Heinrich der Löwe. Joachim Ehlers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim Ehlers
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243796
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alter Größe, denn zum ersten Mal seit dem Ende der ottonischen Könige und Kaiser war das Land wieder Zentralraum des Reiches nördlich der Alpen, Basisregion des deutschen Königs und römischen Kaisers.28 Seit den Tagen des sächsischen Geschichtsschreibers Widukind († nach 973) im Benediktinerkloster Corvey an der Weser und der Dichterin Hrotsvit († 975) im Kanonissenstift Gandersheim am Harz gab es deutliche Zeugnisse für das Selbstbewußtsein des sächsischen Adels, der sich als die Könige tragende Elite betrachten durfte und nur so lange Anteilnahme für das Reich aufbrachte, wie Sachsen dessen Könige stellte. Gegen den landfremden Salier hatte Lothar den großen Sieg errungen, und während seiner Königszeit festigte sich die Hoffnung auf Kontinuität. Dennoch brauchte Lothar zehn Jahre, um sich gegen die staufische Opposition endgültig durchzusetzen.

      Während seiner gesamten Regierungszeit hat Lothar auf eine Nachfolge Heinrichs des Stolzen als König hingearbeitet. Vielleicht übertrug er ihm schon im Januar 1126, als eine große Fürstenversammlung in Goslar zusammenkam und den Feldzug gegen Herzog Friedrich von Schwaben beschloß, die sächsische Herzogswürde und alle Lehen, die er von Bischöfen und Äbten hatte.29 Selbst wenn das primär eine Absichtserklärung, eine Designation, gewesen ist, so könnte Lothar doch das gleiche Motiv gehabt haben wie der französische König Odo, der im Jahre 889 alle seine Grafschaften und das Martinsstift in Tours seinem Bruder Robert gab, damit der Familie diese Herrschafts- und Besitzrechte nicht genommen würden, wenn Odo ohne männlichen Erben starb, was damals ebenso vorhersehbar war wie bei König Lothar.30 In jedem Fall war die Person des Empfängers ein Hinweis auf die Pläne des Königs hinsichtlich seiner Nachfolge, und das gleiche gilt für eine Vereinbarung mit dem Papst anläßlich der Kaiserkrönung im Sommer 1133. Am 8. Juni 1133 ließ Lothar sich von Papst Innozenz II. mit jenen Gütern der Mathilde von Toskana belehnen, die ihrem Gemahl Welf V. entgangen waren, weil Mathilde sie dem heiligen Petrus und damit der römischen Kirche geschenkt hatte. Bei dieser Gelegenheit erklärte der Papst, daß er auch Heinrich den Stolzen und dessen Gemahlin Gertrud mit den Gütern belehnen würde, wofür Heinrich dann Mannschaft und Treueid leisten müsse.31 Gewiß wollte der König für seine Person den bei Belehnungen üblichen Rechtsbrauch vermeiden, als kniender Vasall seine Hände in die des Papstes zu legen, um anschließend aufzustehen und ihm den Treueid zu leisten, aber schon Zeitgenossen hatten den Eindruck, daß es auch um die Sicherung der Herrschaft Heinrichs des Stolzen in Italien ging.32 In dieselbe Richtung wiesen Rechtsakte des Kaisers während seines zweiten Italienzuges 1136/37, auf den ihn diesmal Heinrich der Stolze begleitete. Im September 1136 belehnte Lothar seinen Schwiegersohn mit der Reichsburg Garda und der zugehörigen Grafschaft, kurz darauf mit der soeben eroberten Burg Guastalla, die zum mathildischen Gut gehörte, und spätestens am 22. September 1137 mit der Markgrafschaft Toskana.33

      Noch in anderer Weise fanden der Wille zur sächsischen Restauration und die damit eng verbundene Hoffnung auf süpplingenburgisch-welfische Kontinuität ihren Ausdruck. Im 11. Jahrhundert hatten die Grafen von Haldensleben in Luttere am Nordrand des Elm ein Kanonissenstift gegründet, das Lothar nach dem Tod seiner Großmutter Gertrud von Haldensleben erbte. Fast genau zwei Jahre nach seiner Rückkehr von der römischen Kaiserkrönung, im Sommer 1135, versetzte Lothar die Kanonissen an einen anderen, heute nicht mehr bekannten Platz und siedelte in dem seit Ende des 14. Jahrhunderts »Königslutter« genannten Ort Benediktiner der Hirsauer Reform an, die aus dem Magdeburger Kloster Berge kamen. Um die gleiche Zeit legte er gemeinsam mit Richenza den Grundstein für einen Neubau der Klosterkirche,34 die nicht nur als Grablege für das Kaiserpaar vorgesehen war, sondern auch ein erneuertes sächsisches Königtum repräsentieren sollte, das Heinrich der Stolze mit seinen Nachkommen fortsetzen würde und dessen imperialer Zuschnitt an Architektur und Skulptur der Kirche ablesbar sein sollte. Noch im selben Jahr begann eine norditalienische Bauhütte mit dem Bau von Chor, Vierung und Querhaus.35 Die Erbvogtei für sein Eigenkloster behielt der Kaiser und ließ sie durch einen seiner Ministerialen verwalten.

