Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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der Stolze Adolf II. wieder einsetzte. Auf seinem Rückzug brach Heinrich von Badwide die Burgen in Hamburg und Segeberg, um den Konkurrenten zu schwächen. Auf diese Weise setzten sich Konflikte fort, die ihren Ursprung auf der Ebene von Reich und König hatten, von dort auf den sächsischen Dukat und schließlich auf die regionale Ebene durchschlugen, wo sie dann vollends in Selbstzerstörung mündeten. Die Belehnung Heinrichs von Badwide mit Wagrien durch Gertrud gleich nach dem Tod Heinrichs des Stolzen zeigt das deutlich. Ob die Herzogin die Entscheidung ihres Gemahls aus persönlicher Abneigung gegen Adolf II. umstieß, wie Helmold meint,46 oder im Sinne der Wünsche Konrads III. handelte, wird sich nicht mehr klären lassen, die Tatsache selbst aber ist ein deutlicher Hinweis auf die widerstreitenden Kräfte in der Krisenregion nördlich der Elbe.

      Der Tod Heinrichs des Stolzen hatte Adolf II. geschadet und Heinrich von Badwide begünstigt; ein anderer Todesfall kehrte das Verhältnis nicht einfach wieder um, sondern machte den Weg frei für einen klugen Vergleich, der zur dauerhaften Konsolidierung führen sollte. Sobald Gertrud 1143 »aus den Angelegenheiten des sächsischen Herzogtums ausgeschieden war« (alienata est a negociis ducatus), begab sich Adolf II. zu Heinrich dem Löwen und seinen Beratern (consiliarii), um Wagrien zurückzubekommen. Die klugen Räte des noch unmündigen Herzogs – wir wissen nicht, wer sie waren – brachten ein konsensfähiges und für die Zukunft erstaunlich haltbares Abkommen zustande, das Heinrich dem Löwen seinen Weg im Norden erst eigentlich gebahnt hat: Adolf II. wurde als Graf in seine alte Stellung zurückgeführt und erhielt gegen eine beträchtliche Ablösezahlung Wagrien mit dem Burgplatz Segeberg als Zentrum, für Heinrich von Badwide richtete man im Land der Polaben eine neue Grafschaft um die schon in slawischer Zeit existierende Ratzeburg ein.47 Bisher hatte in diesen Gebieten Pribislaw geherrscht, der fortan aus den Quellen verschwindet und erst im Jahre 1156 als privatisierender Grundherr in der Nähe von Oldenburg wieder erwähnt wird.48

      Für den Schauenburger bedeutete das Abkommen einen großen Erfolg. Die Grafschaft Holstein-Stormarn reichte jetzt bis zur Ostsee, und Wagrien war Kolonialland, in dem Adolf ohne einschränkende Konkurrenz einheimischer Familien als Graf wirken konnte und noch dazu die Chance zum Aufbau einer eigenen Landesherrschaft hatte. Diese offene Struktur einer peripheren Großregion sollte den Raum alsbald auch für Heinrich den Löwen zu einem seiner wichtigsten Herrschaftskomplexe werden lassen. Hier hat er am Rande des Königreiches ein Reich begründet und dessen Grenzen durch Eroberung wesentlich erweitert, eine von Ministerialen dominierte Verwaltung geschaffen und die eigenen Kompetenzen so weit steigern können, daß er Bischöfe einsetzte. Damit übte er ein Recht aus, das im ganzen Reichsgebiet sonst nur dem König zustand: Für das Land nördlich der Elbe erlangte der Herzog die Kirchenhoheit.

      Adolf von Schauenburg hat seine neuen Möglichkeiten sogleich genutzt und von den Erfahrungen seiner früheren Amtszeit im Norden so weit profitiert, daß er im Umgang mit den Einheimischen diesmal geschickter war. »Er brachte seinem Volke Gerechtigkeit, schlichtete Streitsachen und befreite Unterdrückte aus der Gewalt der Mächtigen. Dem Klerus war er besonders zugetan und ließ ihn weder in Werken noch in Worten von jemandem beleidigen. Viel Mühe gab er sich, die aufsässigen Holsten zu bändigen; das ist nämlich ein freiheitsliebendes, halsstarriges Volk, bodenständig und wild, das das Joch des Friedens nicht tragen wollte. Doch dieser Mann überwand sie mit Klugheit, und er hatte über sie nachgedacht (philosophatus est in eis). Mit bezaubernden Gesängen lockte er sie heran, bis er diesen, ich möchte sagen: ungezähmten Wildeseln den Zaum übergeworfen hatte.«49 Er baute die Burg Segeberg wieder auf und leitete sogleich die Besiedlung seiner dünn bevölkerten Grafschaft ein, indem er Boten nach Flandern, Holland, Westfalen und Friesland schickte mit der Nachricht, daß jeder, der zu wenig Land besitze, mit seiner Familie zuwandern könne, um wertvollstes Acker- und Weideland zu erhalten. Auch die Holsten ermunterte er entsprechend, so daß alsbald große Siedlungskomplexe ausgelegt werden konnten, in denen die Einwanderer nach eigenem Recht unter gräflichem Schutz leben würden: für die Holsten westlich von Segeberg, an der Trave und nach Norden in Richtung auf den Plöner See; für die Westfalen östlich von Segeberg; für die Holländer in der Gegend von Eutin; für die Friesen südöstlich von Eutin im Raum Süsel. In diesen Gebieten existierten, wie aus der Verteilung slawischer (Bosau, Eutin, Zarnekau) und deutscher (Blumental, Meinsdorf, Rodensande) Ortsnamen im Raum Eutin hervorgeht, spätslawische und frühe deutsche Siedlungen weiterhin nebeneinander, zu Vertreibungen mußte es nicht kommen. Allein das Oldenburger Land mit den Küstenregionen blieb gegen Tributzahlungen den Slawen vorbehalten,50 und in dieses Reservat hatten die neuen Herren Pribislaw offensichtlich abgedrängt. Mit dem Abodritenfürsten Niklot schloß Adolf II. Freundschafts- und Schutzabkommen (amiciciae), um dem Land Frieden zu sichern. Der Bericht Helmolds gibt ungewöhnlich genaue Nachrichten über diese erste Phase der hochmittelalterlichen Ostsiedlung, bei der große Bevölkerungsgruppen aus dem westlichen Altsiedelland über die Elbe/Saale-Linie hinwegzogen und damit die alte, seit der Zeit Karls des Großen nicht veränderte Ostgrenze des Reiches immer massiver überschritten.

