Wie es für meine Mutter und meinen Vater war, war es auch für mich, und so ist es auch für meine Söhne. Wir haben alle ein Selbst entwickelt, das Konstrukt einer Sichtweise, die einen emotionalen Kern unseres Lebens stützt. Wenn dieses Selbstgefühl einmal ausgebrütet ist, wird das Konstrukt von jeder Empfindung weiter genährt. Es gibt nicht mehr einfach Sehen, sondern „ich sehe“. Mein Sohn Jared verspürt nicht einfach Hunger, er spürt „ich habe Hunger“. Von großer Tragweite für unser künftiges Glück und Leid ist, dass es nicht einfach den Anblick und die Geräusche von Leuten gibt: Da bist du, unabhängig von mir; da bin ich, unabhängig von dir. Wo es voneinander unabhängige Ichs und Dus gibt, gibt es Getrenntheit und Unterschiedlichkeit, und diese werden zur Grundlage von Beziehungen.
Wenn wir älter werden, beziehen wir uns nicht nur auf einzelne Menschen, sondern allgemein auf unsere Altersgenossen und unsere Kultur insgesamt. In der Adoleszenz konstruiert dieses sich bildende Selbst durch Imitation und Vergleich unser soziales Selbst. Mit fünfzehn lernte mein Sohn Max die Normen des Clans, die Regeln sozialer Begegnung. „Was sieht gut aus? Wie kann ich mithalten? Welches Verhalten wird mit Freundschaft und Lob belohnt? Welches führt zu Verurteilung und Ablehnung?“ Dieses Lernen wird bis ins Erwachsenendasein fortgesetzt; mit vierundzwanzig fragte mein Sohn Zed Sachen wie: „Wie kann ich meinen Lebensunterhalt verdienen?“ - „Wie gewinne ich einen Partner?“ - „Wie verschaffe ich mir Respekt?“ Unser Selbstgefühl wird verstärkt, während wir mit dem Gefühl klarzukommen versuchen, ein klar abgegrenztes, in eine Gemeinschaft eingebettetes Individuum zu sein, das nach körperlichem und sozialem Überleben und Glück strebt. Das Gefühl der Getrenntheit und Unterschiedlichkeit wird vollständig verdinglicht.
Getrenntheit bezeichnet das Gefühl von einem Selbst, das von anderen Wesen verschieden ist. Unterschiedlichkeit bezeichnet die spezifischen Unterscheidungsmerkmale jeweiliger Individuen sowie die Identifikation mit diesen Unterschieden. Getrenntheit und Unterschiedlichkeit sind beides konstruierte Sichtweisen, wobei Getrenntheit die fundamentalere ist.
Das Gefühl eines separaten Selbst hat seine Wurzeln in der grundlegenden Aufteilung der Erfahrung in ein Selbst und das, was das Selbst erlebt. Beim Sehen erschaffen wir sofort die Erfahrung „ich sehe.“ Diese Empfindung ist Teil der Wahrnehmung „ich sehe diesen Gegenstand“; der Moment wird gebildet aus dem Subjekt und dem Objekt, dem Seher und dem Gesehenen. Werden Empfindungen in der Hand bewusst, ist da das Gefühl „meine Hand“. Wenn die Hand etwas berührt, ist da die Erfahrung „ich fühle.“ Wenn wir den Gegenstand oder seine Beschaffenheit identifizieren, vervollständigen wir den Satz zu: „Ich fühle etwas.“ Was ich fühle, ist von mir getrennt. Wenn ich einem anderen Menschen begegne, erlebe ich dieselbe Spaltung: Ich sehe dich, oder ich berühre dich. In dem Maße, wie wir diese Unterscheidung vollständig verkörpern – das heißt, wir leben die Subjekt-Objekt-Spaltung schließlich als die Wahrheit statt nur als eine Art und Weise, der schlichten Sinneserfahrung eine Bedeutung zu geben –, wird die Getrenntheit für uns real. Ob unsere Kultur nun das Gefühl in uns nährt, dass dieses Selbst in eine größere Gesellschaft eingebettet ist, oder nicht – immer erzeugt jeder Moment des zwischenmenschlichen Kontakts subtile Gefühle privater Autonomie. Das ist universell und keineswegs schlecht. Wenn wir aber diese Identifikation nicht erkennen, bereiten wir den Boden für Einsamkeit und andere Formen der Seelenqual.
