Einsichts-Dialog. Gregory Kramer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gregory Kramer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867812474
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Ich entspannte mich und blieb wieder beim Erleben des Berührungsempfindens von Moment zu Moment. Aber ich mochte dieses kuschelige Gefühl. Ich schaute zu, wie dieses Mögen sich steigerte, bis ich dachte: „Meditation hin oder her, ich möchte mehr Berührung.“ Also streckte ich meinen Fuß nach meiner Frau aus. Aber Martha schlief immer noch, wollte ungestört sein und drehte sich weg. Sofort fühlte ich mich abgelehnt. Dieses Gefühl entstand automatisch, eine Art Leidensreflex.

      Wie entstand dieses Leiden? Seine unmittelbare Ursache war die konditionierte Emotion der Traurigkeit aufgrund einer vermuteten Ablehnung. Aber was steckte dahinter? Das Erlebnis beruhte auf einer Sinneserfahrung (die Berührung meiner Frau), dem Sinnesorgan (meine Haut) und einem Wahrnehmen körperlicher Empfindung, die alle sich mit bereits existierenden Konstrukten (Liebe zu meiner Frau und unserer gemeinsamen Geschichte) verbanden, um die Bedingungen für ein seelisch-emotionales Glückserlebnis zu liefern (meine Geliebte berührt mich). Das Glücksgefühl bei der ersten Berührung erzeugte den Wunsch nach mehr Berührung, was wiederum eine Anspannung in Form eines unbefriedigten Wunsches erzeugte (mein Verlangen). Dieser Hunger erzeugte Anspannung, die zu einer Handlung führte (ich streckte meinen Fuß aus), zu sich ergebenden Empfindungen (die kurze Berührung) und einer Emotion (flüchtiges Glücksgefühl). Darauf folgte weitere Anspannung, da komplexe Gebilde entstanden (ich interpretierte ihr Wegdrehen als Ablehnung, was konditionierte Ängste auslöste) sowie weitere Emotion (Traurigkeit).

      Der Buddha fuhr in seiner Analyse des Leidens fort: „Mit Unliebem vereint, von Liebem getrennt sein ist leidhaft, Begehrtes nicht erlangen ist leidhaft.“ Diese Aussagen beschreiben verschiedene Arten seelischen Leidens. Im Hinblick auf Sinneswahrnehmungen verstanden, kommentieren diese Aussagen das Resultat eines Kontaktes mit unerwünschten Empfindungen wie Gerüchen oder Geräuschen. Aber der Buddha stellte klar, dass seine Aussagen auch menschliche Beziehungen betreffen: „Zu begegnen dem, der einem Unglück wünscht, Leid, Unangenehmes, Unsicherheit“ gehört ebenfalls zum „Unlieben“. Getrennt sein von Liebem bezieht sich nicht nur auf „Gewünschtes, Geliebtes, dem Auge, dem Ohr, der Nase Angenehmes“ und so weiter, sondern auch auf die Trennung von denen, die „einem Glück wünschen, Gutes, Angenehmes, Sicherheit, von Mutter oder Vater oder Schwester oder jüngeren Verwandten oder Freunden.“11

      Die beziehungshaften Aspekte der Lehre des Buddha werden oft übersehen. Das lässt sich in allen buddhistischen Lehrrichtungen beobachten. Es ist, als wäre da eine unsichtbare Mauer, die diesen anrüchigen, obwohl unausweichlichen Aspekt unseres Menschseins von der jungfräulichen Reinheit der formalen Lehre Buddhas fernhält. Das Ergebnis ist eine große Unwissenheit bezüglich des Leidens, das mit menschlichen Beziehungen einhergeht, seiner Ursachen und des Wesens der Freiheit. Dieses Leiden ist übersehen und nicht beim Namen genannt worden. Es ist schlichtweg die Folge davon, als sensibles soziales Wesen in eine komplexe und wechselhafte zwischenmenschliche und soziale Umwelt hineingeboren zu werden. Das ist das zwischenmenschliche Leiden.

      Großes Leiden ist leicht zu sehen: Es drängt sich dem Bewusstsein auf. Versuchen Sie einmal, ein paar der kleineren Unannehmlichkeiten des Lebens zu sehen – das Unbehagen, zu lange stillsitzen zu müssen, Langeweile, Sorgen –, und unsere fast pausenlose Aktivität, um sie zu bekämpfen: Essen, Körperhaltung verändern, Fernseher einschalten, zum Telefon greifen. Bemerken Sie das Wohlgefühl in der momentanen Erleichterung; bemerken Sie, wie auch dies vorbeigeht.

      Zwischenmenschliches Leiden ist das Leiden, das aus unseren Beziehungen zu anderen Menschen herrührt. Es ist eine weitläufige Untergruppe des seelischen Leidens. Stress mit Familienmitgliedern, Arbeitskollegen und Freunden ist zwischenmenschliches Leiden. Einsamkeit und Isolation gehören ebenfalls zum zwischenmenschlichen Leiden. Jeder von uns erlebt regelmäßig zwischenmenschliches Leiden. Es kann hilfreich sein zu erkennen, wie diese Dynamik abläuft, und zu wissen, dass sie als Konstrukte des sensiblen Herz-Geistes entstehen.

