Michael van Orsouw
Ab nach Paradiso – Ein Reisebericht
Hinwil – Thalwil – Oberwil
– Hunger hani.
– Hesch de Chueche scho gässe?
– Simmer scho e Schtund gfahre?
– Mindischtens. I zwee Schtund simmer z’Lugano.
– I dem Neigezug wird’s mier immer e chli schlächt. Ich wirde seechrank.
Rigi – Mythen – Gitschen
– Ouh, hesch gschtämpfled?
– Ich bi nümme im Alter, wo me schtämpfeled …!
– Abgschtämpfled meini dänk.
– Klar. Ich fahre nid s’erscht Mol is Tessin.
Nebel – Regen – Wolken
– S’Poschtauto fahrt nume bis zur Talschtation.
– Det simmer au scho gsy, weisch no? Mit em Bruno. Isch aber lang här.
– Aber mer hed so wenig Ziit zum Umschtiige.
Fronalpstock – Chaiserstock – Wanderstock
– Wieso hemmer do kei Empfang?
– Hesch Swisskomm oder Sonnreis?
– Schiis Tunnel.
Zugersee – Lauerzersee – Urnersee
– I dem Grotto dete gits im Fall au Gschnätzlets.
– Isch aber e chli wiit im Tal hinne.
– Macht nüt, ich ha s’Ge-Aa. Das Grotto isch ebe au günschtig.
– Polänta hani mega gärn.
Galerien – Autobahn – Tunnels
– Mier isch langwiilig.
– Hed är scho zrugg gschribe?
– Chumm, mier schicked es Föteli.
– Vu was?
– Vu üs im Zug.
Breganzona – Berzona – Bellinzona
– Äntlich Sunne! Mis Härz gohd uf.
– Ich cha grad anderscht schnuufe.
– Aber es isch au scho umgekehrt gsy.
Gribbio – Stabio – Morbio
– D’Reis isch scho e chli aaschträngend.
– Ich muess ufs We-Ze. Aber ich verheb’s, wil’s amigs eso gruusig isch.
…
– Lueg emol, sovill Schtei.
– Do chasch jo grad go chiise.
Cavallino – Caprino – Riazzino
– Und dette, die Marronibäum!
– Und die Farbe.
– De Cämpingplatz liid au nid grad schön.
– Ich chumme grad Luscht über uf en Espresso.
– Oder uf Schpaghetti!
Prossima fermata: Lugano. Cambiare al Paradiso.
Die neuen Postillione
Erzählpassagen am Gotthard
Alexander Honold
Seit spätestens Mitte des 18. Jahrhunderts stellt die von den Hauptkämmen der Alpen gebildete, geografisch weitgehend in west-östlicher Richtung verlaufende Gebirgsbarriere nicht mehr nur eine landschaftstopografische Herausforderung dar.1 Sie markiert auch und vor allem eine produktive Grenzlinie des kulturellen Imaginären, die Mitteleuropa von den Sehnsuchtsorten Italiens in einer so elementaren Weise trennt, wie die Kälte von der Wärme geschieden ist, die Nacht von der taghellen Sonne, das falsche Leben vom richtigen. Der Gotthard erhält so eine Schwellenfunktion.
Gerade die grossen Alpenpässe können als nochmals verdichtete und gesteigerte Form dieses Spannungsverhältnisses aus Verharrungskraft und Dynamik betrachtet werden, sind sie doch Schwellenorte par excellence. Die Gotthard-Region scheint mehr als andere solcher Passierstellen aus Sicht der Reisenden zu einer gewissen Eigenwilligkeit und Querständigkeit zu tendieren; die auf dieser Strecke liegenden Talschaften sind keineswegs geschaffen oder bereit, ganz und gar in dem Zweck ihrer raschen Durchquerung und Überwindung aufzugehen.
Durchbruch am Berg
Der Bau der Gotthard-Eisenbahn Ende des 19. Jahrhunderts, eine der ingenieurstechnischen Grosstaten des industriellen Zeitalters, hatte diese Bergregionen in fundamentaler Weise umgestaltet. Da rückte ein Gebiet plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses von internationalen Politikern und Bankiers, das sich ja immer schon in der Mitte Europas befunden hatte, auch wenn es sich über lange Zeiten hinweg arg abgeschnitten vorgekommen war. Von den Szenen, die sich beim Bahnbau zwischen 1872 und 1882 abspielten, berichtet Martin Stadler im bebilderten Prosaband Die neuen Postillione. Gemeint sind mit diesen «neuen Postillionen» die Boten des Eisenbahnzeitalters, die den alten Saumweg über den Gotthard nicht mehr benötigten, sondern nun durch den neuen und rekordlangen Tunnel ganz reibungslos binnen Minuten ins Tessin gelangten.
Immer vehementer war in den Jahrzehnten davor die Frage eines Alpendurchstichs für die Eisenbahn erörtert worden, welcher als die konsequente Folge einer überregionalen Verkehrsplanung erschien. Neben dem Gotthard waren auch andere Pässe für die Trassenführung der Bahn im Gespräch, etwa der Simplon oder der Splügen, für den sich vor allem der Bündner Politiker und Ingenieur Simeon Bavier mit Nachdruck einsetzte. Die Priorisierung des Gotthards ging letztlich auf das Betreiben des Zürcher Unternehmers Alfred Escher zurück, der nach seinem Wechsel an die Spitze dieses Bauprojektes 1873 mit dem bekannten Koller-Gemälde von der Gotthardpost geehrt wurde,2 das nochmals eine Szenerie leuchten lässt, die nun bald der Vergangenheit angehören würde.
Der Genfer Unternehmer Louis Favre hatte die Auftragsvergabe für den Tunneldurchstich nicht nur deshalb erhalten weil er als «Fachmann des Tunnelbaus galt», sondern vor allem, weil er niedrige Gesamtkosten und eine Bauzeit von nur acht Jahren kalkuliert hatte (was allerdings dann faktisch nicht eingehalten werden konnte). In den 1870er- und 1880er-Jahren kam ein gewaltiger Aufschwung ins Tal: «Baustellen schossen aus dem Boden, das Handwerk blühte, die Steinbrüche des Reusstales fanden Kunden, Transporte waren nötig, die Beizen machten erhöhte Umsätze, Arbeiter brauchten Unterkünfte.»3 Es entspann sich offenbar seinerzeit eine ganz ähnlich überhitzte und kurzatmige Betriebsamkeit, wie sie die Schriftstellerin Zora del Buono für die jüngste Bautätigkeit im Rahmen des NEAT-Tunnelbaus in ihrer 2015 vorgelegten Novelle Gotthard schildert. Dort memoriert einer der Protagonisten, ein Enthusiast der Eisenbahn und ihrer Geschichte mit dem sprechenden Namen «Bergundthal», unablässig die magischen Gedenkzahlen des früheren, nun schon 140 Jahre zurückliegenden Tunnelbaus und der späteren Durchstiche. «199,19,8»; «199 umgekommene Arbeiter waren es beim Eisenbahntunnel gewesen, 19 beim Autotunnel, und bislang 8 auf der aktuellen Baustelle.»4