Berührungsängste im Diskurs zwischen Kirchenpraktikern und akademischer Theologie können und müssen abgebaut werden. Die gegenseitige Beschreibung mit Defizitmodellen ist kontraproduktiv. Weder hat die Praxis den Part der ständigen Korrekturbedürftigkeit noch hat die Theorie das Monopol der normativen Orientierung. Kirchliche Verantwortungsträger müssen der Gefahr widerstehen, die Theologie in ihrem Sinne zur Legitimation des Bestehenden „domestizieren“ zu wollen. Praktische Theologie ihrerseits verliert an Relevanz, wenn sie z.B. in Lehramt oder Organisationsvertretern nur einen widerständigen und theologieresistenten Gegenpol sieht.4 Übersetzungsarbeit ist zu leisten und es gilt Brücken zu bauen. Diese Arbeit versteht sich als eine „Brücke“. Mein Anliegen ist es, die Rolle der Personalentwicklung in gegenwärtigen diözesanen Transformationsprozessen theologisch zu reflektieren, um daraus Handlungsleitlinien für Personalarbeit in diözesanen Strukturen abzuleiten.
2 Kehl Medhard, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 1994, 189.
3 Haslinger Herbert / Bundschuh-Schramm Christiane / Fuchs Ottmar / Karrer Leo / Klein Stephanie / Knobloch Stefan / Stoltenberg Gundelinde, Praktische Theologie – eine Begriffsbestimmung in Thesen, in: Haslinger Herbert u.a. (Hg.), Handbuch Praktische Theologie Band 1, Grundlegungen, Mainz 1999, 386-397, hier 393.
4 Vgl. ebd., 394.
1. Einleitung und Hinführung
Der Glaube an Gott und die Glaubwürdigkeit von Kirche wird von vielen Menschen mit Erfahrungen mit konkreten Vertretern der Kirche in Verbindung gebracht. Der massive Vertrauensbruch im Jahr 2010 durch aufgedeckte Missbrauchsfälle in der Kirche gibt trauriges Zeugnis davon. Die Verfehlungen einzelner kirchlicher Repräsentanten in Gegenwart und Vergangenheit, theologische oder zwischenmenschliche Verwerfungen innerhalb der Kirche finden breite Öffentlichkeit. Personal steht für Kirche.5 Auch wird Kirche nach wie vor maßgeblich mit Pfarrei und den dort agierenden Personen identifiziert. Immerhin nutzen und schätzen – laut MDG-Trendmonitor, Religiöse Kommunikation 2010 – nach eigenen Angaben noch 40 % der Katholiken „das persönliche Gespräch mit Pfarrer oder anderen Seelsorgern oder Aktiven in der Kirchengemeinde.“6 Wenngleich Medien wie Pfarrbrief und Bücher von Katholiken als Informationsquelle gern genutzt werden, wird zugleich erkennbar, „dass ein persönliches Gespräch mit dem Pfarrer oder anderen Aktiven in der Kirchengemeinde vielen Katholiken weit mehr bedeutet als die meisten Medienkontakte.“7 Umgekehrt werden „vor allem Unter-30-Jährige, Katholiken, die nicht in die Kirche gehen und auch sonst keine persönlichen Kontakte zu Priestern oder anderen Aktiven haben, nur ‚schwach‘ oder ‚gar nicht‘ von kirchlichen oder religiösen Medienangeboten erreicht.“8 Personal steht für das Bild von Kirche, für Qualität und Glaubwürdigkeit.9 Vertreter pastoraler Dienste verkörpern in Person und in Auftreten katholische Kirche und die Relevanz christlicher Positionen. An ihrem Handeln wird abgelesen, um was es Kirche geht. Selbst in der evangelischen Kirche, so belegen es die Wiedereintrittsstudien der EKD, bestimmen die Erfahrungen mit Pfarrerinnen und Pfarrern die Einstellung zur Kirche weitaus mehr, als es der evangelischen Grundüberzeugung vom allgemeinen Priestertum entspricht.10
Eine erstaunlich hohe Zahl (57 %) der im MDG-Trendmonitor 2010 Befragten, die sich selbst als „der Kirche kritisch verbunden“ bezeichnen, berichten von „guten persönlichen Kontakten“ zu Pfarrer oder pastoralen Mitarbeitern.11 Die Bindung an die eigene Pfarrgemeinde und an die Personen vor Ort hat sogar trotz vielerorts vollzogener Zusammenlegung zu größeren Seelsorgeeinheiten nicht abgenommen.12 „Per Saldo ergeben sich keine Hinweise darauf, dass Katholiken in Pfarrverbänden weniger persönlich Kontaktchancen zu hauptamtlichen Kirchenmitarbeitern haben oder diese seltener nutzen.“13
