Egoistischer Lustgewinn funktioniert so, wie der Name sagt: Wir suchen Kontakt, um unseren Hunger nach vergnüglicher Anregung zu befriedigen. Diese Anregung dient zwei Zielen. Sie unterhält und begeistert uns, erfüllt uns mit Leben, Schwung, vertreibt Langeweile. Sie lenkt auch von dem Schmerz unerfüllter Sehnsüchte ab. Genauso wie der physiologische Organismus sucht auch der soziale Organismus Stimulation, und zahllose Formen zwischenmenschlichen Entertainments bezeugen dies, von Partys bis zu Chatrooms im Internet, vom Fußball bis zum Büroklatsch. Hier wirkt der normale soziale Antrieb.
Um zu verstehen, warum egoistischer zwischenmenschlicher Lustgewinn beim Vermeiden zwischenmenschlichen Schmerzes so wichtig ist, müssen wir diesen Schmerz genauer verstehen. Einsamkeit ist die zwischenmenschliche Manifestation der Angst vor der Leere, welche wiederum eine Manifestation der Angst vor dem Tod ist. Aus diesem Schmerz heraus und der Angst vor diesem Schmerz erleben wir Eifersucht, Verrat und viele Formen des Hasses und der Wut. Einsamkeit beruht auf der Perspektive des Getrenntseins, wird von Vorstellungen über Unterschiedlichkeiten verschärft und wurzelt im Hunger nach Lustgewinn. Allein zu sein gehört zu den fundamentalen menschlichen Erfahrungen; Einsamkeit nicht. Ich bin allein in diesem Körper, du in jenem – das sind Aldous Huxleys „Inseln“, von denen „jede ein Weltall für sich bildet“.16 Wir erleben Myriaden von emotionalen und energetischen Wechselbeziehungen, aber wir fühlen uns einsam, wenn wir an der Idee eines isolierten Selbst festhalten, das bis in die Kindheit und darüber hinaus zurückreicht, eines Selbst, das in Wirklichkeit jeden Moment neu aufgebaut wird. Der Hunger nach Lustgewinn wird im Kontakt mit anderen vielleicht gestillt, aber wenn das vorbei ist, kommen Einsamkeit und Traurigkeit zurück. Wann immer wir nach Lustgewinn hungern und der Hunger nicht befriedigt wird oder die Befriedigung endet, kommt Schmerz auf.
Fast jede(r) ist auf der Jagd nach der Befriedigung seines oder ihres Hungers; als Reaktion auf diese Art Fressgier bilden Menschen ein interaktives System von Anregung und Ablenkung. Dieser gegenseitige Kitzel steckt hinter vielen sozialen Normen. Wegen dieses Beziehungs-Kitzels treffen sich Leute am Brunnen oder am Wasserspender. Wenn wir die leere Wohnung betreten und uns einsam fühlen, greifen wir vielleicht zum Telefon und rufen einen Freund an: ein Versuch, den Geist beschäftigt und die Angst vor der Leere klein zu halten.
Wir füllen auch die leeren Räume, wenn wir uns in großen Gruppen versammeln, was uns noch viel mehr Anregung bringt. Ich erinnere mich, wie mir das eines Abends auffiel, als meine Frau und ich mit zwei anderen Paaren essen gingen. Während wir aßen, erstreckte sich unsere Unterhaltung von den Nachteilen unserer Häuser bis hin zu Geschichten aus dem Berufsleben. Wir sprachen über Wirtschaft und Filme, Politik und das Internet. Jedes Treffen dieser Art entfaltet sich auf vielen Ebenen. Wir vertraten unsere Wertvorstellungen, machten unserem Ärger Luft, tauschten praktische Informationen aus und schenkten einander durch unser Zuhören eine Art uneigennütziger Freundlichkeit. Allerdings war auch klar, dass wir uns rein aus dem Bedürfnis nach Anregung und Ablenkung gegenseitig amüsierten. Geistreiche Witze, interessante Anekdoten und wissende Blicke sorgten für eine kleine Glückswelle nach der anderen. Das ist Smalltalk als Mittel der Ablenkung, als Puffer gegen den Schmerz der Einsamkeit. Daran ist nichts Unmoralisches, aber es ist nützlich, diesen Drang nach Anregung zu bemerken – im Hinblick darauf, dass auch Beziehungen möglich sind, die auf mehr Gelassenheit, Mitgefühl und Weisheit beruhen.
Und dann ist da noch der Sex, der Urahn jeden Beziehungs-Kitzels, der als Gipfel jeglicher Stimulation gilt. Für viele Menschen ist Sex eine wichtige Form der Unterhaltung. Er ist ein überaus mächtiger Treffpunkt persönlichen und zwischenmenschlichen Lustgewinns. Die Hungergefühle des Körpers und die Hungergefühle des Herzens treffen sich und können einen Moment lang in einem einzigen Akt gestillt werden. Der persönliche Lustgewinn wird angetrieben von der immensen Kraft grundlegender hormoneller Reize. Der zwischenmenschliche Lustgewinn wird genährt von der unschlagbaren physischen Intimität einer Berührung mit dem ganzen Körper und des Geschlechtsverkehrs. Sex und Liebe sind natürlich nicht dasselbe, und es ist möglich, dass der Hunger nach Lustgewinn gestillt wird, eine Einladung zu echter Zuwendung aber ausbleibt. Hier hat Sex den Charakter von Ablenkung, Sucht oder Befriedigung eines egoistischen Dranges. Bindung, Fürsorge und Großzügigkeit fehlen leider oft völlig.
