Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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geblieben sind, werden ihre Lehen entzogen.«34 In der Tat haben mehrere weltliche Herren, die bei der Heerschau als abwesend ermittelt worden waren, ihre Lehen verloren, besonderes Aufsehen erregte es jedoch, daß auch Erzbischof Hartwig von Bremen und Bischof Ulrich von Halberstadt von der Strafe betroffen waren, zwei Gegner Heinrichs des Löwen, die sich ihrer Pflicht entzogen hatten. Auf die gleiche Art hätte sich der Konflikt um das Herzogtum Bayern schnell und einfach lösen lassen, denn auch Heinrich Jasomirgott war nicht beim Heer erschienen, doch in seinem Falle wollte der König den Konflikt vermeiden und das Einvernehmen suchen.

      Heinrich der Löwe hatte im Gefolge Friedrichs I. bisher erhebliche Förderung erfahren, doch dem Vorteil solcher Königsnähe standen Risiken gegenüber, die sich aus der zeitweiligen Ferne vom eigenen Herrschaftsgebiet ergaben. Besonders während der Italienzüge standen alle Großen des Reiches unter dieser Spannung von Gewinn und Gefahr, weil Feinde und Konkurrenten die voraussehbar längere Zeit der Abwesenheit leicht nutzen konnten. Das mußte auch Heinrich der Löwe erfahren, denn noch im Oktober/November nahm Erzbischof Hartwig von Bremen die Burgen Stade, Bremervörde, Harburg und Freiburg an der Oste, die Heinrich 1145 besetzt hatte, wieder ein und ließ sie gegen den Herzog befestigen. Bedenklicher als dieser örtlich begrenzte Angriff war allerdings ein Treffen ostsächsischer und bayerischer Magnaten im Böhmerwald, an dem möglicherweise Heinrich Jasomirgott teilnahm und zu dem auch Erzbischof Hartwig geladen war, denn dort schien sich eine breit angelegte Opposition zu formieren. Zwar verlegten Leute des Herzogs dem Erzbischof seinen Rückweg nach Bremen, so daß er fast ein Jahr in Ostsachsen bleiben mußte,35 das änderte aber nichts am beunruhigenden gegnerischen Potential, dessen wirkliche Stärke vorerst schwer abzuschätzen war, das sich jedoch alsbald wieder bemerkbar machen sollte.

      Durch den Tod Vicelins am 12. Dezember 1154 war das Oldenburger Bistum vakant geworden. In Vertretung ihres Gemahls wollte Herzogin Clementia für die Nachfolge sorgen, indem sie Gerold dorthin schickte, einen Hofkapellan Heinrichs des Löwen und Leiter der Stiftsschule von St. Blasius in Braunschweig. Damit eröffnete sie eine neue Phase des Dauerkonflikts mit Erzbischof Hartwig von Bremen, denn der mußte Gerold die Bischofsweihe spenden, unterließ es aber hartnäckig. Helmold von Bosau erklärt das mit Hartwigs Abwesenheit,36 doch ist das bestenfalls ein Teil der Wahrheit. Nicht der versperrte Weg von Ostsachsen nach Bremen hinderte den Erzbischof, sondern die Weihe unterblieb in erster Linie deshalb, weil Hartwig die Art der Nachfolgeregelung für unkanonisch hielt. Als Gerold im Januar 1155 dann zu Hartwig reiste und ihn in Merseburg traf, war der Erzbischof eben im Begriff, das Bistum Oldenburg mit einem sächsischen Propst zu besetzen, denn er focht Gerolds Erhebung mit der Begründung an, daß die noch unfertige und bis jetzt fast menschenleere Oldenburger Diözese ohne seine Erlaubnis als zuständiger Erzbischof weder wahlberechtigt noch beschlußfähig sei, und stellte in Aussicht, daß er nach seiner Rückkehr den Fall gemeinsam mit dem Bremer Domkapitel regeln werde. Gerold machte sich daraufhin nach Schwaben auf, um Heinrich den Löwen von dort aus durch Boten zu unterrichten. Der Herzog reagierte ähnlich wie beim Streit um die Investitur der Bischöfe nördlich der Elbe, wollte am zuständigen Erzbischof vorbei direkt mit dem Papst verhandeln und zitierte Gerold sofort zu sich nach Italien, um ihn mit nach Rom zu nehmen.37 Für Gerold sollte die Reise zum Herzog gefährlich werden, denn kaum hatte er Schwaben verlassen, wurde er überfallen, beraubt und durch einen Schwerthieb ernsthaft am Kopf verletzt.

      Zuvor war das Heer des Königs nach dem Aufbruch von Roncaglia am 7. Dezember von zwei Mailänder Konsuln mißgeleitet worden und mußte drei Tage lang durch verlassenes Land ziehen, so daß es zu erheblichen Versorgungsproblemen kam, vor allem fehlte Futter für die Pferde. Die Spannungen wuchsen jetzt rasch, zumal sich mehrere lombardische Städte schon bei Friedrich über Mailand und Tortona beklagt hatten, den engen Verbündeten Mailands. Am 1. Februar ließ Friedrich das von seinen Bewohnern verlassene Asti plündern und niederbrennen, wobei im Streit um die Beute so schwere Gewalttaten verübt wurden, daß der König zur Sicherung des Lagerfriedens scharfe Bestimmungen erlassen mußte, die bei Waffengebrauch gegen eigene Leute Verstümmelung durch Abschlagen einer Hand und in schweren Fällen die Todesstrafe androhten.38

