Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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bei Ileus würde immerhin zu den zeitgenössischen Berichten passen, die das überraschend plötzliche Ende Heinrichs hervorheben. Sein Tod stürzte das Haus der Welfen in eine Krise, die noch wenige Jahre zuvor undenkbar schien, jetzt aber seine politische Zukunft und den gesellschaftlichen Rang im Kreis der Vornehmsten des Reiches ernsthaft gefährdete. Wenn es überhaupt noch Hoffnung auf eine solche Zukunft gab, so konzentrierte sie sich auf das einzige Kind Heinrichs des Stolzen.

      Der Erbe und seine Leute

      Erste Jahre

      Über Ort und Zeitpunkt der Geburt Heinrichs des Löwen haben wir nur wenige genaue Nachrichten. Er selbst hat gesagt, daß er in Schwaben geboren sei (se de Suevia oriundum),1 ob aber auf der Ravensburg, bleibt ungewiß. Wichtiger als der Ort ist ohnehin das Jahr, doch die widersprüchlichen Aussagen darüber erlauben nicht mehr als eine näherungsweise Bestimmung. Gerhard, Propst des zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel gelegenen Kanonissenstifts Steterburg, meldet Heinrichs Tod zu 1195 und fügt hinzu, daß der Herzog damals sechsundsechzig Jahre alt gewesen sei, anno aetatis suae LXoVIo sei er gestorben.2 Demnach dürften wir das Geburtsjahr auf 1129/30 ansetzen, denn Gerhard von Steterburg gehörte in den späten Jahren zum engeren Hofkreis und sollte es eigentlich gewußt haben. Wenn seine Angabe richtig ist, wäre Heinrichs Mutter Gertrud bei der Geburt ihres Sohnes erst vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen, ein früher, aber biologisch möglicher Zeitpunkt und insofern kein Argument gegen die Nachricht des Propstes. Einwände ergeben sich eher aus den Weingartener Annalen, die im allgemeinen zuverlässig sind und von der Taufe Heinrichs zu Pfingsten 1135 berichten. In eben dieses Jahr setzte der Annalist allerdings auch den zweiten Italienzug Lothars III., der jedoch erst im August 1136 begonnen hat,3 so daß wir uns für den Tauftermin nicht klar zwischen 1135 und 1136 entscheiden können. Immerhin widerspricht diese Notiz der Zeitangabe Gerhards von Steterburg insofern, als es seit dem Frühmittelalter wegen der hohen Säuglingssterblichkeit üblich war, Neugeborene möglichst sofort zu taufen, um ihre Seele rasch vom peccatum originale, von der Ursünde, zu reinigen.4 Zwar gibt es Ausnahmen – Kaiser Friedrich II. wurde am 26. Dezember 1194 geboren, aber frühestens im November 1196 getauft5 –, doch erscheint eine Frist von fünf bis sechs Jahren zwischen Geburt und Taufe Heinrichs des Löwen zu lang. Der daraus folgende Widerspruch zwischen den Angaben der beiden Texte läßt sich nicht sogleich beseitigen, aber ein Blick auf die Überlieferung kann ihm die Schärfe nehmen.

      Die Chronik Gerhards von Steterburg ist weder original noch mehrfach überliefert, sondern einzig in einer bald nach 1300 entstandenen Sammelhandschrift, die den Text wahrscheinlich nicht aus dem Original kopierte und erkennbare Ergänzungen der Fassung Gerhards zeigt. Wir können deshalb nicht ausschließen, daß es sich bei der Altersangabe in der Sammelhandschrift um einen Irrtum des Kopisten oder bei der Zahl LXVI um eine Verschreibung aus ursprünglich LXIII handelt, Propst Gerhard also ein Geburtsjahr 1132/33 vorausgesetzt hat.6 Diese Annahme wird durch Aussagen guter Kenner Heinrichs des Löwen gestützt. Die Chronisten Helmold von Bosau und Otto von Freising stimmen darin überein, daß er beim Tod seines Vaters am 20. Oktober 1139 noch ein jüngeres Kind gewesen ist, denn keiner der beiden Autoren hätte einen damals Neunjährigen als »Knäblein« (puer infantulus) oder einfach als »sehr klein« (parvulus) bezeichnet.7 Im selben Zeithorizont bewegt sich auch die Braunschweigische Reimchronik aus dem späten 13. Jahrhundert, wenn sie sagt, daß Heinrich der Löwe seinen Vater als Fünfjähriger verloren habe;8 weil sie diesen Tod auf 1141 datiert, käme man für das Geburtsjahr Heinrichs des Löwen zwar auf 1136, es könnte aber ebensogut sein, das dessen Lebensalter richtig und nur das Todesjahr des Vaters falsch angegeben ist, so daß sich ein weiterer Hinweis auf die Zeit um 1134 ergäbe, auf keinen Fall aber ein Indiz für 1130.

