Aufwachsen in Geborgenheit. Bert Powell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bert Powell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813570
Скачать книгу
Veränderung.

      Wir sind der Ansicht, dass Gefühle, die nicht zur Haustür hereingelassen werden, sich in negatives Verhalten verwandeln, das schließlich gewaltsam durch die Hintertür hereinbricht.

      Im Laufe der Jahre sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass alle Kinder unter der Oberfläche „weise und abwartend“ sind. Kinder verfügen über eine ihnen innewohnende Weisheit darüber, was sie am meisten brauchen, und häufig warten sie viele Jahre, bis sie schließlich jemanden finden, der ihr eigentliches Bedürfnis erkennt und darauf eingeht.

      Eltern oder Freunde?

      Nach einer schnellen Antwort suchen, die neuesten Anleitungen befolgen und das Symptom behandeln statt das zugrunde liegende Problem – all dies sind Resultate davon, dass Eltern sich allzu große Mühe geben. Verzweifelt nach einem Weg suchend, sind diese Versuche möglicherweise das Einzige, was einem noch bleibt, wenn es unmöglich ist, den eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Wenn Sie glauben, dass die Messlatte himmelhoch ist und Sie sie um jeden Preis erreichen müssen, werden Sie natürlich nach allem greifen, was Ihnen eventuell helfen könnte.

      Natürlich besteht Bindung in emotionaler Verbundenheit. Aber für Ihr Kind mit all seinen Bedürfnissen da zu sein ist weitaus mehr als das. Es beinhaltet, die Führung zu übernehmen, wann immer es notwendig ist, und im Eltern-Kind-Paar den Part des oder der Älteren und Weiseren einzunehmen. In den letzten Jahrzehnten gab es viele Diskussionen über neue Erziehungsstile von liberal bis autoritär, wobei die meisten Experten empfehlen, in Bezug auf Autorität die goldene Mitte anzustreben – das heißt, darauf zu vertrauen, dass wir wissen, was in einer gegebenen Situation für dieses bestimmte Kind richtig ist, und keine Angst zu haben, nach dieser Überzeugung zu handeln. Doch die Auflösung des „Generationskonflikts“, den die Babyboomer erlebt haben, mag dazu beigetragen haben, die Grenze zwischen der Rolle eines Elternteils und der eines Freundes zu verwischen, und die Millennials und die Generation X, die heutigen Eltern also, sind die Erben dieses (Miss-)Verständnisses.

      Wenn man versucht, mehr Freund als Eltern zu sein, ist das unserer Erfahrung nach oft eine weitere Form von Perfektionismus, und zwar eine, die aufreibende Auseinandersetzungen und den unvermeidlichen Kummer des Kindes fürchtet. Selbstverständlich wünschen wir uns, dass unsere Kinder glücklich sind, und es ist wunderbar, wenn wir ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen haben, aber die Tatsache, dass wir die Älteren und Weiseren – auch „Eltern“ genannt – sind, muss den Rahmen für diese Beziehung bilden. Gesundes Begleiten von Kindern ist keine Demokratie. Um sich sicher und geborgen zu fühlen, müssen die Kinder erleben, dass sie jemandem so wichtig sind, dass er oder sie die Führung übernimmt, selbst dann, wenn das bedeutet, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und Disharmonie aushalten zu müssen.

      Die Bürde unseres unvollkommenen (chaotischen) Selbst

      Der Druck, perfekt zu sein, kommt nicht nur aus der Außenwelt oder ist ein Resultat davon, wie wir die Botschaften der Gesellschaft interpretieren. Unsere Vorstellungen darüber, wie wir als perfekte Eltern für unsere Kinder zu sein haben, kommen auch von innen. Wir alle tragen Erinnerungen, explizite wie implizite, mit uns herum, und sie prägen all unsere Beziehungen. Beim Aufziehen von Kindern sind unserer Ansicht nach nicht Ihre Handlungen das Entscheidende, sondern die Perspektive, aus der Sie Ihre Handlungen betrachten. Wenn man zum Beispiel von Ihnen als Kind erwartet hat, „perfekt“ zu sein, dann übertragen Sie diese Erwartung höchstwahrscheinlich auch auf Ihre eigene Elternschaft. Der Wunsch, dass Ihre Kinder niemals den Schmerz fühlen müssen, den Sie selbst einst gefühlt haben, kann in ungesunder Art und Weise auf Ihnen lasten. Natürlich ist es in gewissem Maße wichtig, was Sie tun. Aber noch wichtiger ist, wer Sie sind, während Sie es tun.

      Ihre innere Verfassung überträgt sich auf Ihr Kind genauso, wenn nicht sogar noch mehr als das, was Sie tatsächlich tun. In unseren Kursen weisen wir immer wieder darauf hin, dass Kinder zwischen den Zeilen lesen. Sie achten auf unsere Handlungen, doch noch mehr achten sie auf die innere Verfassung, die hinter unseren Handlungen steht. Wenn Sie zum Beispiel versuchen, Ihr Kind nach einem Sturz zu beruhigen und dabei genau die richtigen Worte finden („Oh je, mein Schatz, das fühlt sich bestimmt gerade ganz schlimm an“), aber insgeheim denken: „Ich bin keine gute Mutter. Ich hoffe, ich mache das richtig, aber ich glaube nicht“, wird sich Ihr Kind wahrscheinlich nicht so rasch beruhigen, wie es ihm ansonsten möglich wäre.

