Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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des Königs usurpiert und zwei Amtsbrüder von sich abhängig gemacht hatten. Für die herzogliche Seite handelte es sich dabei keineswegs um eine bloße Prestigefrage, denn wenn Erzbischof Hartwig von Bremen beim Aufbau einer von ihm gelenkten Missionskirche mit den Slawenfürsten kooperierte, würden diese als Christen politisch so aufgewertet werden, daß der Herzog keine Oberhoheit im Land bekommen hätte.78 Am Ende haben Vicelin und Emmehard nachgegeben, wohl im Winter 1150/51, und sich von Heinrich dem Löwen mit einem Stab investieren lassen.79

      Unbehelligt vom König hatte Heinrich der Löwe sich nördlich der Elbe durchsetzen können, denn Konrad III. kam nach schweren Niederlagen gegen die Türken erst im Mai 1149 nach Deutschland zurück und mußte sich sogleich mit Angriffen Welfs VI. befassen, der in Schwaben gegen staufische Positionen vorging. Auf einem Hoftag in Würzburg wollte Konrad am 25. Juli mit den sächsischen Großen verhandeln, um den Konflikt auf Schwaben begrenzt zu halten, aber außer Albrecht dem Bären und einigen wenigen Grafen folgte niemand der Einladung, nicht Heinrich der Löwe und kein sächsischer Bischof. Das mußte im Hinblick auf die mühsam vertagte Frage des bayerischen Dukats als Alarmzeichen gewertet werden, zumal Heinrich wohl 1150 begann, den Titel »Herzog von Bayern und Sachsen« zu führen, der im Mai 1152 zum ersten Mal in einer seiner Urkunden bezeugt ist.80 Für den 13. Januar 1151 lud ihn der König nach Ulm, um ein lehnrechtliches Verfahren zu eröffnen, doch wird gerade diese Ankündigung Heinrich veranlaßt haben, dem Hoftag fernzubleiben und statt dessen mit Heeresmacht von Lüneburg nach Schwaben aufzubrechen, um seinem Anspruch Nachdruck zu verleihen. Clementia blieb, beraten durch Graf Adolf von Holstein, als Regentin in Sachsen zurück.81 Zu ihr kam im Frühjahr 1151 während der Abwesenheit des Herzogs der Abodritenfürst Niklot und beklagte sich über die Kessiner und Zirzipanen, die ihre schuldigen Zinszahlungen verweigerten; Graf Adolf erhielt den Auftrag, gemeinsam mit Niklot den Widerstand zu brechen, und seither gab es enge Beziehungen zwischen beiden, die sich später oft in Lübeck oder Travemünde zu Beratungen trafen.82

      Zur gleichen Zeit ließ Heinrich der Löwe einen Ladungstermin nach Regensburg verstreichen und kam auch im September nicht zum Hoftag nach Würzburg, sondern bekämpfte in Schwaben den Herzog von Bayern, Heinrich Jasomirgott, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Auf die Nachricht von dieser Blockade forderte Albrecht der Bär zusammen mit anderen sächsischen Fürsten Konrad III. auf, nach Sachsen zu kommen und Braunschweig zu belagern.83 Im November folgte der König diesem Ruf und traf sich mit Albrecht dem Bären und weiteren Oppositionellen in Altenburg, um den Feldzug vorzubereiten. Anfang Dezember sammelte sich das Heer in Goslar und versuchte von dort aus, Braunschweig im Handstreich zu nehmen. Die Angreifer waren sich ihres Erfolges sicher, weil sie den Ort für ungeschützt hielten, seit ihnen das falsche Gerücht zugetragen worden war, Heinrich der Löwe wolle das Weihnachtsfest mit seinen Leuten in Schwaben verbringen. Statt dessen stieß der Herzog mit kleinem Gefolge in einem Gewaltritt nach Braunschweig durch und erzielte damit bei seinen sächsischen Anhängern einen solchen Mobilisierungseffekt, daß der König seinen Feldzug abbrach und sich nach Süddeutschland zurückzog.84 Der Vorgang zeigt nicht nur die große Wirkung persönlichen Einsatzes, sondern auch die physischen Anforderungen, denen die Führungselite zu genügen hatte. Immerhin beträgt die Entfernung von Tübingen nach Braunschweig auf heutigen Straßen und Autobahnen gut fünfhundert Kilometer; um das bei winterlichen Bedingungen in kurzer Zeit zu bewältigen, mußte man gut trainiert und angesichts der Unfallgefahr bei schnellem Ritt über große Distanzen mutig sein. Personale Herrschaft verlangte eben nicht nur Eigenschaften, die sich dem Gelehrten in seiner Bibliothek leicht erschließen – politische Begabung, Energie, Durchsetzungsvermögen, geschickte Menschenführung und mentale Belastbarkeit –, sondern auch ein hohes Maß an körperlicher Ausbildung und Einsatzfreude. Beides hat Heinrich der Löwe im Laufe seines Lebens immer wieder bewiesen, und es sind nicht zuletzt diese Eigenschaften, denen er seinen Aufstieg zu verdanken hatte.