Beim Versuch, diese Hungergefühle zu verstehen, geht es nicht bloß um Freude und Schmerz des Einzelnen allein. Unsere Güte und Empfänglichkeit für andere stehen ebenfalls auf dem Prüfstand. Warum? Wenn wir hungrig sind, sehen wir andere Menschen primär als potentielle Nahrung, nicht als die Menschen, die sie an und für sich sind. Und wenn wir einen beziehungshaften Lustgewinn erleben, haben wir vielleicht Angst, ihn wieder zu verlieren und beschützen deshalb in egoistischer Weise, was „uns gehört“. Wenn wir den Lustgewinn, den wir wollen, nicht bekommen, sind wir zuerst verletzt und dann wütend. Aggression ist die übliche Antwort auf die Frustration unserer Wünsche. Wenn jemand dem Menschen, mit dem wir gerne zusammen wären, näher kommt und wir ausgeschlossen werden, spüren wir eifersüchtigen Hass und handeln vielleicht diesem Hass entsprechend. Wenn eine dominierende ethnische Gruppe uns an der Verwirklichung unserer Träume hindert, spüren wir Wut gegenüber den Mitgliedern dieser ethnischen Gruppe. Wir sind verletzt und wütend, wenn uns jemand verlässt, den wir für unser soziales Entertainment oder die Beschwichtigung unserer Ängste brauchen.
Der Hunger, der zwischenmenschlichen Lustgewinn erreichen und zwischenmenschlichen Schmerz vermeiden möchte, bildet die Basis für namenlose Traurigkeit, Zwanghaftigkeit und Gewalttaten. Er perpetuiert Gewohnheiten des materiellen Konsums, da wir das Loch der Einsamkeit mit Essen, Drogen, Konsumverhalten und Arbeit zu füllen versuchen. Dieser Hunger nach Lustgewinn durchdringt unser Leben mit einem Gefühl des Mangels, der Unzufriedenheit und Unvollständigkeit. Es liegt in der Natur dieses Hungers, dass er nur zeitweilig befriedigt, aber nie dauerhaft gestillt werden kann.
Wenn Sie das nächste Mal Freunde kontaktieren, achten Sie auf das Gefühl freudiger Erwartung. Während Sie mit Ihnen interagieren, achten Sie darauf, ob Sie an diesem Angeregtsein festhalten oder sich vielleicht sicher fühlen vor Einsamkeit. Diese Dinge sind natürlich, also üben Sie Nachsicht.
Achten Sie auf alle Strategien, die Sie in einer schwierigen Beziehung anwenden, um den Schmerz zu besänftigen: sinnliche Vergnügungen wie Essen und Trinken, Ablenkung durch Unterhaltung oder indem Sie in einer anderen Beziehung Trost suchen.
Der Hunger nach Dasein und die Angst vor dem Nicht-Sein
Das zweite der drei tiefverwurzelten Hungergefühle in Buddhas Lehre ist der Hunger nach Dasein, nach Existenz. Der Drang nach körperlichem Überleben erzeugt einen Hunger nach Sicherheit und als Gegenstück eine Angst vor dem Tod. Der Wunsch nach psychologischem Überleben erzeugt einen Hunger nach Ego-Sicherheit und eine existentielle Angst vor der Leere. An der Wurzel ist das ein Hunger, das Leben zu erfahren, zu werden, in jedem Moment. Der zwischenmenschliche Hunger nach Dasein ist der Hunger, gesehen zu werden. Es ist der Wunsch, in den Augen der anderen zu existieren, und die Angst, unsichtbar zu sein. Das ist relationales Überleben. Es ist die Sehnsucht des Selbst, erkannt, anerkannt, gewürdigt und geliebt zu werden. Es ist auch die Grundlage der Angst, die Anerkennung zu verlieren, die wir momentan genießen. Es ist alles von „Mama, guck mal“, während das Kind durch die Küche tanzt, bis zum Imponiergehabe des Diktators im Rampenlicht vor den Augen einer ganzen Nation. Dieser Hunger speist sich aus Ängsten, dass man uns nicht sieht, dass wir es nicht wert sind, gesehen zu werden, es sei denn, unsere Vorführungen sind erfolgreich. Wenn wir nicht gesehen werden, leben wir nicht.
Um die Macht dieses Hungers nach Gesehen-Werden – und seines Begleiters, der Angst vor der Unsichtbarkeit – richtig zu verstehen, ist es entscheidend, seinen Zusammenhang mit unserer elementaren Angst vor dem Tod und existentieller Leere zu verstehen. Diese Urangst und dieser Ur-Hunger sind, zusammen mit den begleitenden, psychologisch konditionierten Hungergefühlen und Ängsten, zutiefst miteinander verbunden. Wenn wir das verstehen, sind wir besser darauf