      Uns ist bewusst, dass diese Information ziemlich fatalistisch wirken kann: „Wenn ich aus einer nicht gerade idealen Familie komme, wird mein Kind meine Unsicherheit spüren, ganz gleich, wie sehr ich mich auch bemühe.“ Glücklicherweise ist das aber nicht der Fall. Was unsere Kinder spüren, ist unsere tiefe Absicht, ihnen jene Sicherheit zu geben, die sie am meisten brauchen. Unsere positiven Absichten bilden die zwischen den Zeilen versteckte Botschaft, die für sie am wichtigsten ist: Wir beabsichtigen stets, ihnen das Gute zu geben, das sie brauchen, in einem Kontext, der niemals perfekt ist. Unsere Kinder brauchen keine Perfektion, sondern sie müssen darauf vertrauen können, dass wir ihre legitimen Bedürfnisse erfüllen wollen, und das schließt mit ein, nach einem klaren und stimmigen Weg zu suchen, diese Bedürfnisse zu verstehen.

      Oft schränkt unsere Geschichte unseren Blick ein

      Manchmal machen uns die Lektionen, die wir in unserer Kindheit gelernt haben, blind dafür, was unsere Kinder brauchen, und das selbst dann, wenn wir zur Orientierung eine Karte wie den Kreis der Sicherheit haben. Wenn wir in unserer eigenen Kindheit nicht das Glück einer sicheren Bindung hatten, kann es besonders wichtig, aber auch besonders schwierig sein, uns im Hinblick auf unser pädagogisches Verhalten zu öffnen. Haben Sie in der Intimität Erfüllung gesucht, aber nicht wirklich gefunden? Haben Sie das Gefühl, dass Sie immer irgendetwas davon abhält, die Art von Leben zu führen, die Sie sich erhofft haben? Natürlich wäre es eine grobe Verallgemeinerung, zu sagen, dass eine unsichere Bindung hinter allem steht, womit Sie unzufrieden sind, aber Bindung hat einen solch starken Effekt auf jeden Aspekt unseres Lebens, dass Unsicherheit in der frühen Kindheit bei den Enttäuschungen, die wir als Erwachsene erleben, durchaus eine Rolle spielen kann. Dieses Buch lädt Sie dazu ein, Ihren eigenen Bindungsstil und dessen Auswirkungen auf Ihr Leben zu erforschen.

      Perfektes Kind → perfekte Eltern?

      Eine häufige Nebenwirkung von perfektionistischer Erziehung ist der Wunsch nach dem perfekten Kind. Dieses Phänomen steht mit einem bestimmten Bindungsstil in Zusammenhang und wird durch implizite Erinnerungen an die Bindung an unsere Eltern angetrieben, die wir nun in unsere eigene Elternschaft hineintragen. Wie jene Erinnerungen zu unserem Vermächtnis werden, wenn wir uns nicht bewusst sind, wie sie im Hintergrund unserer Elternschaft die Fäden ziehen, werden wir in Kapitel 5 noch ausführlicher besprechen. Doch das Muster des perfekten Kindes sehen wir, wohin wir auch blicken. Wenn man die Reaktionen auf Amy Chuas Buch Battle Hymn of the Tiger Mother aus dem Jahr 2011 betrachtet, wird einem klar, mit welcher Ernsthaftigkeit viele Eltern in den Erfolgen ihres Kindes eine Reflexion davon sehen, wie gut sie ihre „Aufgabe“ als Eltern gemacht haben. Das Buch war ursprünglich als Kommentar zu unserer Kultur gedacht, wurde dann aber zum Gegenstand einer hitzigen Debatte darüber, ob es richtig ist, wenn wir als Eltern Perfektion von unseren Kindern verlangen. Die Vorstellung, dass ein erfolgreiches Kind mit erfolgreichen Eltern gleichbedeutend ist (egal, ob es um die Manieren des Kindes, seine sportlichen Leistungen, seine Intelligenz oder seine äußere Erscheinung geht), ist weitaus verbreiteter – und augenscheinlich überzeugender –, als wir es uns oft eingestehen wollen.

      Dann gibt es da noch den Impuls, unsere Kinder als etwas „Besonderes“ zu betrachten. Auch er steht mit einem bestimmten Bindungsstil im Zusammenhang, der in Kapitel 5 erläutert wird. Er kann sich, wie in Kapitel 1 erwähnt, darin ausdrücken, dass wir jedem Gefühl des Kindes absoluten Vorrang einräumen, weil wir annehmen, unser Kind sei nicht imstande, Frustration oder Ärger auszuhalten. Wir werden noch ausführlicher darauf eingehen, wie unsere Versuche, unsere Kinder übermäßig zu beschützen und ihnen möglichst alle Schwierigkeiten und Probleme aus dem Weg zu räumen, sie der Fähigkeiten berauben, die sie brauchen, um Resilienz zu entwickeln. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Fähigkeiten, die nur im Kontext gemeinsamer Problemlösung und verständnisvoller Unterstützung und unter nicht idealen Umständen gelernt werden können. Dieser Impuls kann sich aber auch darin ausdrücken,