Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Schrappe
Издательство: Bookwire
Серия: Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429060107
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Pastoralmonopols“ wird besonders für die „Darsteller“, sprich hauptamtlich Tätigen, ein kräftezehrendes Unterfangen. „Der territorial umschriebene, pastorale Verantwortungsbereich wird weniger als Freiraum verstanden denn als Anspruchsrahmen. Vor diesem Hintergrund messen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Idealen einer – meist fiktiven – Glanzzeit pfarrlichen Lebens, an denen sie letztlich nur scheitern können. Deutlich wird diese Denkstruktur etwa dann, wenn ein Pfarrer verkündet, er sei Seelsorger von mehreren tausend Gläubigen. Das kann für beide Seiten nicht gut ausgehen.“26

      Gesellschaftlicher und kultureller Wandel schlägt sich nieder in veränderter kirchlicher Praxis und Religiosität. Gesellschaftliche Megatrends wie Individualisierung und Pluralisierung lassen Gegentrends auf der Ebene soziokultureller Lebenswelt entstehen. Das neue Modell von Religiosität lässt sich umschreiben mit einer „selbstreferenziellen Religiosität“, einem gesellschaftlichen Transformationsprozess weg von der Wiederholung des ewig Gültigen hin zu einer lebenslang suchenden Identität.27

      Gemeindeseelsorger sind durch ihre breit gestreuten Arbeitsfelder von diesem Wandel existentiell betroffen. Wenn es um die Beschreibung eines neuen Umgangs mit Religion und Kirche geht, ist es Anliegen dieser Arbeit, diejenigen in den Blick zu nehmen, die mit Beruf und Biographie für Religion und Kirche stehen. Sich mit der Gestaltung von Veränderung in Organisationen zu beschäftigen, bedeutet, eine aktive Rolle in der Personalentwicklung einzunehmen.

      Im Folgenden werden exemplarisch einige gesellschaftliche Signaturen und Veränderungen im kirchlich-praktischen Vollzug mit daraus resultierendem möglichem Kränkungspotenzial für hauptberufliche Seelsorger beschrieben. Verschiedene Phänomene gewandelter Religiosität werden auf ihr Verunsicherungspotenzial für die pastoralen Dienste hin beleuchtet.

       2.1 „... dabei hatte ich mir solche Mühe gegeben.“ – Relevanzverlust durch Pluralisierung als Anfrage an das Selbstverständnis von Seelsorgern

      „Die territorial verfassten Ortsgemeinden sind als Sozialform des Glaubens ungenügend und leiden unter hochgradiger Irrelevanz. Da sie immer noch lokal gebunden und somit wohnraumorientiert sind, verfehlen sie die größeren Lebensräume, in denen sich Menschen mit wechselnden Kombinationen ihrer Lebensorte und Beziehungen bewegen.“28 Viele Pfarreiseelsorger fühlen sich damit auch in ihrer Rolle als „hochgradig irrelevant“.29

      Kirche steht unter dem Zustimmungsvorbehalt ihrer eigenen Mitglieder. Anders als in Zeiten der herkunftsbezogenen religiösen Schicksalsgemeinschaft steht damit auch der einzelne Seelsorger mit seiner fachlichen und personalen Kompetenz unter Beobachtung und wird als Vertreter der Institution Kirche beurteilt. Das kognitive Wissen um eine Pluralisierung der Anbieter auf dem Gebiet der Sinnstiftung, der Kultur- und Freizeitgestaltung nimmt dem einzelnen Seelsorger als „Mitanbieter“ nicht den Schmerz, selbst mit großem Zeitaufwand und hoher Profession eine Predigt oder einen Elternabend vorbereitet zu haben und dann zu erkennen, dass alternative Angebote oder die häusliche Entspannung attraktiver waren. Heterogene Ansprüche in der Pastoral sind Ausdruck einer Deregulierung. Es ist kaum vorhersehbar, welche Gottesdienste gut besucht sein werden, welche Bildungsangebote auf Resonanz stoßen.

      Die „Marktsituation“ der katholischen Kirche zu akzeptieren, fällt vielen Mitarbeitern, insbesondere im pastoralen Bereich schwer. Bucher unterscheidet dabei verschiedene Motive: Diese kritische Position gibt es in einer „konservativen, institutionsstolzen“ wie in einer „progressiven, kapitalismuskritischen Variante“.30 Die Abwehrreaktion ist verständlich, wenn der Eindruck entsteht, die Kirche hätte ein „austauschbares Produkt“ anzubieten, was zugleich impliziert, dass auch die Anbieter und Verkäufer austauschbar sind.

      Als ein weiterer, nicht zu unterschätzender Kränkungsfaktor ist in diesem Zusammenhang die steigende Zahl der Kirchenaustritte zu nennen. Die „Transformation der Kirche von einer Zwangs- in eine Freiwilligengemeinschaft“31 bedeutet, dass die Kirchenmitgliedschaft dem Kosten-Nutzen-Kalkül des Einzelnen unterstellt wird.