      Im August 1136 brach Lothar III. zu seinem zweiten Italienzug auf, denn erschuldete Papst Innozenz II. Hilfegegendennormannischen König Roger II. von Sizilien. Innozenz, dem Lothar die Kaiserkrone verdankte, mußte sich seit seiner Wahl im Jahre 1130 mit einem Konkurrenten auseinandersetzen, der unter dem Namen Anaklet II. ebenfalls die Papstwürde beanspruchte und seinen stärksten Rückhalt im sizilischen Königreich gefunden hatte. Heinrich der Stolze unterstützte den Kaiser mit einer eigenen Heeresgruppe von tausendfünfhundert schweren Reitern und demonstrierte damit, daß Imperium und Kirche, Pflichten des Kaisers und Nöte des Papstes auch ihn angingen. Bis nach Apulien stießen die beiden Heere vor, aber der politische Erfolg war gering, weil Roger II. den Unwillen deutscher Aufgebote zu längeren militärischen Aktionen in diesem Land richtig einschätzte. Auf dem Rückweg nach Deutschland erkrankte Lothar im November schwer; zwar wollte er »wegen des dringenden Wunsches, die Heimat wiederzusehen« (amore magno revisende patrie), den Marsch fortsetzen, aber »noch im Gebirge starb der mächtige Kaiser hochbetagt in einer ärmlichen Hütte« (in ipsis montibus, in vilissima casa imperator potentissimus . . . obiit).36 Nicht Heimatliebe dürfte den Kaiser in diese letzte Anstrengung getrieben haben, sondern die Absicht, seinen Schwiegersohn den nach Würzburg zum Hoftag geladenen Fürsten als Nachfolger zu empfehlen. Auf dem Sterbebett übergab er am 4. Dezember in Breitenwang nahe Reutte in Tirol Heinrich dem Stolzen die Insignien des Reiches und spätestens jetzt auch die sächsische Herzogswürde.37

      Chor und Querhaus der ehemaligen Benediktinerklosterkirche Königslutter mit dem berühmten Jagdfries an der Hauptapsis ließ Kaiser Lothar III. errichten. Die Fortsetzung der Arbeiten am seinerzeit größten Kirchenbau Sachsens lag nach seinem Tod in den Händen des Konvents, der für Langhaus und Westbau wesentlich kargere Formen bevorzugte.

      Heinrich der Stolze

      Als Heinrich der Stolze den Leichnam seines Schwiegervaters durch das Lechtal nach Norden geleitete, war er der mächtigste Fürst des Reiches: Herzog von Bayern und Sachsen, Markgraf der Toskana und Herr weiterer Güter in Italien, durch die Übergabe der Reichsinsignien designierter König. Von seinem Vater, dem die Familiengeschichte ihre Aufzeichnung in lateinischer Sprache und dadurch Authentizität und Glaubwürdigkeit verdankte, besaß er Schriftzeugnisse über die römischen Ursprünge seines Geschlechts, für die karolingischen und ottonischen Vorfahren, für die englische Königin, die Herzöge und den kirchlich anerkannten Heiligen in der Ahnenreihe, die mit einem Kaiser als vorläufigem Höhepunkt klar und deutlich auf ihn selbst zulief. Dieses Wissen und ein starkes Machtbewußtsein bestimmten sein Verhalten so sehr, daß es Anstoß erregte. Allzu wohlwollend übersetzen wir heute seinen Beinamen superbus, der erstmals in den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts bezeugt ist:38 Superbia ist im Katalog der christlichen Hauptsünden die Quelle vieler anderer Laster wie invidia (Neid), ira (Zorn), avaritia (Geiz) und bedeutet in diesem Sinne eher »Hochmut« oder »Übermut« als »Stolz«, den man auch positiv verstehen kann. Durchaus negativ aber sahen Zeitgenossen die Arroganz, das anmaßende Auftreten (mores superbos)39 Heinrichs, der ihnen vom Bewußtsein der Macht aufgebläht (potentia tumidus) erschien.40

      Ob Heinrich an der Beisetzung Lothars teilgenommen hat, ist ungewiß, denn wir hören nur ganz allgemein von sächsischen und thüringischen Fürsten, die sich am 31. Dezember 1137 in Königslutter einfanden. Bischof Rudolf von Halberstadt leitete Totenoffizium und Totenmesse, ehe der Leichnam des Kaisers vor dem künftigen Kreuzaltar der von ihm gestifteten Klosterkirche in den Boden gesenkt wurde, auf der Achse des Langhauses, mit dessen Bau man damals noch nicht begonnen hatte.41 Von Anfang an hatte Heinrich an der Seite Lothars gegen die Staufer gekämpft und ihn auch nach Italien begleitet, sich aber erst spät auf Sachsen konzentriert, wo er zu Lebzeiten seines Schwiegervaters nur zweimal nachgewiesen werden kann: am 16. Mai 1134 als Intervenient zugunsten des Klosters St. Michael in Lüneburg und am 6. Juni desselben Jahres in Merseburg als Zeuge in einem Diplom Lothars für das Bistum Bamberg.42 Solche Landesferne war keineswegs ungewöhnlich, denn auch Heinrich der Schwarze ist nach seiner Heirat mit Wulfhild Billung offenbar niemals in Sachsen gewesen, auch nicht nach dem Tod seines Schwiegervaters im Jahre 1106. Weil Heinrich der Stolze durch seine Ehe mit Gertrud Mitglied der Königsfamilie geworden war, vertrat Lothars Witwe Richenza seine Rechte in Sachsen und ging dabei von seinem