      Im Mai 1142 dürfte Heinrich der Löwe noch unmündig, also weniger als zwölf Jahre alt gewesen sein, denn damals verzichtete er nicht selbständig, sondern nach dem Rat seiner Mutter (consilio matris) auf das Herzogtum Bayern;9 auch am 3. September 1142 sind in einer Urkunde des Erzbischofs von Bremen die Mutter und ihr junger Sohn als gemeinsam Handelnde bei einem Rechtsgeschäft genannt, »Herzogin Gertrud und ihr Sohn Heinrich, der knabenhafte Herzog der Sachsen« (domina ducissa Gertrudis et filius suus H. puer dux Saxonum).10 Im Jahre 1144 war Heinrich »immer noch ein Knabe« (adhuc puer) und wurde auf dem Magdeburger Hoftag Konrads III. durch Vormünder (tutores) vertreten, während er auf dem königlichen Hoftag am 15. März 1147 in Frankfurt selbständig als »nunmehr Herangewachsener« (qui iam adoleverat) seinen Anspruch auf das dem Vater unrechtmäßig entzogene Herzogtum Bayern anmeldete und noch im selben Jahr Clementia von Zähringen heiratete.11 Genauere Hinweise lassen sich leider aus der Terminologie dieser Autoren nicht gewinnen. Zwar gibt es konventionelle Auffassungen, wonach die Kindheit (infantia) bis zum siebenten, das Knabenalter (pueritia) bis zum vierzehnten, die Jugend (adolescentia) bis zum achtundzwanzigsten Lebensjahr dauere, aber die Abweichungen sind generell so häufig, daß kein Text in dieser Hinsicht beim Wort genommen werden darf.12 Alle unsere Zeugnisse sprechen jedoch gegen ein Geburtsjahr 1130, im Kern ihrer Aussagen aber sehr für 1133/35, so daß wir damit rechnen sollten, daß Heinrich der Löwe um diese Zeit geboren ist.

      Beim Tod seines Vaters, der in Königslutter zur Rechten Lothars III. bestattet wurde, wäre Heinrich der Löwe demnach zwischen vier und sechs Jahre alt gewesen, so daß Richenza in seinem Namen die Last der Verteidigung Sachsens gegen Albrecht den Bären und Konrad III. tragen mußte. Diese Herausforderung war groß, denn in einer Gesellschaft, die mehr von Menschen als von Institutionen bestimmt wurde, wirkte der Verlust starker Persönlichkeiten lange nach. Wenn die welfische Seite Heinrich den Stolzen lobte, so hatte sie jenseits ihrer subjektiven Überzeugung doch auch objektive Gründe dafür, und Heinrich der Löwe dürfte sich grundlegende Vorstellungen über fürstliches Verhalten schon als Kind aus den Erzählungen vom Vater und dessen Herrschaftsstil gebildet haben. Die Kaiserchronik, von Regensburger Klerikern während der vierziger Jahre des 12. Jahrhunderts in deutscher Sprache verfaßt, rühmte Heinrich den Stolzen ausführlich als den hervorragendsten weltlichen Fürsten seiner Zeit (er was der aller tiursten laien ainer/di der bî den zîten lebeten)13 und formulierte damit zum ersten Mal in Deutschland ein Herrscherlob, das nicht einem König, sondern einem Fürsten galt.

      Kurz vor seinem Tod hatte Heinrich der Stolze den kleinen Sohn noch der Fürsorge der Sachsen empfohlen,14 und es gab in der Tat einen engen Kreis von Beratern und Bevollmächtigten, tutores, die im Namen des Kindes handelten. Mit ihrer Hilfe haben sich Richenza und Gertrud behauptet und die sächsische Herrschaftsbasis gesichert, die Lothar von Süpplingenburg seinem Schwiegersohn hinterlassen hatte. Sie bestand aus mehreren regionalen Schwerpunkten, in denen Güter und Rechte besonders stark konzentriert waren; der größte erstreckte sich zwischen den Flußläufen von Oker, Fuhse, Aller und Bode mit Braunschweig und Königslutter, gefolgt vom billungischen Zentralraum links von Elbe und Ilmenau nordwestlich von Lüneburg; auch an der oberen Leine, entlang der oberen Weser und südöstlich zwischen Wipper und Unstrut lagen Eigen- und Lehnsgut, Grafschafts- und Vogteirechte.15 Besondere Aufmerksamkeit mußte den Menschen gelten, denen die Verwaltung dieser Güter und Rechte anvertraut war, denn hier war vieles im Umbruch und wandelte sich rasch, oft zum Nachteil der Eigentümer. Verwalter von Grafschaften und Kirchenvogteien nutzten ihre Befugnisse im Gericht und beim Heer zum Aufbau eigener Gebietsherrschaften, wobei Vogteirechte besonders begehrt waren. Der Vogt sollte die ihm anvertrauten Klöster oder Stiftskirchen samt ihrem Besitz gegen Angriffe jeder Art schützen, ihnen den Frieden sichern und die weltliche Gerichtsbarkeit über die Bewohner ihrer Landgebiete ausüben. Im Gegenzug verlangte er dafür Abgaben und versuchte – oft mit Erfolg –, die Vasallen und Dienstleute der Kirchen als militärisches Potential für eigene Zwecke zu gebrauchen. Oft bauten Vögte ihre Burgen auf Kirchengut, und weil sie in den meisten Fällen das Amt an einen Sohn vererben durften, war die Kirchenvogtei eine zuverlässige Grundlage adliger Eigenherrschaft.

      Das billungisch-süpplingenburgische