      Sowohl eine Organisation als auch der einzelne in ihr und für sie Tätige muss damit umgehen, dass man nichts, oder zumindest nicht viel von ihr wissen will. Der Stolz „dazuzugehören“ schwindet bei haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Hier unterscheiden sich Institutionen nicht allzu sehr von Personen: Beide sind gekränkt. Als nahe liegende Möglichkeit der Deutung und Reaktion nennt Bucher die depressive Passivität, welche die Ausgetretenen als „Abgesprungene“ und „Abtrünnige“ denunziert; als Gegenstück dazu findet sich bei nicht wenigen, insbesondere jüngeren Seelsorgern die Flucht in den betriebsamen Aktivismus, welcher auf Kränkungslinderung durch betäubende Selbstbeschäftigung hofft. Beide Kränkungsstrategien sind theologisch wenig reflektiert, sozialpsychologisch jedoch verständlich.

      Die rückläufige Zahl der Gottesdienstbesucher, die weder durch ansprechende Predigten des Pfarrers noch durch kindgerechte Gestaltung der Gemeindereferentin oder durch lange Vorbereitung im Liturgieausschuss aufgehalten wird, birgt hohes Kränkungspotenzial für die pastoralen Mitarbeiter. Die aufwändig vorbereitete liturgische Nacht für die Jugend war nicht für eine Kleingruppe gedacht, die sich am Ende, trotz schummrigen Lichtes und abgeteilter Kirchenbänke noch im Kirchenraum verliert. Der Jugendkreuzweg, der überwiegend aus Teilnehmern des Vorbereitungsteams besteht, ist eine Enttäuschung für den Dekanats- oder Diözesanjugendseelsorger.

      Pluralisierung der Geschmacksmilieus und der spirituellen Bedürfnisse führt zur Notwendigkeit pastoraler Differenzierungen und Pluralisierung auch innerhalb der Pastoral. Dabei muss die bestehende kirchentreue „Klientel“ gehalten und „gepflegt“ werden, neue Adressatenkreise, Milieus und Zielgruppen gilt es zu erschließen und anzusprechen. Seelsorger sehen sich heute einer großen Bandbreite an liturgischen Erwartungen gegenüber: Da ist die „relativ stabile und große Zahl von motiviert praktizierenden Gliedern der Kirche, die sich für eine lebendige und glaubwürdig gefeierte Liturgie am Ort ihres kirchlichen Lebens einsetzen. Unübersehbar ist aber zweitens die nicht zu unterschätzende Zahl der traditionell oder traditionalistisch eingestellten Gemeindemitglieder, die sich in der Tridentinischen Messe beheimatet fühlen und oder zu ihr wegen einer überbordenden liturgischen Experimentierwilligkeit in Pfarreien und anderen kirchlichen Gemeinschaften Zuflucht nehmen. Daneben gibt es drittens eine große und stets größer werdende Zahl von Kirchenmitgliedern, die ihre Kirchenzugehörigkeit weitgehend passiv leben und vor allem oder nur an den Hochfesten und an den Knotenpunkten ihres Lebens unter Tatbeweis stellen und die deshalb vor allem passagerituelle Erwartungen an den Gottesdienst der Kirche herantragen. Viertens ist an jene Kirchenglieder zu denken, die zwar getauft sind, aber sich eigentlich in einem präkatechumenalen Zustand aufhalten und die man am ehrlichsten als getaufte Katechumenen bezeichnet. Nicht zu vergessen ist fünftens die bedrängend große Zahl von Randchristen und Fernstehenden, von Konfessionslosen und Ungetauften in der heutigen säkularen Gesellschaft, die dennoch relativ hohe Erwartungen an die gottesdienstliche „Dienstleistung“ der Kirche haben.“32 Wenngleich in allen genannten Erwartungsmilieus die Sehnsucht nach „Wandlung“ und „Verwandlung“ zu spüren ist – in je eigener Ausformung und Ausdrucksweise –, wissen der Priester und die Seelsorger vor Ort um die Unmöglichkeit der Befriedigung aller Bedürfnisse. Es gilt der Gefahr überzogener Partizipationsansprüche gegenüber Menschen mit geringer Kirchenbindung zu begegnen.

      Das breite Panorama der Spiritualitäten wird in jeder Eucharistiekatechese deutlich, wenn die Bandbreite der elterlichen Gestaltungsvorschläge vom esoterischen Naturerleben einer Nachtwanderung mit Baumverehrung bis hin zur verpflichtenden Teilnahme an wöchentlichen Rosenkranzandachten für Kinder reicht. Der einzelne Seelsorger kann sich nun entscheiden, von welcher Seite er Kritik, Lob, Unterstützung oder Widerstand im Gemeindealltag riskieren, ertragen und theologisch verantworten kann.33 Und immer sieht er sich unter dem Erwartungsdruck, Positionen vertreten zu müssen, die er selbst kaum verantworten kann.34

      Eine Pluralität der Kirchenbilder impliziert auch divergierende Vorstellungen von Leitung und Kirchlichkeit: Der Wunsch nach mehr Strenge und klarer Struktur steht neben der Forderung nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung. Der Seelsorger vor Ort sieht sich selbst innerkirchlich einer Vielzahl von Spiritualitäten,