Potenzialorientierte Personalentwicklung geht davon aus, dass Mitarbeiter wertvolle Katalysatoren in Veränderungsprozessen sein können, wenn die Organisation, in der sie arbeiten, lernbereit ist und diese Grundhaltung sich in den Ablaufprozessen und Aufbaustrukturen niederschlägt. Zu leisten ist hier die theologische Reflexion. Dabei geht es nicht um temporäre Anleihen aus dem Management, sondern um das Wesen von Kirche selbst. Praktische Theologie setzt im Sinne der Pastoralkonstitution bei den Erfahrungen der Menschen an, bei den Hoffnungen, Trauer- und Leiderfahrungen des eigenen kirchlichen Personals und deren Personalverantwortlicher. „Praktische Theologie muss ... alle potentiellen unmittelbaren Erfahrungen der Menschen berücksichtigen, was sie wahrnehmen und übersehen, begehren und erleiden, tun und ahnen, wissen und bedenken, erhoffen und bezweifeln, bewirken und planen, verpassen und erreichen – und dies alles in kommunikativen Vernetzungen und Kontexten.“14 Die Berufszufriedenheit und die Schaffenskraft des pastoralen Personals, das Gefühl der Überforderung und die Enttäuschungen, die Visionen und das kreative Potenzial des pastoralen Personals sind theologische Orte, die Auskunft geben über die Situation von Kirche in Deutschland.
Die beiden großen Kirchen sind mit etwa 1,3 Millionen Beschäftigten die größten nichtstaatlichen Dienstleister in Deutschland. Pastoraltheologie darf sich deswegen nicht nur am Subjekt oder einzelnen Personengruppen orientieren. Sie muss Antwort geben auf die Anfragen und Anforderungen der kirchlichen Organisationsentwicklung, um Prozesse der Kirchenbildung in einer Organisationsgesellschaft praktisch-theologisch, sozialwissenschaftlich und ekklesiologisch zu reflektieren.15
Die Anforderungen an Personalentwicklung im Bereich des pastoralen Personals wachsen. Die Zahl der Diakone und hauptberuflichen Laien steigt jährlich und verändert die Personalstruktur. Die Anzahl der Ständigen Diakone (in Hauptberuf und mit Zivilberuf) hat sich in deutschen Diözesen seit 1990, dem Beginn der statistischen Erhebung, verdoppelt auf insgesamt 2972 Personen in 2009. Auch die Zahl der Pastoralassistenten/-referenten hat sich seit 1990 bis 2009 verdoppelt auf 3081 Personen, während sich die Zahl der Gemeindeassistenten/-referenten seit 1990 von 3612 auf 4500 Personen im Jahr 2009 erhöht hat.16 Die Zahl der Welt- und Ordenspriester im aktiven Dienst hat seit 1990 von 15166 auf 10182 Personen reduziert.17
Weil davon auszugehen ist, dass der Rückgang der Priesterzahl ein höchst stabiler Trend ist, kann man mit minimaler statistischer Irrtumswahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es um 2020 noch halb so viele aktive Priester geben wird, wie im Jahre 2000, um 2035 nur ca. ein Drittel. Die statistischen Entwicklungen lassen die Absicht vermuten, so viele hauptberufliche Laien zusätzlich einzustellen, wie es an Priestern und Diakonen fehlt. Dies hat massive Auswirkungen auf die Architektur der kirchlichen Personalstruktur, auf Selbstverständnis und Funktionen. Fundamentale Rollen- und Aufgabenveränderungen ergeben sich darüber hinaus aus gesellschaftlichen Veränderungen.
Eine besondere Herausforderung für die Personalentwicklung bedeutet zudem die Tatsache, dass bei jungen Theologen, die einen kirchlichen Beruf anstreben, nicht mehr selbstverständlich von einer kirchlichen Sozialisation, einer Verwurzelung im Volk-Gottes-Bewusstsein durch Erfahrung blühender Heimatgemeinden ausgegangen werden kann. Hier bekommt Personalentwicklung in der Phase der Berufseinführung und Berufsbegleitung neue Bedeutung.
1.1 Ziel der Arbeit
Das Thema Personalentwicklung wird bewusst als Thema in der Pastoraltheologie angesiedelt. Weil Personalarbeit theologische Relevanz hat, bedarf sie der wissenschaftlichen Reflexion. Sie ist ein Themenfeld Praktischer Theologie und muss als eine der Weisen der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis verstanden werden.
Eine Theorie von Organisations- und Personalentwicklung hat in allen Fragen eine theologisch ethische Reflexion zuzulassen. Die Glaubwürdigkeit der Organisation Kirche setzt voraus, dass sich Struktur und Botschaft,