Achten Sie darauf, wie Sie entscheiden, etwas zu einem Gespräch beizutragen. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie etwas sagen und niemand reagiert? Beeinträchtigt der Wunsch, beachtet zu werden, Ihre Offenheit gegenüber anderen?
Untersuchen Sie die Energie hinter Ihrem Drang, in der Welt erfolgreich zu sein, und hinter dem materiellen Besitz, den Sie angesammelt haben. Ist Hunger ein Teil der Motivation? Können Sie im Zusammenhang mit Erfolg Stress feststellen? Angst vor Verlust oder Versagen?
Achten Sie darauf, wie Leute Aufmerksamkeit auf sich ziehen – Kleidung, Witze, Erfolge – und denken Sie über den Hunger nach Dasein nach. Welche Strategien wenden Sie meist an, um Aufmerksamkeit zu gewinnen? Denken Sie an die weit zurückliegenden Anfänge all dessen und lassen Sie in Ihrem Herzen Mitgefühl erwachen.
Der Hunger, das Dasein zu vermeiden, und die Angst vor dem Gesehen-Werden
Der Hunger nach dem, was der Buddha „Vernichtung“ nannte, ist der Drang zu fliehen. Es ist der Wunsch, aus einer bestimmten Situation herauszukommen, etwas abzulehnen oder, wie es der buddhistische Lehrer Ajahn Sumehdo nennt, „loszuwerden“. Es ist ein fundamentales Zurückschrecken vor dem Schmerz des Lebens. Genauso wie Verlangen und Aversion binär sind, sozusagen das „null oder eins“ der Reaktion auf eine Empfindung, so sind der Hunger nach Dasein und der Hunger nach Vernichtung oder Nicht-Sein die grundlegenden, nahezu uranfänglichen Triebfedern des Selbst. Wenn alles gut läuft, wollen wir „drin“ sein in der Situation; das Selbst möchte sein unaufhörliches Werden fortsetzen. Wenn es schlecht läuft, wollen wir fliehen; auf so eine Art und Weise möchte das Selbst nicht existieren. Und so wie der zwischenmenschliche Hunger nach Dasein der Drang ist, gesehen zu werden, ist der zwischenmenschliche Hunger nach Nicht-Sein der Drang, nicht gesehen zu werden, unsichtbar zu sein, zu fliehen, sich dem zwischenmenschlichen Kontakt und seinem möglichen Schmerz zu entziehen. Der Hunger nach Flucht nimmt auch die Form einer Angst vor dem Verlust unserer momentanen Sicherheit an.
Wie der Suizid der Selbst-Mord des Körpers ist, ist der soziale Suizid die Zerstörung des eigenen Daseins in der sozialen Welt, der Welt zwischenmenschlicher Kontakte. Im Hunger nach Flucht liegt eine Angst, bloßgestellt zu werden, was zu Anspannung und Schmerz führt. Die weit verbreitete Angst, vor Publikum zu sprechen, funktioniert auf diese Weise. Man erlebt dabei unter Umständen ein persönliches Drama von Anspannung, Verkrampfung, fast Lähmung, das zu der Situation und ihren Risiken in keinem Verhältnis mehr steht. Die Anspannung kommt von Gedanken, innerlichen Urteilen, Bildern und Mutmaßungen: Sie trennt uns vom guten Willen und der Energie von anderen. Vielleicht die am weitesten verbreitete Form des Hungers nach Unsichtbarkeit ist die Angst vor Nähe. Es gibt Seiten von uns, die wir einfach nicht enthüllt sehen wollen. Wir fürchten uns vor der unverhüllten Existenz, der Bloßstellung.
Ein Mangel an Selbst-Annahme, als Angst vor Ablehnung auf andere projiziert, bringt uns dazu, uns vor anderen zu verkriechen. Während der Hunger nach Gesehen-Werden ebenfalls auf einem Mangelgefühl beruht, ist dieses Gefühl der Minderwertigkeit die direkteste Manifestation dessen, was Tara Brach „die Trance der Minderwertigkeit“ nennt.17
Wenn ich mich minderwertig fühle, möchte ich nicht gesehen werden, nicht als wertlos entlarvt und deshalb abgelehnt werden. Ablehnung ist zwischenmenschlicher Tod. Also verkrieche ich mich, verstecke mich vor dir, damit du mich nicht entdeckst. In diesen Momenten ist das Selbst-Konzept sehr stark. Eine Praktizierende konnte bei einem Einsichts-Dialog die Gedanken und Bilder dieser Anspannung live in Aktion beobachten, als sie für sich dachte: „Ich kann das nicht. Ich bin unbrauchbar. Irgendwo steckt ein grundsätzlicher Fehler, der irreparabel ist.“ Sie schimpfte sogar mit sich wegen ihrer Nervosität und Ängstlichkeit, weil sie dachte, in einem Meditations-Retreat müsse ja jedem ganz friedlich zumute sein. Wenn wir innerlich schlecht über uns selbst sprechen, sind wir Täter und Opfer zugleich. Jede selbstkritische Bemerkung ist ein Pfeil, der das Herz schmerzhaft verkrampfen lässt. Vor dieser inneren Stimme der Minderwertigkeit sich unterwürfig zu verkriechen ist genau das, was verhindert, dass wir die Liebe, die uns befreien würde, empfangen und geben können. Der Hunger nach Nicht-Sein blockiert uns für die Medizin, die unser Herz am dringendsten braucht: vollständiges Annehmen in der Gegenwart. Wir stehen in einem Wolkenbruch in der Wüste und verdursten, während alles Wasser im Sand versickert. Wir müssen bloß die offenen Hände ausstrecken, um die Liebe zu empfangen, nach der wir so verzweifelt dürsten.