      Die größere Welt

      Im Gefolge des Königs

      Nach seiner Rückkehr vom Kreuzzug hatte Konrad III. wegen der Auseinandersetzungen mit Heinrich dem Löwen das Reich nicht mehr verlassen können und auf den traditionellen Romzug der deutschen Könige verzichten müssen. In deren langer Reihe war er der erste seit Otto dem Großen († 973), dem die Kaiserwürde fehlte. Weil seine Gesundheit durch die Herausforderungen des ostmediterranen Klimas und die Anstrengungen der Kämpfe auf der langen Reise gelitten hatte, ließen die Kräfte des alternden Königs seither so spürbar nach, daß es kaum noch Initiativen von seiner Seite gab. Die führenden Köpfe begannen, über die Lebenszeit Konrads hinaus zu denken und nach Lösungen für die Konflikte im Reich zu suchen.

      Dieses Reich bedeutete seit mehr als zwei Jahrhunderten eine Herausforderung für die Integrationskraft seiner Könige, denn es war noch keine Institution mit organisiertem Staatsgebiet, das der König übernehmen und dann regieren konnte, sondern es existierte nur durch den Zusammenschluß und den Konsens seiner politischen Eliten. Diesen Konsens mußten die Könige im Dickicht traditioneller, politischer und familiär-dynastischer Gegensätze immer wieder suchen und erhalten, wobei sie einen guten Teil ihrer Autorität aus der Kaiserwürde bezogen, aus den integrierenden Kräften, die von der römischen Kaiser- und Imperiumsideologie ausgingen.1 Die handfesten Vorteile des kaiserlichen Ranges und der Fortsetzung des antiken römischen Imperiums durch den deutschen König – wirtschaftlicher Nutzen des Zugriffs auf Italien, Festigung der hegemonialen Stellung in Europa, Einfluß auf das Papsttum – dürfen natürlich nicht übersehen werden, weil sie dem deutschen Königreich des Mittelalters beständig neue Energien zuführten, doch die heilsgeschichtliche Würde des Imperiums, die religiöse Verpflichtung des mächtigsten abendländischen Herrschers zum Schutz der Kirche und der Christenheit, steigerte das Selbstbewußtsein und den Sinn für die korporative Zusammengehörigkeit bei den Führungskräften eines Reiches, dessen Könige den Alleinanspruch auf die Kaiserwürde hatten. Sie besaßen und repräsentierten das römische Imperium, und die stolze Gewißheit dieser einmaligen Rolle unter den Königen im lateinischen Europa sollte zum wesentlichen Inhalt des mittelalterlichen deutschen Nationalbewußtseins werden. Die Kaiserwürde verhalf auf diesem Wege einem integrierenden Einheitsdenken zum Durchbruch, das die Franken, Sachsen, Bayern, Schwaben und Lothringer allmählich als Gemeinschaft der Deutschen begriff. So intensiv traditionsbildend hat das Kaisertum gewirkt, daß die deutsche Sprache mit ihrem Wort »Reich« bis heute ohne erläuternden Zusatz keinen Unterschied zwischen Kaiserreich und Königreich, zwischen imperium und regnum, machen kann.

      Diese politische Integration war freilich nur Sache des höheren geistlichen und weltlichen Adels und insofern schichtenspezifisch, denn die erdrückende Mehrheit seiner Bewohner konnte sich das Reich als räumliche Einheit gar nicht vorstellen. Das lag einerseits an seiner Ausdehnung – etwa 900 Kilometer Luftlinie von der holsteinischen Ostseeküste bis zum Alpenhauptkamm, etwa 800 Kilometer von der oberen Maas bis in die Mark Lausitz – und der daraus folgenden schleppenden Kommunikation – von Lübeck nach Wien brauchte ein Reisender etwas mehr als einen Monat, Botenreiter legten in der Ebene bis zu 100, in bergigem Gelände bis zu 50 Kilometer am Tag zurück, eine päpstliche Gesandtschaft eilte in 23 Tagen von Rom nach Goslar2 –, andererseits führte diese Weite des Raums zu einer ausgeprägten und auf vielen Gebieten immer wieder spürbaren Regionalisierung des politischen Bewußtseins. Begriffe wie »Politik« oder »Gesellschaft« lassen sich deshalb für das 12. Jahrhundert im Grunde nicht adäquat verwenden, denn die Menschen der Zeit dachten nicht in solchen abstrakten Kategorien, weil sie »politisches« und »gesellschaftliches« Handeln immer nur als konkrete Aktion zwischen bestimmten Personen in überschaubaren Landschaften begriffen; es gab weder einen isolierend herausgehobenen Politikbereich mit professionell und spezialisiert herangebildetem Personal noch eine auf das gesamte Reich bezogene deutsche Gesellschaft.

      Unter solchen Voraussetzungen kommt es im Rückblick zuallererst darauf an, die beherrschenden personalen Netzwerke zu erkennen und ihr Funktionieren zu verstehen, denn jeder lebte in persönlichen Bindungen, aus denen er auch die meisten Motive für sein Handeln bezog. In einer Welt ohne staatliches Gewaltmonopol boten allein diese Netzwerke dem einzelnen und seiner Familie Schutz, so daß derjenige den meisten Anhang hatte, der am zuverlässigsten schützen konnte. Herrenrecht war an die Schutzpflicht gebunden, allzu grobes Verletzen und Vernachlässigen