Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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primär ja nicht den Welfen, sondern der süpplingenburgischen Familie galt. Es darf nicht vergessen werden, daß die Welfen erst durch Heinrichs des Schwarzen Einheirat in die Familie der Billunger sächsischen Besitz erworben hatten und im Land über lange Zeit kaum wahrgenommen wurden. Heinrich der Schwarze ist wahrscheinlich niemals dort gewesen, Heinrich der Stolze zu Lebzeiten seines Schwiegervaters nur einmal, im Jahre 1134, und dann erst wieder in der kurzen Zeit vor seinem Tod. In Braunschweig, Lüneburg und Königslutter gedachte man der Brunonen, der Billunger, der Süpplingenburger und schloß die welfischen Ehemänner der sächsischen Erbtöchter erst sekundär in die Memoria ein.40 Ob sich die Akzeptanz der sächsischen Großen und vor allem der Ministerialität von Richenza und ihrer Tochter dauerhaft auf Heinrich den Löwen übertragen würde, war nach Gertruds Heirat und den erfolgreichen Ansätzen Konrads III. in Sachsen zumindest ungewiß. Sollte Gertrud ihrem zweiten Gemahl einen Sohn oder gar mehrere gebären, würde der König über kurz oder lang einen Anlaß zur Revision der Frankfurter Belehnung Heinrichs des Löwen finden, ebenso rasch wie dieser sich vier Jahre nach seiner Goslarer Verzichtserklärung auf Bayern nicht mehr daran gebunden fühlte und später schmerzlich erfahren sollte, wie schnell und unsentimental vermeintlich altbewährte Ministerialen zum stärkeren Herrn überliefen. Hätte man ihn im Falle eines erfolgreichen königlichen Zugriffs auf Sachsen mit Teilen des billungischen Erbes abgefunden oder auf seine schwäbischen Güter in den Schatten Welfs VI. zurückgeschickt? Es war damals keineswegs sicher, daß die Nachwelt jemals an Heinrichs Biographie Interesse haben würde.

      Alle diese Pläne, Verabredungen und Kombinationen wurden jedoch mit einem Schlage hinfällig. Im Frühjahr 1143 reiste Gertrud nach Bayern ab und starb wohl noch unterwegs am 18. April, ihrem achtundzwanzigsten Geburtstag, an den Folgen der schweren Geburt einer Tochter, die ihre Mutter überlebte.41 Mit dem Ende des babenbergisch-süpplingenburgischen Heiratsbundes war dem Frankfurter Kompromiß seine Grundlage entzogen und der Handlungsspielraum des staufischen Königs in Sachsen erheblich reduziert. Mühsame Versuche zur Gewinnung sächsischer Verbündeter hatten später nur mäßigen Erfolg und waren für die anstehenden Konflikte ohne Bedeutung. Der Tod seiner Mutter hat Heinrich dem Löwen wenn schon nicht die Herrschaft gerettet, so doch schwere Kämpfe erspart.

      Das Land nördlich der Elbe

      Die sächsischen Unsicherheiten hatten sich auch auf Nordalbingien ausgewirkt, zumal die einheimischen Holsten keineswegs damit einverstanden waren, daß Lothar III. dort einen Grafen eingesetzt hatte. Sie empfanden das Wirken Adolfs II. vielmehr als neuartige herrschaftliche Bedrohung der altüberkommenen Freiheit einer bäuerlichen Kriegergesellschaft, für die »Stehlen und Verschwenden Zeichen des Ansehens sind. Einer der nicht Beute machen kann, ist dumm und ruhmlos.«42 Wer unter solchen Voraussetzungen die Rechtsprechung im Grafengericht durchsetzen wollte und das Fehdewesen der Familien mit Hilfe des allgemeinen Landfriedens allmählich kriminalisierte oder Heerfolge beim gräflichen Aufgebot verlangte, setzte in der Tat einen tiefgreifenden Prozeß der Zivilisierung und Modernisierung in Gang, der Holstein an die Organisationsstandards des karolingisch geprägten Reiches heranführen würde und damit den Widerstand des hochkonservativen Landes provozierte. Zu diesen Standards gehörte auch eine Kirchenorganisation, für die es bisher kaum mehr als schwache Ansätze gab.

      Seit Mitte der zwanziger Jahre hatte der Priester Vicelin im Auftrag Erzbischof Adalberos von Bremen als Missionar im slawischen Grenzgebiet gearbeitet und das Chorherrenstift Neumünster gegründet. Auf Grund seiner großen Erfahrung und eines offenbar gut entwickelten Sinns für pragmatisches Handeln wurde er zum wichtigsten Berater Lothars III. für den nordelbischen Raum, und einem Hinweis Vicelins folgend ließ der König 1134 auf einer Anhöhe in Wagrien die Burg Segeberg erbauen. Zu ihren Füßen gründete er ein Kanonikerstift, von dem Mission und erste Ansätze einer Pfarreiorganisation ausgehen sollten. Der holsteinische Pfarrer Helmold von Bosau, dem wir ungewöhnlich detaillierte und farbige Schilderungen dieser norddeutschen Welt im Wandel verdanken, hat hier seine erste Ausbildung erhalten, die er an der Stiftsschule St. Blasius in Braunschweig fortsetzte; die bewegte Geschichte der Region hat er aus nächster Nähe erlebt und als zutiefst betroffener Zeitgenosse zwischen 1163 und 1172 in seiner Chronik ausführlich beschrieben.43

