Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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Heinrich der Löwe Ansprüche, aber seine Räte meldeten sie nicht an, weil sie sich auf das größere Erbgut der Stader Grafen konzentrieren und den ohnehin schweren Weg zu dessen Erlangung nicht durch ein zweites, kaum weniger kompliziertes und ungewisses Verfahren belasten wollten.

      Unwidersprochen konnte ein Teil des northeim-boyneburgischen Erbes deshalb noch im Jahre 1144 an den Grafen Heinrich von Assel gehen, der die Witwe Siegfrieds IV. von Boyneburg heiratete; den größeren Bestand aber kaufte Heinrichs älterer Bruder, Graf Hermann II. von Winzenburg, dem König Konrad III. noch dazu die Grafschafts- und Vogteirechte Siegfrieds von Boyneburg übertrug, um einen starken sächsischen Bundesgenossen zu gewinnen. Es handelte sich um ein nahezu geschlossenes Herrschaftsgebiet im Raum von Leine, oberer Weser, Werra und Diemel mit Grafschaftsrechten und Burgen, Vogteien über die Klöster Northeim, Corvey, Bursfelde, Gandersheim, Helmarshausen, Heiligenstadt, Flechtdorf und Amelungsborn. Als Hermann von Winzenburg das soeben erworbene Kloster Northeim und sein eigenes Hauskloster Reinhausen der Mainzer Kirche gab und im Gegenzug vom Erzbischof alle Mainzer Kirchenlehen im südlichen Sachsen erhielt, formierte sich eine beachtliche Position gegen Heinrich den Löwen.

      Heinrichs Räte reagierten schnell. Am 23. Juli 1144 ließen sie den Erzbischof von Mainz um die Beglaubigung einer Urkunde bitten, mit der Heinrich der Löwe dem Kloster Bursfelde alle Rechte und Freiheiten bestätigte, die sein Urgroßvater Heinrich von Northeim dem Kloster einst verliehen hatte. Dem Vertragspartner des Winzenburgers war damit in schriftlicher Form bekanntgemacht, daß Heinrich der Löwe legitimer und vollberechtigter Erbe (legitimus ac iustissimus heres) des Northeimers war.55 Unter den Urkundszeugen Heinrichs des Löwen finden wir die Grafen Poppo von Blankenburg und Liudolf von Wöltingerode zusammen mit den Ministerialen Liudolf von Dahlum, Anno von Heimburg und Berthold von Peine, die uns schon am Hof der Kaiserin Richenza begegnet sind. In dieser ersten Urkunde, die Heinrich den Löwen als Aussteller nennt, lernen wir aber noch weitere Personen kennen, die mit ziemlicher Sicherheit zum süpplingenburgisch-welfischen Hof gehört haben, der nach 1142/43 die Belange des Erben selbständig vertreten hat, nämlich die Äbte Eberhard von Königslutter, Wolfram von Lüneburg und Vicelin von Northeim, die Pröpste Ekkehard von Braunschweig und Snellard von Oelsburg. Der engere Hofklerus ist durch die Kapelläne Gerold, Giselbert und Markward vertreten; Gerold, der wahrscheinlich den Text der Urkunde formuliert hat, war Kanoniker an St. Blasius in Braunschweig und als Leiter der Stiftsschule Lehrer Helmolds von Bosau, später sollte er Bischof von Oldenburg/Lübeck werden; Giselbert begegnet nur in dieser Urkunde, aber vom Kapellan Markward wissen wir, daß er später zum Abt des alten billungischen Hausklosters St. Michael in Lüneburg aufstieg und in der Umgebung Heinrichs des Löwen blieb.

      Auf dem Magdeburger Hoftag Konrads III. im Dezember 1144 gingen die tutores Heinrichs des Löwen dann in die Offensive und klagten gegen die Vergabe der Stader Grafschaften an den Dompropst Hartwig von Bremen. Sie begründeten ihre Beschwerde mit einer Zusage Erzbischof Adalberos von Bremen an Gertrud von Süpplingenburg, nach dem Tod Rudolfs von Stade dessen Lehen an Heinrich den Löwen zu übertragen.56

      Über die Berechtigung der Ansprüche Heinrichs des Löwen ist viel gestritten worden, denn von der Antwort hängt das Urteil nicht nur über den politischen Stil, sondern auch über das Rechtsbewußtsein des welfischen Hofes und seines künftigen Herrn ab. Zunächst werden wir davon ausgehen müssen, daß es einen solchen Anspruch wirklich gegeben hat, denn ohne jeden Rechtsgrund hätten Heinrichs Räte auf dem Hoftag schlecht argumentieren können. Die Quellen sagen dazu wenig, doch ist der Disput offenbar von unterschiedlichen Rechtsstandpunkten aus geführt worden. Die Gegner Heinrichs des Löwen vertraten anscheinend die ältere sächsische Rechtsauffassung, daß nicht nur Eigentum, sondern auch Grafschaften und anderes Lehnsgut erbrechtlich weiterzugeben wären und ein Graf nicht vom Herzog abhinge, sondern nur vom König, so daß Heinrich der Löwe in dieser Sache weder zuständig noch zur Mitwirkung berechtigt war. Der Hof Lothars von Süpplingenburg, dessen Meinung Heinrichs Räte vertraten, hatte in dieser Hinsicht jedoch schon seit langer Zeit durchaus anders gedacht, denn Lothar war so mächtig gewesen, daß er Landfriedenswahrung und Lehnrecht einsetzen konnte, um seinen Herzogstitel mit wirklichen Regierungsfunktionen auszufüllen. Praktisch lief das auf den Versuch hinaus, alle Grafen in ein direktes Lehnsverhältnis zum Herzog zu bringen. Als Lothar dann König wurde, verbesserten sich zwar die Voraussetzungen für solche Bestrebungen, aber ihre Rechtsgrundlagen wurden diffuser, weil man König und Herzog in der Person Lothars nicht mehr klar unterscheiden konnte. Wie damals sein Hof, so hat später Heinrich der Löwe selbst die Kombination von Landfriede und Lehnrecht konzeptiv weiterverfolgt und sich damit in einen Gegensatz zum sächsischen Rechtsbrauch gebracht, denn von seinem Standpunkt aus durfte der Oberlehnsherr das gesamte Gut beanspruchen, wenn es keinen direkten Erben mehr gab. Die Verbindung zweier Anspruchsgründe in doppelgleisiger Argumentation meinte Helmold von Bosau, als er am Ende des Konflikts um die Stader Güter zusammenfassend feststellte, daß Heinrich der Löwe sie teils nach Erbrecht, teils nach Lehnrecht erworben habe (quaedam quidem hereditario iure, quaedam beneficiali).57