      Eine Großteil unserer Emotionen, der schmerzhaften und angenehmen, entsteht im Zusammenhang mit anderen Menschen. Man braucht nur ein Buch über Sozialpsychologie, Soziologie oder Geschichte aufzuschlagen – oder irgendeinen Roman –, und man findet zahllose Beispiele zwischenmenschlichen Leidens, in der Intimsphäre und in der Öffentlichkeit. Probleme in Ehe und Familie sind zwischenmenschliches Leiden, ebenso wie Probleme mit Kollegen am Arbeitsplatz, romantische Techtelmechtel oder gerichtliche oder politische Auseinandersetzungen. Der Krieg und sein Herzblut, die militärische Ehre – vom Märtyrertum des Terroristen bis zum empfindlichen Stolz des Unteroffiziers –, ist durchzogen von zwischenmenschlichem Leiden. Schmerzhafter Zorn und die Angst vor Liebesentzug sind zwischenmenschliches Leiden. Soziales Unbehagen, Eifersucht, Neid und der Schmerz, andere zu verurteilen – oder von ihnen verurteilt zu werden –, all das ist zwischenmenschliches Leiden.

      Wir erleben diese Formen des Leidens – oder irgendeines anderen Leidens – nicht, weil wir böse, krank oder wertlos wären. Wir erleben zwischenmenschliches Leiden deshalb, weil wir prinzipiell Beziehungswesen sind: Unser Geist will fassen und festhalten, während das soziale Leben, das uns berührt, voller unkontrollierbarer Veränderungen ist. Das natürliche Resultat solcher Bedingungen ist Leiden; Schuld- oder Schamgefühle wegen dieser Leidens-Tatsache sind fehl am Platze und trüben nur unseren Blick. Und wenn wir untersuchen, wie wir glücklicher sein können, mitfühlender, klüger, vielleicht sogar wirklich frei, dann müssen wir die Dinge so klar sehen wie möglich.

      Biologisches, seelisches und zwischenmenschliches Leiden sind gründlich miteinander verflochten. Welches Leiden wir erleben, hängt nicht direkt von den Umständen ab, sondern wie wir auf die Umstände reagieren. Ich zum Beispiel wasche gerne Geschirr. Es befriedigt mich – meine Arbeit hat konkrete, sichtbare Ergebnisse. Aber manchmal sträube ich mich. Es ist persönliches Leiden, wenn ich mich sträube, weil ich lieber lesen würde. Es ist zwischenmenschliches Leiden, wenn ich mich wütend sträube, weil ich das Gefühl habe, ausgenutzt und für das, was ich leiste, nicht honoriert zu werden. Ein weiteres Beispiel: Sich seines Körpers zu schämen fühlt sich sehr persönlich an, aber es ist ganz eng mit unseren Vorstellungen verknüpft, wie andere uns wohl sehen. Wir fühlen uns vielleicht körperlich unwohl, weil wir zu dick oder zu mager sind, und das ist persönliches Leiden. Das emotionale Unbehagen, das aufkommt, wenn wir daran denken, was andere Leute über unsere Figur denken, ist zwischenmenschliches Leiden. Ich erinnere mich, wie meine Frau bei sich einmal eine kleine Läsion entdeckte. Als sie sich wegen der möglichen medizinischen Folgen, Schmerzen oder Behinderungen Sorgen machte, war das persönliches Leiden. Als ihre Besorgnis sich dann plötzlich um die Möglichkeit einer entstellenden Narbe drehte und ihre Wirkung auf andere, war das zwischenmenschliches Leiden. Mit Krankheit ist es genauso. Die Unannehmlichkeiten und der Schmerz, bettlägerig zu sein, verursachen persönliches Leiden. Aber es ist zwischenmenschliches Leiden, wenn es mir peinlich ist, dass mein Ehepartner mich zur Toilette begleiten muss. Krank zu sein, sich nicht gut zu fühlen und Angst vor dem Sterben zu haben ist persönliches Leiden. Sich auf dem Sterbebett zu grämen, weil man seine Lieben zurücklässt, oder Beziehungen nachzutrauern, die nicht gelebt worden sind, ist zwischenmenschliches Leiden.

      Zwischenmenschliches Leiden ist eine zähe Angelegenheit. Menschen sind kompliziert, Emotionen verändern sich schneller als ein Sommergewitter, Lösungen sind immer unsicher. Wenn wir es mit Krankheit oder Verletzungen zu tun haben, nun gut, dann tun wir, was zu tun ist. Es ist vielleicht unerfreulich, und die richtige Vorgehensweise ist vielleicht nicht immer klar, aber normalerweise ist es nicht so kompliziert und schwer zu verstehen wie der Schmerz aus Beziehungen. Als bei meinem ältesten Sohn, Zed, Krebs festgestellt wurde, gab es viele Momente, in denen seine körperlichen Schmerzen und sogar seine Angst vor dem Tod zurücktraten hinter seiner Anteilnahme am Kummer und der Traurigkeit seiner Mutter, meiner Frau. Gleichzeitig kam unser Schmerz aus der Sorge um Zeds Leiden und der Möglichkeit, ihn zu verlieren. In diesem Moment waren wir drei ein intim verzahntes System gegenseitiger Beklemmung.

      Wenn menschliche Systeme größer werden, wird aus dem zwischenmenschlichen Leiden soziales Leiden. Zum Beispiel ist der Schmerz einer Schusswunde persönliches biologisches Leiden; die Angst vor dem Tod ist persönliches seelisches Leiden. Der Schmerz des Hasses gegen den Menschen, der auf Sie geschossen hat, ist zwischenmenschliches Leiden. Der Schmerz des Hasses gegen das Land oder die ethnische Gruppe, der der Täter angehört, ist soziales