Allzu oft wählen wir auch einen wohlbekannten Schmerz statt einer unbekannten Freude. Wie ein anderer Meditierender bemerkte: „Ich habe vor der Unsichtbarkeit so viel Angst, aber wenn jemand sagt, ich solle aus ihr heraustreten, bleibe ich doch lieber in ihrer Vertrautheit.“ Die Angst vor Ablehnung liefert Baupläne, die wir zur Konstruktion komplexer persönlicher Gefängnisse benutzen. Als Kinder werden wir auf so vielfältige Weise verletzt. Oft werden wir nicht so geliebt, wie wir sind. Wir werden emotional, sexuell und physisch misshandelt. Eltern, die emotional nicht reich genug sind, um uns zu lieben, die in ihre eigenen Sorgen verstrickt sind, lassen uns vielleicht im Stich und verraten unser Vertrauen. Als Frauen werden wir zu Lustobjekten gemacht und mit idealisierten Hochglanz-Models verglichen. Vielleicht werden wir vergewaltigt oder anderweitig ausgenutzt und herabgesetzt. Als Männer sollen wir Emotionen herunterschlucken und den starken Mann markieren. Wir werden mit Bodybuildern, Heiligen und Wirtschaftsbossen verglichen – und ziehen immer den Kürzeren. Wir sind von Werbung für Kosmetika, Mode und Autos umgeben, die uns besser machen sollen. Unablässig trompeten uns Arbeitgeber, Eltern und Medien ins Ohr: „Du bist nicht gut genug. Du solltest besser sein.“ Verkrampftheit, Scham und Selbstzweifel heißen einige der dornigen Pflanzen, die auf diesem Boden gedeihen.
Wenn man uns ständig sagt, dass wir nicht gut genug sind, wird der latente und konditionierte Fluchttrieb des Selbst stärker. Wir fühlen uns unsicher und beklommen, und weil die Quelle unseres Schmerzes verdrängt wird, wissen wir vielleicht nicht, warum wir uns unsicher und wertlos fühlen. Wir versuchen diesem Schmerz zu entkommen und tun alles Mögliche, um „auf andere Gedanken zu kommen“. Dadurch führt die innerliche Flucht des Verkriechens vor der Welt zu den äußerlichen Fluchten ins Fernsehen, Schlafen, Essen, in Fantasiewelten, Arbeit, Drogen und eine Art Nebel, in dem wir gar nicht wirklich da sind für unser Erleben. Diese Fluchten werden zu Süchten, die uns mit der Sicherheit des Vergessens bezirzen. Hier sehen wir die Verbindung zwischen Alkoholismus oder Drogensucht und Selbsthass und Minderwertigkeitsgefühlen. Weltweit kann man bei jedem Treffen der Anonymen Alkoholiker die Variationen über Selbsthass und Flucht hören. Eine Teilnehmerin bei einem Einsichts-Dialog-Retreat, die über zwanzig Jahre lang das Zwölf-Schritte-Programm mitgemacht hatte, wurde sich ihres Dranges zu fliehen folgendermaßen bewusst: In der feinfühligen Bewusstheit der zwischenmenschlichen Meditation konnte diese Frau ganz klar die Süße wahrnehmen, die sie mit der Unsichtbarkeit zu verbinden gelernt hatte, ihre Tendenz, „das Nichts romantisch zu finden“ und „das Vergessen verlockend zu machen“. Wir durchschauen unsere Fluchten nicht immer; sie können sozial akzeptierte Formen annehmen wie den Rückzug in einen Kokon aus Meditation, in den Schutz religiöser Rituale oder Überzeugungen oder in die sicheren sozialen Abläufe, die unseren Alltag ausmachen. Zwischenmenschliche Flucht kann als schlichte Introvertiertheit daherkommen oder als regelrechte Sozialangst. Wir flüchten auch in Rollen, in denen sogar die Maske der Geselligkeit als Versteck für alles dienen kann, was wir verbergen wollen. Die Möglichkeiten sind endlos.
Es bringt enorm viel, wenn man klar versteht, wie diese Gefühle der Minderwertigkeit konstruiert werden. Zunächst ist da der sensorische Kontakt mit der Welt: Wir sehen, hören, berühren oder erinnern uns an einen anderen Menschen. Sofort geschieht die Subjekt-Objekt-Spaltung: Wir erleben „hier bin ich, da sind die anderen“. Dann setzt eine tief konditionierte Sichtweise von Getrenntheit und Unterschiedlichkeit ein. Wir fühlen uns unsicher, ängstlich. Wir lassen uns auf diese Sichtweise ein und vergleichen uns mit anderen; zwangsläufig sind wir dann entweder Spitze – und sind angespannt,