      Erbrechtliche Argumente gab es in der Tat, denn die Familie Heinrichs des Löwen war seit langem überzeugt, mit den Grafen von Stade verwandt zu sein. In der ältesten schriftlichen Aufzeichnung ihrer Geschichte, der Genealogia Welforum von 1123/26, wird von ihrem Vorfahren Rudolf und seiner Gemahlin Ita erzählt, die eine Schwester des Markgrafen Ekbert von Stade gewesen sei.58 Weder von Ekbert noch von seinen Brüdern gab es der Genealogia zufolge legitime Nachkommen, wohl aber führte eine direkte Linie von Ita und Rudolf über die Stationen Welf II./Cuniza/Welf IV./Heinrich der Schwarze/ Heinrich der Stolze zu Heinrich dem Löwen. Es ist ganz unerheblich, wie moderne Historiker und Genealogen diese Verwandtschaft beurteilen und ob sie herausgefunden haben, daß andere sächsische Familien den Grafen von Stade sehr viel näher standen als die Welfen, denn für das Handeln der Räte Heinrichs des Löwen war deren subjektive Überzeugung von der Relevanz des erbrechtlichen Arguments ausschlaggebend.

      Weder dem König noch den meisten sächsischen Großen konnte jedoch an einer Stärkung Heinrichs des Löwen gelegen sein. Der Magdeburger Hoftag brachte deshalb einen Fürstenspruch, der Hartwig die Grafschaften seines ermordeten Bruders zuerkannte und dem Pfalzgrafen Friedrich von Sommerschenburg, Hartwigs Schwager, die königliche Bannleihe zur Ausübung der Hochgerichtsbarkeit übertrug, weil Hartwig sie als Kleriker nicht selbst handhaben durfte; der König bestätigte außerdem der Kirche von Havelberg die Schenkungen Hartwigs und dem Erzstift Magdeburg den Erwerb Jerichows mit anderen Stader Gütern.59 Die welfische Seite hat das anerkennen müssen, denn in den Diplomen Konrads III. für Magdeburg findet sich Heinrich der Löwe als erster der weltlichen Zeugen, vor Albrecht dem Bären, Pfalzgraf Friedrich von Sommerschenburg, Graf Hermann von Winzenburg.

      Dem Zwang zur Anerkennung des Magdeburger Spruchs folgte allerdings nicht dessen dauerhafte Akzeptanz, vielmehr entschlossen sich Heinrichs Räte jetzt, eine Revision der Entscheidung gewaltsam zu erzwingen und Hartwigs Allianz mit den Erzbischöfen aufzubrechen. Im August 1145 versuchten sie, Adalbero von Bremen auf dem Weg zu einem königlichen Hoftag in Corvey abzufangen, aber der Erzbischof kehrte rechtzeitig um; vermutlich war er gewarnt worden. In Corvey trug die welfische Seite am 24. August ihren Anspruch auf die Stader Grafschaften nochmals vor, und der König setzte ein Schiedsgericht ein, dessen Zusammensetzung freilich klar erkennen ließ, daß Heinrich der Löwe keine Chance haben würde: Neben Bischof Thietmar von Verden waren Albrecht der Bär, Graf Hermann von Winzenburg und sein Bruder Graf Heinrich von Assel dafür nominiert worden.

      Wohl kurz nach dem Corveyer Tag trat das Schiedsgericht in Ramelsloh südlich von Hamburg zusammen. Hier erschienen der Erzbischof von Bremen sowie Heinrich der Löwe und seine Räte; zur Sache sprachen Dompropst Hartwig und Pfalzgraf Friedrich von Sommerschenburg. Sehr schnell kam es zum Streit, in dessen Verlauf Heinrichs Leute die Versammlung mit blanker Waffe bedrohten, den Erzbischof gefangennahmen und nach Lüneburg verschleppten, während Graf Hermann von Lüchow als Vasall Heinrichs des Löwen den Dompropst mit sich fortführte.60 Der Vorgang war ungeheuerlich, denn die Räte des Löwen hatten den Gerichtsfrieden gebrochen und ein königliches Schlichtungsgebot mißachtet; wenn das als Vorzeichen für den Herrschaftsstil des mündigen Herzogs gewertet wurde (und das wurde es natürlich), war der politische Schaden groß. Konsens, so mußten die sächsischen Großen annehmen, würde künftig nur bei Übereinstimmung mit Heinrichs Wünschen zu erreichen sein, Dissens Gewalt und Repression