Dieses Gefühl der Getrenntheit bildet die Grundlage von Vorstellungen der Unterschiedlichkeit. Gibt es erst einmal ein Gefühl von dir und mir, fängt das Vergleichen und Konkurrieren an – und jetzt legt das zwischenmenschliche Konstruktionsteam erst richtig los! Wenn wir einmal unsere Getrenntheit von anderen „be-griffen“ haben, legen wir Wert auf Unterschiede bei Geschlecht, Alter, Hautfarbe und schließlich Reichtum, Nationalität, Macht und Status. Auf der Basis der Unterschiedlichkeit bildet sich eine Identität. Aus Gefühlen der Gleichheit wird leicht Geborgenheit in und Identifikation mit einer größeren Gruppe, wie man am Beispiel von Auswanderer-Gemeinden auf der ganzen Welt sehen kann. Auf der Grundlage der Unterschiedlichkeit suchen wir die sozialen Belohnungen von Lob und Anerkennung. Dies zeigt sich in der Form von Hierarchie- und Statusdenken mit seiner stillschweigenden Unterscheidung des „besser als“. Solche Belohnungen verfeinern das Gefühl dafür, „wer man ist“, und stärken durch Identifikation mit Mitgliedern unserer Gruppe gute Selbstgefühle. Zum Beispiel bekommt man zu hören: „Als Mitglied dieser Kirchengemeinde fühle ich mich zufrieden und geborgen; hier sind lauter gute Menschen.“ Die Kehrseite der Sache ist, dass wir soziale Fehlschläge oder Bestrafungen meiden. Vorwürfe und Ablehnung kommen auf, indem wir Menschen außerhalb unserer Gruppe als noch weit mehr „anders“ einstufen, als weit verschiedener von uns, als sie den Sinnen tatsächlich erscheinen. Feinde werden dämonisiert, ihre „Andersartigkeit“ wird über das tatsächliche Maß hinaus übertrieben, wodurch ihr Status zementiert und gleichzeitig die eigene Gemeinschaft gefestigt wird.
Das Selbst, das aus diesen Vergleichen und Abstimmungsprozessen hervorgeht, fühlt sich unterlegen, überlegen, mit Verbündeten alliiert, gegen Feinde gewappnet und in einen Strudel von Vorlieben und Abneigungen hineingezogen. Meinungen, Rollen, soziale Segmentierung, Wünsche, Ängste und Verwirrung wuchern. All diese Gefühle und Standpunkte verursachen körperliche Spannungen und emotionales Unwohlsein. Die Anspannung steigt und die eingerastete Identität wird krampfhaft festgehalten; schließlich muss „ich“ mich ja schützen, muss „ich“ die Sicherheit für „mich“ und „die Meinen“ gewährleisten, habe „ich“ ja recht und daher auch das Recht, alles zu tun, um diese Sicherheit aufrechtzuerhalten. Aus gespeicherten Ideen über körperliche Merkmale („Ich bin klein“) und beziehungshaften Dynamiken („Ich bin verletzlich“) im Lauf der Zeit automatisch aufgebaut, bilden die Konstrukte der Getrenntheit und Unterschiedlichkeit die Basis einer Weltsicht, die jeden Aspekt unseres Lebens beeinflusst. Das Selbst, separat und verschieden, ist das, was hungert und wehtut.
Stellen Sie fest, wie Sie sich selbst in Bezug auf andere Menschen oder Gruppen anderer Menschen als ähnlich oder verschieden definieren. Welche Elemente spielen dabei mit? Geschlecht? Rasse? Sexuelle Vorlieben? Politischer Standpunkt? Beruf? Einkommen? Alter? Fitness? Stellen Sie fest, ob Sie die jeweilige Unterscheidung gewohnheitsmäßig mit einem Überlegenheitsgefühl verbinden.
Wie definieren Sie sich selbst in Bezug auf Ihre Eltern, Kinder oder Geschwister?
Beobachten Sie eine Zeit lang unauffällig fremde Menschen. Achten Sie auf jedes Gefühl der Getrenntheit, das aufkommt. Finden Sie Momente, in denen Sie einfach nur sehen, oder ist da immer dieses Gefühl von „ich“ und „sie“ und der Kluft dazwischen?
Der Hunger nach Lustgewinn und der Drang, Schmerz zu vermeiden
Wir haben das reziproke Verhältnis von Lustgewinn und Schmerz bereits betrachtet: Wir suchen den Lustgewinn nicht nur wegen seines anregenden Effekts, sondern auch, um Schmerz zu vermeiden. Wir finden das Ende eines Vergnügens schmerzhaft und fürchten uns deshalb davor; wir erleben den Drang, unseren Lustgewinn zu bewahren und auszudehnen. Das Ende eines Schmerzes finden wir angenehm. Wenn wir den Hunger nach Lustgewinn in zwischenmenschlichen Begriffen verstehen wollen, müssen wir verstehen, was mit zwischenmenschlichem Lustgewinn gemeint ist. Entscheidend ist auch, den dominanten zwischenmenschlichen Schmerz zu identifizieren, vor dem wir fliehen. Wenn wir diese einfachen Fakten verstehen, wird es leicht zu sehen, wie der Hunger nach Lustgewinn in unserem Leben wirksam ist; diese Einsicht macht den Weg frei zum Aufhören dieser Hungergefühle und dem Aufdämmern von Gelassenheit und Mitgefühl.
Zwischenmenschlicher Lustgewinn sind die angenehmen Emotionen und Empfindungen, die aus zwischenmenschlichem Kontakt entstehen. Ich finde es hilfreich, dieses Vergnügen in zwei Klassen einzuteilen: