Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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südwestlich von Padua als Herrschaftszentrum. Aus dieser Verbindung gab es einen Sohn, und ihn rief seine Großmutter Imiza jetzt kurz entschlossen über die Alpen, damit er als Welf IV. das schwäbische und bayerische Erbe übernähme, ohne freilich die Güter der Este aus dem Blick zu verlieren. Den wegen entgangener Schenkung grollenden Damenkonvent von Weingarten deportierte Welf IV. alsbald ins oberbayrische Altomünster am Ammersee und holte von dort die Benediktiner nach Weingarten.13

      Unübersehbar ist die große Aufmerksamkeit für bedeutende Frauen im Familiengedächtnis der Welfen, angefangen mit Catilinas Tochter, die ihnen den Rombezug brachte, über Judith als Schwiegertochter Karls des Großen und Ita von Öhningen als Verwandte der Ottonen, bis zur mutigen Imiza, die ohne Rücksicht auf letztwillige Verfügungen ihres Sohnes der Familie die materielle Existenz sicherte, so wie Cuniza das biologische Weiterleben. Daß hierfür keineswegs eine Vater/Sohn-Folge gegeben sein mußte, zeigen zwei graphische Darstellungen der Welfengenealogie vom Ende des 12. und eine vom Ende des 13. Jahrhunderts, in denen Cunizas Name ganz selbstverständlich in der männlichen Abfolge zwischen Welf II. und Welf IV. steht.14 Auch in den folgenden Generationen prägten Frauen die Familiengeschichte. Durch seine Ehe mit Ethelinde von Northeim, der Tochter Herzog Ottos von Bayern, erwies sich Welfs IV. Ebenbürtigkeit mit Herzogsfamilien; als Otto von Northeim aber 1070 wegen eines angeblich geplanten Attentats gegen König Heinrich IV. denunziert und daraufhin abgesetzt wurde, schloß sich Welf IV. demonstrativ dem König an, verstieß Ethelinde und erhielt noch im selben Jahr das Herzogtum Bayern. Zeitgenossen empfanden diesen Opportunismus als Skandal, weil Welf »die glänzendste und angesehenste Würde im Reich durch so schmutzigen Ehrgeiz besudelt hatte«;15 doch aus dem Gedächtnis der Familie wurde der Makel weitgehend verdrängt, deshalb sprechen die Genealogia und die Historia nur von Welfs IV. Erhebung zum Herzog und sagen über Ethelinde nichts; der Verfasser der Welfenquelle behauptet, von den Gründen ihrer Verstoßung nichts zu wissen. Alle drei Texte aber stellen Welfs IV. folgende Ehe mit Judith von Flandern groß heraus: Die Genealogia nennt Judith »Tochter des Grafen von Flandern und Königin von England«, für die Welfenquelle ist sie die Witwe des dux Anglorum Harold, und in der Historia wird sie als »verwitwete Königin von England, Tochter des hochadligen Grafen Balduin von Flandern« vorgestellt.16 Mit dieser Heirat hatten die Welfen ihren Platz im Netzwerk des westeuropäischen Adels erreicht, denn die Grafen von Flandern gehörten zu dessen führenden Familien und waren sich ihrer karolingischen Abstammung wohl bewußt. Um die Mitte des 10. Jahrhunderts hatten sie für sich die erste Genealogie eines europäischen Adelsgeschlechts überhaupt aufzeichnen lassen, indem ein Kleriker namens Witger an die Reihe der karolingischen Könige und Kaiser die Nachkommen des Grafen Balduin von Flandern aus dessen Ehe mit Judith, der Tochter Karls des Kahlen, anschloß.17 Da die Grafen von Flandern diese Geschlechterfolge ständig fortschreiben ließen, sind die Welfen vielleicht durch die Gemahlin Welfs IV. angeregt worden, sich in gleicher Weise auf ihre Hausgeschichte zu besinnen. Als Witwe des Earl Tostig von Northumberland, der 1066 in der Schlacht von Stamfordbridge gegen seinen Bruder König Harald II. Godwinson gefallen ist, war Judith zwar nicht Königin von England (die Welfenquelle verwechselt Tostig mit seinem Bruder Harald, der im selben Jahr als letzter angelsächsischer König bei Hastings gegen Herzog Wilhelm von der Normandie ums Leben kam), aber im Gedächtnis der Familie stand fest, daß einer der Ihren eine englische Königin zur Frau gehabt hat.

      Gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstand im Stift Altomünster eine (heute als Folge des Zweiten Weltkriegs verschollene) Abschrift der Historia Welforum, die ein graphisches Schema der Welfengenealogie enthält. In der Mittelspalte ist die für das Haus zentrale Abfolge dargestellt.

Welf
Eticho Judith (Mutter Karls des Kahlen)
Heinrich
Eticho II. Rudolf Konrad, hl., Bischof von Konstanz
Richgard (Schwester Welf II. Heinrich (Bruder Welfs II., saxo percussus*)
Welfs II.) Cuniza Welf III. (Cunizas Bruder, Herzog von Kärnten)
Welf IV.
Welf V. Heinrich der Schwarze
Heinrich der Stolze Welf VI.
Heinrich der Löwe * auf der Jagd von einem Felsbrocken erschlagen

      Judith von Flandern schenkte dem Kloster Weingarten mehrere Evangeliare; eines von ihnen zeigt ein Dedikationsbild mit der Stifterin, die mit verhüllter Hand Christus ein Buch überreicht. Die Bilder der Handschrift wurden wahrscheinlich in Lüttich oder in Saint-Bertin angefertigt.

      Heinrich der Schwarze

      Seit 1075/76 hatte sich das Verhältnis der Welfen zu Heinrich IV. verschlechtert. 1077 setzte der König Welf IV. als Herzog von Bayern ab, zwei Jahre später gab er den schwäbischen Dukat an seinen Schwiegersohn Friedrich von Staufen. Zum ersten Mal standen sich Angehörige beider Familien gegenüber, Feinde des Königs die einen, loyale Freunde die anderen. Im Zeitalter des Kampfes zwischen Heinrich IV. und Papst Gregor VII. entsprach Welfs Gegnerschaft zum König nahezu zwangsläufig einer Wendung zur Kirchenreform und den ihr anhängenden Adelskreisen: Weingarten schloß sich der Hirsauer Klosterreform an und erhielt nach 1080 Äbte von dort; 1089 verheiratete Welf IV. mit Unterstützung des Papstes seinen siebzehnjährigen Sohn Welf V. mit der wesentlich älteren Markgräfin Mathilde von Toskana, Erbin eines umfangreichen Güterkomplexes in Ober- und Mittelitalien, so daß ein die Alpen übergreifender, antisalisch ausgerichteter Herrschaftsverbund begründet wurde. Die Ehe bestand allerdings nur sechs Jahre, denn obwohl Welf sie niemals formell auflösen ließ, trennte er sich 1095 definitiv von Mathilde, wobei die Gründe dafür im einzelnen unklar sind:18 Waren sie persönlicher Natur? Gab enttäuschte Hoffnung auf das Erbe den Ausschlag, weil Mathilde es dem heiligen Petrus zugedacht hatte? Bereitete die Trennung den neuen Frontwechsel des Vaters vor? Gewiß ist, daß sich Welf IV. bald darauf dem König wieder näherte, 1096 den bayerischen Dukat zurückbekam und zwei Jahre später die Zusicherung, daß Welf V. dort sein Nachfolger werden würde. Dieser Erbfall trat ein, nachdem Welf IV. am 9. November 1101 auf dem Rückweg vom Heiligen Land auf Zypern gestorben war. Welf V. blieb unverheiratet und starb kinderlos am 24. September 1120.

      Welfs Bruder Heinrich, für den seit dem 13. Jahrhundert als Beiname »der Schwarze« bezeugt ist, übernahm den bayerischen Dukat, so daß die Familie nunmehr zum dritten Mal den Herzog von Bayern stellte und zu Recht hoffen durfte, sich dort eine dauerhafte, traditionsgestützte Position schaffen zu können. Daß