      Das Land nördlich der Elbe

      Östlich des alten Limes Saxoniae, des »Sächsischen Limes« zwischen Elbe und Kieler Förde, erstreckte sich bis zur Warnow das Gebiet eines slawischen Großstammes mit den Teilstämmen der Wagrier, Polaben und Abodriten; die Abodriten haben dem Großstamm ihren Namen gegeben, Kessiner und Zirzipanen schlossen sich ihm an. Der Raum zwischen Peene und Oder galt als Einflußgebiet der Pomoranen (»Pommern«), die ihr eigentliches Herrschaftsgebiet weiter östlich zwischen Oder und Weichsel hatten. Die Insel Rügen und das südlich anschließende Küstengebiet der Ostsee gehörten den Ranen.

      Die Erschließung der nordelbischen Gebiete für die sächsische Herzogsgewalt hatte soeben erst begonnen, als Lothar starb und die folgenden Kämpfe zwischen Heinrich dem Stolzen und Albrecht dem Bären die frühen Organisationsstrukturen an der Slawengrenze erheblich gefährdeten. Albrecht der Bär vertrieb Adolf II. von Schauenburg aus der Doppelgrafschaft Holstein-Stormarn, denn der Graf hielt unbeirrbar fest zu Richenza und Heinrich dem Stolzen. Im Jahre 1138 setzte Albrecht Heinrich von Badwide an Adolfs Stelle, einen bisher ganz unbekannten Adligen aus der Gegend von Uelzen. Dieser Wechsel gelang deshalb, weil Adolf II. keine Unterstützung bei den Holsten fand, die vielmehr froh waren, den Vertreter herzoglicher Gewalt mit seinen Aktivitäten gegen die Autonomie der altholsteinischen Familienverbände losgeworden zu sein. Anders als sein Vorgänger scheint Heinrich von Badwide kluge Rücksicht auf solche Empfindlichkeiten genommen zu haben, denn er wurde zunächst akzeptiert, wobei auch Einsicht der Holsten in die akute Gefährdung ihres Landes mitgewirkt haben mag, dessen Abwehrkräfte nicht durch innere Konflikte geschwächt werden durften. Helmold von Bosau beklagte die Herrschaft der beiden Slawenfürsten Pribislaw in Wagrien und Polabien und Niklot im Gebiet der Abodriten, denn sie seien nach außen aggressiv und hätten in ihren Gebieten die heidnische Reaktion gestärkt. »Außer Hainen und Hausgöttern, von denen Fluren und Ortschaften voll waren, wurden am meisten verehrt Prove, der Gott des Oldenburger Landes, Siwa, die Göttin der Polaben, und Radigast, der Gott im Gebiet der Abodriten. Sie hatten eigene Priester, besondere Opfer und verschiedene Kultformen . . . Unter den vielgestaltigen Gottheiten der Slawen ragt Swantewit hervor, der Gott von Rügen; . . . darum opfern sie ihm zu Ehren alljährlich einen Christen, auf den das Los gefallen war. Sie schicken dorthin aus allen slawischen Ländern festgesetzte Abgaben zu den Opfern.«44

      Weil die Religion der Slawen anders als die christliche nicht universal auf alle Menschen bezogen war, sondern gentil auf Gruppen und Verbände mit jeweils besonderen Göttern, war ihr durch Mission schwer beizukommen, denn die Existenz der Gruppe hing von der gemeinsamen Verehrung derselben Götter ab. Die Leitung dieser Kulte war Priestern anvertraut, denen die enge Verbindung von politisch-sozialer Integration und Religion ebenso bewußt war, wie ihnen die persönlichen Konsequenzen für den Fall vor Augen standen, daß christliche Missionare Erfolg hatten und die alten Götter beseitigten. Jeder getaufte Slawenfürst mußte deshalb in Rechtfertigungszwänge geraten, gefährdete seine gesellschaftliche Stellung, seine politische Autorität, seine Herrschaft. Dennoch war das Heidentum nach Helmolds Meinung nur deshalb wieder so stark geworden, weil der sächsische Adel alle Missionserfolge immer wieder zunichte gemacht hatte, indem er rigorose Abgaben- und Tributforderungen an die soeben getauften Slawen stellte. »Vom Christentum war keine Rede« (de Christianitate nulla fuit mentio), sondern es ging um Ausbeutung, und deshalb tadelt Helmold scharf »die Vornehmen der Sachsen, die . . . am Werke des Herrn stets unfruchtbar und unnütz befunden worden sind«.45

      Das Ergebnis dieses unklugen Verhaltens ließ nicht lange auf sich warten. Im Jahre 1138 griff Pribislaw Segeberg von Wagrien aus an, zerstörte Siedlungen im Umland und auch das Stift, so daß die Kanoniker über die Trave nach Högersdorf flüchten mußten. Im folgenden Winter holte dann Heinrich von Badwide an der Spitze eines Aufgebots der Holsten und Stormarner zum Gegenschlag aus und fiel in Wagrien ein, im Sommer darauf eroberten die Holsten auf eigene Faust die Burg Plön, denn inzwischen hatte Heinrich von Badwide