationen ergaben, die zum Teil für mich mitunter auch kränkend waren. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hörte mein „System“ nur noch Kritik, Kritik, Kritik … – Und gerade dieses negative Erleben „feuerte“ zusätzlich meine negativen Glaubenssätze an. Sätze wie „Du bist einfach nicht gut genug. Du kannst das nicht. Erfolg hast du nicht verdient. Um Erfolg zu haben bist du nicht geboren.“ Meine innere Kritikerin lief auf Hochtouren. Und was das Schlimmste war, diese Kritikerin ließ sich nicht mehr abstellen. Sie schrie bei Tag und bei Nacht. So gut ich konnte, arbeitete ich dagegen an. Was mir jedoch immer seltener gelang. Diese Stimme, dieser negative Klangkörper, dieser Feind in meinem Kopf, er war omnipräsent. Und er raubte mir zusätzlich viel an Elan, an Esprit, an Lebens-Energie. Er war wie ein Virus, der sich in einem viel zu schwachen Immunsystem mit brachialer Gewalt in jede Zelle bohrte und sie begierig auffraß. Und ich konnte dagegen nichts unternehmen. War im Grunde genommen wie gelähmt. Nicht mehr Frau meiner Sinne. Nicht mehr im Besitz meiner Kräfte.

      Dieser Virus verselbstständigte sich und zeigte sich zusätzlich zu all den Körpersymptomen,