      Graf Adolf II. leitete jedoch nicht nur die große Siedlungsbewegung des Hochmittelalters ein, sondern gründete auch den späteren Vorort des mittelalterlichen und neuzeitlichen Ostseehandels, indem er 1143 an der Trave oberhalb einer 1138 zerstörten slawischen Burgstadt Liubice (»Alt-Lübeck«) auf einer von Trave und Wakenitz gebildeten Halbinsel einen Fernhandelsplatz anlegte. Von der älteren slawischen Anlage übernahm er den Namen Lubeke/Lübeck, und wahrscheinlich sind Fernhändler aus dem zerstörten Liubice an den neuen Ort gekommen, der wohl in der Gegend der heutigen Petrikirche gelegen hat. Auf der Trave konnte die Ostsee erreicht werden, ein Hafen war am Ufer mit einfachen Mitteln anzulegen, und die Fernkaufleute brachten ihre Erfahrungen ein, so daß der Ort sehr schnell die bestehenden Handelsverbindungen aus dem Hinterland in die Ostsee auf sich zog.51 So mächtig sollte die Gründung Adolfs von Schauenburg aufblühen, daß Heinrich der Löwe zehn Jahre später seine Hand darauf legte.

      Die Güter der Grafen von Stade

      Oberstes Gebot für die Vorbereitung der selbständigen Regierung Heinrichs des Löwen in Sachsen war die Schwächung seiner Konkurrenten, die gemeinsam nicht stärker sein sollten als der Herzog. Eine solche Idealforderung war schwer zu erfüllen, um so wichtiger mußte der Erwerb weiterer Besitz- und Herrschaftsrechte aus den Händen anderer Adelsgewalten sein. Die besten Voraussetzungen für solche Güterbewegungen boten große Erbfälle aussterbender Dynastenfamilien, denn zwangsläufig verteilten sie die Gewichte in Sachsen neu, und es war die Frage, wem das zugute kam.

      Am 15. März 1144 erschlugen Dithmarscher Bauern den Grafen Rudolf II. von Stade. Weil das Opfer keine Kinder hatte, blieben seine Geschwister Hartwig und Liutgart als Erben eines Güter- und Herrschaftsgebietes, das von der Unterweser im Süden bis zur Eider im Norden reichte und an das billungische Erbgut der Welfen um Lüneburg grenzte.52 Hartwig war Domherr in Magdeburg und Propst des Bremer Domkapitels, Liutgart die Gemahlin des sächsischen Pfalzgrafen Friedrich von Sommerschenburg.

      Sogleich nach dem Tod seines Bruders schloß Hartwig einen Vertrag mit Erzbischof Adalbero von Bremen, dem zufolge Hartwigs gesamtes Erbe in der Diözese Bremen an den Erzbischof fiel. Als Gegenleistung sollte Adalbero seinem Dompropst dieses Erbgut mit allen Grafschaftsrechten als Lehen auf Lebenszeit zurückgeben, und wahrscheinlich hat das Bremer Domkapitel ihm damals auch die Anwartschaft auf die erzbischöfliche Würde versprochen, die er im Jahre 1148 tatsächlich erhalten hat. Die meisten Eigengüter der Familie am Mittellauf der Elbe dagegen schenkten Hartwig und seine Mutter dem Bistum Havelberg, dem Prämonstratenserstift St. Marien in Magdeburg und dem erst neu zu gründenden Stift Jerichow, das noch im Jahre 1144 von Magdeburg aus auf Havelberger Gebiet für Prämonstratenserchorherren eingerichtet wurde; den Rest des Gutes verkauften sie an das Erzbistum Magdeburg. Die Erzbischöfe von Bremen und von Magdeburg würden fortan Verbündete Hartwigs sein.53

      Nur sechs Wochen später bahnte sich ein weiterer bedeutender Erbfall an, denn am 27. April 1144 starb Graf Siegfried IV. von Boyneburg, ein Enkel Ottos von Northeim.54 Seine Güter und Rechte erstreckten sich vom Mittellauf der Leine und von der oberen Weser bis in die Gegend von Eschwege, außerdem aber hatte Siegfried fast alle Grafschafts- und Vogteirechte der Northeimer besessen, deren letzter männlicher Nachkomme er gewesen war. Erben waren Siegfrieds Witwe Richenza, seine einzige Tochter Guda und seine