Der Wunsch nach emotionalem Überleben beginnt ganz einfach mit dem physischen Überleben. Vom Säuglingsalter an liegt dieses physische Überleben in den Händen anderer, vor allem der Mutter. Als hilfloses Baby im Stich gelassen zu werden bedeutet den Tod. Die Angst vor dem Tod ist eine Urangst. Nicht zu bekommen, wonach wir hungern – Wärme, Berührung, Milch –, ist ebenfalls physisch schmerzhaft. Im Säuglingsalter hängt nicht nur unsere sensorische Befriedigung von einem anderen Menschen ab, sondern unsere Existenz überhaupt. Hier sind der Hunger nach Lustgewinn und der Hunger nach Überleben völlig miteinander verwoben. Und gleichfalls gründlich miteinander verwoben sind persönlicher körperlicher Schmerz und der zwischenmenschliche Schmerz des Wollens und Brauchens. Die Assoziation zwischen der Aufmerksamkeit der anderen und dem Überleben prägt sich uns körperlich und geistig ein. Vom Hunger und seinem Schatten, der Angst, durchs Leben getrieben, sucht das Selbst Befriedigung, Bestätigung und die Linderung seiner Urängste. Unsere Angst vor dem Tod hat eine Angst vor der Leere erzeugt, und die gefürchtete Leere füllen wir mit anderen Menschen. Wir fangen an, die Boten dieser Leere zu fürchten, Ruhe und Stille. Der Durst danach, gesehen zu werden, wird subtiler, während wir heranreifen. Er steckt hinter der Bestätigung der Gleichaltrigen für den Teenager und der Bestätigung für das Leben und die Arbeit des Erwachsenen. In seinen feineren Verästelungen beinhaltet er Seitenblicke, Umarmungen, Händeschütteln, Worte, mit denen wir unsere gegenseitigen Selbstbilder bestätigen.
Augenblick für Augenblick erschaffen wir neu das Gefühl, dass da ein separates Selbst zu sehen sein muss, und das ist die Basis für den Hunger nach Sein. Wenn man uns beigebracht hat, dass wir etwas leisten müssen, um geliebt zu werden, werden wir diese Leistung immer wieder erbringen. Das ist der Weg des Perfektionisten und Harmoniesüchtigen, des braven Jungen oder Mädchens, der oder das brav bleiben muss, um von anderen gemocht zu werden. Anerkennung für die eigenen Leistungen wird zum Liebes-Ersatz. Gelobt zu werden bedeutet zu existieren. Das ist keine Bagatelle; es geht wirklich ums Überleben. Die Emotionen sagen: „Wenn du mich nicht erkennst und anerkennst (oder meine Arbeit, mein Aussehen, meine Klasse und so weiter), dann existiere ich nicht.“ Das ist ein Vorgeschmack auf den Tod; es flößt uns Grauen ein, und wir tun alles, um es zu vermeiden.
Ich erinnere mich da an meine eigene Kindheit. Auf die Rippen meines grundlegenden Lechzens nach Dasein wurde jede Menge psychologisches Fleisch aufgepackt. Meine Eltern liebten mich sehr, aber die Kombination aus ihren Schwierigkeiten und Sorgen mit den konditionierten Tendenzen, die ich in diese Welt mitbrachte, bewirkten ein Aufblühen dieses grundlegenden Hungers nach Sein. Als ich aufwuchs, wurde das Gesehen-werden-Wollen ein dominierendes Thema meines Lebens. Deshalb wollte ich gelobt werden, wenn ich meine Suppe aufgegessen oder meine Kameraden in der vierten Klasse zum Lachen gebracht hatte. Als ich älter war, war ich aktiver Musiker und dabei immer hin- und hergerissen zwischen der Freude an der Musik selbst und dem Drang, gesehen und gemocht zu werden, weil ich ja etwas machte, um andere zu unterhalten oder zu erfreuen. Zu einem großen Teil stand ich auf der Bühne, um gesehen zu werden. Ich stand auch auf einer Bühne, wenn ich clever wirkte und auf dieser Welt etwas erreichte. Aber der Hunger nahm kein Ende; egal, wie viel ich erreichte, es war nicht genug. Als ich wissenschaftlich oder musikalisch aktiv war, hatte ich das Gefühl, zu diesem Bereich etwas Signifikantes beitragen zu müssen. Als Meditationslehrer sehnte ich mich nach persönlichem Respekt. Aber wie viel Erfolg ich auch hatte, das Loch ließ sich nicht füllen. Anerkennung ist nicht Liebe. Der Hunger ließ sich nicht stillen. Meine Sehnsüchte blieben unverändert, weil ich meinte, ihnen Futter zu geben bringe Glück. Es brachte aber nur eine private Grandiosität, die mein Leiden überdeckte. Was ich für Glück hielt – zum Beispiel der kurze Anflug von Stolz, wenn ich ein Kompliment bekam –, war im Grunde Anspannung. Hunger war die Wurzel meines Leidens.
Dieser Hunger nach Dasein manifestiert sich auf tausend verschiedene Arten. In meinem Leben nahm er die Form des Stolzes an, aber auch andere Formen sind weit verbreitet. Ein Praktizierender bezeichnete sich als „Herr Hase“, weil seine Verbitterung und seine Probleme mit dem Thema Anerkennung wie der Hase im Wettrennen mit dem Igel einfach nicht zur Ruhe kommen wollten. Als er diese Probleme als Hunger nach Dasein begriff, konnte er sich entspannen und fühlte sich etwas freier. Einen solchen Drang erst einmal zu erkennen ist oft der Anfang einer Einsicht in seine ganze Haltlosigkeit. Die Dynamik des zwischenmenschlichen Hungers nach Gesehen-Werden ist in der ruhigen und gesammelten Umgebung eines Retreats leichter zu entdecken, aber sie wirkt auch im alltäglichen Austausch. Wenn wir während eines alltäglichen Gesprächs mit ruhigem Blick nach innen schauen können, werden wir ihn dort ebenfalls entdecken.
Für viele ist es typisch, nach etwas Geistreichem Ausschau zu halten, was sie zu einem Gespräch beisteuern könnten. Wenn uns dann etwas Schlaues einfällt, identifizieren wir uns sofort damit. Wir denken irgend etwas in der Art: „Das ist ein schlauer Gedanke, mir ist er eingefallen, er wird den Leuten gefallen, und dann werden sie mich mögen.“ Wir unterscheiden nicht zwischen dem schlauen Gedanken und unserem Selbst-Entwurf. Wenn wir genau hinschauen, können wir den Stress spüren, die Unausgeglichenheit und Unzufriedenheit hinter diesem kleinen Anflug von Sehnsucht nach Sichtbarkeit. Aus konditionierten Gewohnheiten heraus fixieren wir uns auf alles, was uns irgendwie verspricht, auf die Rippen des verhungernden Selbst ein bisschen Fleisch zu zaubern. Der Hunger nach positivem Feedback kann so groß werden, dass er unser Anstandsgefühl außer Kraft setzt; wir machen zum Beispiel eine Bemerkung auf Kosten von jemand anderem, nur um einen Lacher zu kriegen oder als geistreich zu gelten.
Derselbe Drang, gesehen zu werden, bringt uns vielleicht dazu, Geschichten zu erfinden oder zu übertreiben, so dass wir Gehör finden. Eine Frau namens Della beschrieb einmal, wie dieser Drang in der Kindheit zum Vorschein kam: „Ich erinnere mich, wie Mama mich fragte: ‚Hast du nichts zu sagen?‘, und ich lernte, für sie eine Geschichte zu machen. Das habe ich mein ganzes weiteres Leben gemacht und dabei mein Lügen vor mir selber versteckt.“ Sogar eine liebevolle Situation – ein Kind sagt: „Mama, hör mal zu“ – ist gefärbt und durchdrungen von diesem Hunger, gesehen und geliebt zu werden. Die schick angezogene Frau, deren ganzes Verhalten sagt: „Seht meine Figur, mein Gesicht, meinen guten Geschmack, meinen Reichtum“, verhält sich gemäß ihrem Hunger nach Dasein. Die ganze Modeindustrie beruht auf diesem Hunger. Oder denken wir an den Achtzehnjährigen mit dem schnellen Auto. Er identifiziert sich damit. Es ist klasse, also ist er klasse. Das Vergnügen, schnell zu fahren, mag ein sinnliches Vergnügen sein, aber im Mittelpunkt zu stehen ist ein zwischenmenschliches, emotionales Vergnügen. Die Modebewusste und der Autofreak werden auch von der Angst vor dem Verlust dieser Aufmerksamkeit getrieben. „Sehe ich heute gut aus?“ „Ob ich noch gut aussehe, wenn ich älter bin?“ „Ist mein Auto vor Beschädigung oder Diebstahl sicher?“ Alle diese Fragen laufen auf eine einzige hinaus: „Werde ich auch weiterhin sichtbar sein, weiter existieren?“ Solch einfaches Verhalten hat tiefe Wurzeln.
Der Hunger nach Dasein plagt uns jeden Tag mit tausend Fragen und Sorgen. Ständig fragen wir auf die eine oder andere Art: „Werde ich in den Augen der anderen existieren?“ Wir strecken unsere Fühler nach Lob aus; wir fragen uns: „Habe ich etwas Kluges und Hilfreiches gesagt?“ „Ist mein Beitrag bei den Leuten angekommen?“ Wenn wir nicht die Rückmeldung bekommen, die wir wünschen und erwarten, sind wir oft enttäuscht, gar wütend. Wir lassen uns entmutigen und melden uns nicht mehr freiwillig in der Suppenküche oder strengen uns in der Schule oder bei der Arbeit nicht mehr an, weil es uns nicht die Liebe einbringt, die wir suchen. Jede Aufgabe, die nur im Hinblick auf Anerkennung und Erfolg unternommen wird, steht auf tönernen Füßen. Wenn sich die Gelegenheit bietet, enthüllt sich der Hunger, der uns antreibt. Unsere Fragen gehen schmerzhaft hin und her: „Schaut man zu mir auf, hört man mir zu?“ „Werde ich missachtet, ignoriert?“
Sogar in Beziehungen, in denen wir geliebt und geachtet werden, reicht der Hunger nach Gesehen-Werden tief. Der Hunger nach Gesehen-Werden ist eine weit verbreitete Ursache für familiäre Reibereien. Vielleicht bestehen wir auf einer Form von Aufmerksamkeit, die zu erwarten oder vorzuziehen wir gelernt haben; die Liebe, die uns tatsächlich angeboten wird, wehren oder lehnen wir vielleicht ab, weil sie in einer anderen Form erscheint. Eine Praktizierende schilderte einmal, wie sie die freundliche Aufmerksamkeit ihres Partners zurückwies, weil er vergessen hatte, dass es ihr Geburtstag war.