      Als sich das Heer zwei Wochen später der Stadt Tortona näherte, forderte Friedrich die Bürger auf, ihre Allianz mit Mailand zu lösen und sich statt dessen mit dem königstreuen Pavia zu verbünden, doch dieses Ansinnen wurde – wie nicht anders zu erwarten – abgelehnt. Ein daraufhin sogleich ausgeschickter berittener Erkundungstrupp unter Führung von Friedrichs Bruder Konrad, Bertholds von Zähringen und Ottos von Wittelsbach suchte vor Tortona einen Lagerplatz für das Heer, mit dem der König nun heranrückte. Die Stadt lag auf einem Felskegel und war ein nahezu unüberwindliches Hindernis für die deutsche Reitertruppe, der nicht nur die Erfahrung im Belagerungskrieg fehlte, sondern vor allem das entsprechende Gerät. Zwar gelang es Heinrich dem Löwen mit seinen sächsischen Kämpfern schon am 17. Februar, die am Fuß des Berges gelegene Unterstadt von Tortona zu erobern und vollständig niederzubrennen, aber die Oberstadt kapitulierte erst zwei Monate später, nachdem die Belagerer ihre Wasserversorgung unterbrochen hatten. Den Einwohnern wurde freier Abzug gewährt, dann ging Tortona in Flammen auf und blieb den Pavesen zur vollständigen Zerstörung überlassen. Der König nahm das so wichtig, daß er eine Urkunde »während der Zerstörung Tortonas« (in destructione Terdone) datieren ließ.39

      Inzwischen war Gerold am 14. Februar im Lager vor Tortona eingetroffen und von Heinrich dem Löwen und seinem Gefolge freundlich empfangen worden.40 Fortan begleitete er das Heer im Gefolge des Herzogs, der bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Papst Hadrian IV. im Juni 1155 anläßlich von Verhandlungen um die Kaiserkrönung in Grassano bei Sutri bat, Gerold zu weihen. Hadrian hatte jedoch vom Bremer Erzbischof schon einen schriftlichen Bericht erhalten und lehnte ab, weil er Hartwigs Rechte nicht verletzen wollte.41

      In Grassano schilderte der Papst eindringlich die Lage in der Stadt Rom und warnte vor der kommunalen Bewegung, die schon vor zehn Jahren zur Erneuerung des altrömischen Senats geführt hatte und nun selbstbewußt die Rechte von Papst und Kaiser ganz neu definieren wollte.42 So vorbereitet, begegnete der König Mitte Juni einer Gesandtschaft der Römer, deren Mitglieder nach diplomatischem Geschick und Bildungsstand ausgewählt worden waren und nun recht überheblich als Repräsentanten der »Hauptstadt des Erdkreises« (orbis urbs) auftraten. Gegen Zahlung einer hohen Geldsumme und Bestätigung ihrer kommunalen Rechte boten sie dem deutschen König im Auftrag des Senats die Kaiserkrone an. An dieser Stelle unterbrach Friedrich den von ihm als außergewöhnlich arrogant empfundenen Wortschwall, erinnerte an den unwiderruflichen Untergang des alten Rom und sprach aus, wohin sich dessen Qualitäten mittlerweile verlagert hätten: »Auf uns ist dies alles zugleich mit der Kaiserherrschaft übergegangen«, denn »die Hand der Franken und der Deutschen« (Francorum sive Teutonicorum manus) hat Rom durch Eroberung gerettet, und deshalb »bin ich euer rechtmäßiger Eigentümer«.43 Das Ansinnen, eine vor viereinhalb Jahrhunderten durch Karl den Großen begründete Tradition okzidental-christlichen Kaisertums und das mittlerweile dafür konstitutiv gewordene Königswahlrecht der deutschen Fürsten auf Grund tagespolitischer Konstellationen aufzugeben, mußte zwangsläufig abgelehnt werden, aber damit waren schwere Unruhen in der Stadt vorhersehbar geworden. Auf Rat des Papstes schickte Friedrich deshalb ein tausend Mann starkes Vorkommando, das im nächtlichen Handstreich die Leostadt besetzen und die Peterskirche absperren sollte. Am 18. Juni zog der König selbst durch das Goldene Tor in Rom ein, wurde an den Stufen der Peterskirche mit dem Krönungsornat bekleidet und leistete in der Kirche Santa Maria in Turri dem Papst den üblichen Sicherheitseid, bevor er im Petersdom von Hadrian IV. zum Kaiser gekrönt wurde. Anschließend bestieg er mit der Krone auf dem Haupt ein Pferd und verließ unter starker Bedeckung die Stadt, um in sein Lager auf den Neronischen Wiesen zurückzukehren. Kurz darauf brach der erwartete Aufstand aus, bei dem die Römer auch das Lager Heinrichs des Löwen nahe der Stadtmauer angriffen. Heinrich selbst führte den Gegenstoß und brachte nach vielstündigem harten Kampf den Bürgern eine schwere Niederlage bei, so daß »der Name des Herzogs vor allen anderen im Heer gerühmt wurde« (magnificatum est nomen ducis super omnes qui erant in exercitu).44 Für Hadrian IV. war dieser Sieg so wertvoll, daß er dem Herzog Geschenke sandte und am folgenden Tag Gerold zum Bischof weihte. In Sachsen sprach sich Heinrichs Ruhmestat rasch herum und fand in der Geschichtsschreibung des Landes ein breites Echo bis hin zu der im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts im Umkreis der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg verfaßten Braunschweigischen Reimchronik.45