Amerikaner erleben in den Jahren der Elternschaft großen Stress
Im Jahr 2013 berichtete die American Psychological Association, dass die sogenannten Millennials (heute im Alter zwischen 18 und 33 Jahren) und die Generation X (im Alter zwischen 34 und 47) ihr Stressempfinden auf einer Skala von 1–10 mit dem Wert 5,4 einstufte (wobei 1 für kein Stress und 10 für sehr viel Stress steht) – als ein gesundes Stressniveau allerdings gilt 3,8. Die Erwachsenen in diesen Altersgruppen bekundeten zwar die Absicht, ihren Stress zu verringern, berichteten aber auch, Probleme im Umgang mit Stress zu haben, oft wach zu liegen und sich Sorgen zu machen und regelmäßig gereizt und ärgerlich zu sein. Stress hat einen großen Einfluss auf die Stimmung, die sich natürlich auch auf die Pädagogik auswirkt.
Es gibt Tausende hilfreicher Erziehungsbücher sowie zahlreiche Kurse, in denen man sich über verschiedene Aspekte der Kindeserziehung informieren kann, und die nützliche Prinzipien und Philosophien als unterstützende Grundlage zur Verfügung stellen. Wenn Sie als Eltern Vertrauen in Ihre eigene Fähigkeit haben, so für Ihr heranwachsendes Kind zu sorgen, wie es für Sie und Ihre Familie stimmt, werden Sie von diesen Ressourcen sicherlich guten Gebrauch machen. Es geht uns nicht darum, Sie vor den Ratschlägen anderer zu warnen. Um davon profitieren zu können, brauchen Sie jedoch das Vertrauen, selbst zu entscheiden, welchem Rat Sie folgen und wie Sie ihn umsetzen. Falls Sie versuchen, eine perfekte Mutter oder ein perfekter Vater zu sein, klammern Sie sich vielleicht an den neuesten Erziehungstrend und befolgen dessen Grundsätze, als ob es ein lebensrettendes Rezept wäre. Aber was, wenn Sie „scheitern“? Oder wenn die Tipps und Techniken nicht halten, was sie versprechen? Oder jemand mit einem angeblich noch „besseren“ Konzept daherkommt? Wieder einmal werden Sie als ungenügend verurteilt – von sich selbst oder von jenem unsichtbaren Aufseher, der stets über Ihren Bemühungen schwebt. Möglicherweise ziehen Sie zum nächsten großen Erziehungstrend weiter und drehen eine weitere Runde. Die Überfülle an guten Ratschlägen bietet Ihnen unzählige Wege, die sie ausprobieren können – und allein ihre Anzahl vermittelt die implizite Botschaft, dass Sie perfekte Eltern sein könnten, wenn Sie sich nur besser informieren würden. Es ist nichts falsch daran, über viel Wissen und Können zu verfügen. Aber warum nicht damit anfangen, was Sie bereits wissen? Der Kreis der Sicherheit soll Sie darin unterstützen, mit der Ihnen innewohnenden Fähigkeit zu Weisheit und Liebe in Kontakt zu bleiben.
Übereltern. Überwachung. Überengagement.
Diese Dinge gibt es tatsächlich. Sie sind, zumindest teilweise, das Ergebnis von „Expertenratschlägen“, die die lange Liste dessen, was man tun und lassen soll, noch länger machen (und die unterschwellige Botschaft in sich tragen: „Mach es richtig, ansonsten…“).
Stress. Stress. Stress.
Vielleicht kennen Sie die Geschichte von dem Tausendfüßler, der nicht mehr laufen konnte, weil jemand ihm gesagt hatte, es sei ganz wichtig, dass er einen jeden seiner Schritte zählte. Ganz ähnlich verhält es sich mit vielen Dingen in der Erziehungskultur, einer Kultur, die für Eltern inzwischen fast erdrückend ist, weil die potenziellen Auswirkungen des „nächsten Schritts“ (der ja falsch oder gar verhängnisvoll für das Kind sein könnte) uns an Ort und Stelle erstarren lassen. „Wenn ich X tue, wird es ihm so und so ergehen, und wenn ich Y nicht tue, wird er so und so enden.“ Und so fühlen wir uns zwischen Überwältigung und Ratlosigkeit gefangen, ohne jeglichen Referenzpunkt, auf den wir vertrauen können.
Ein halbes Jahrhundert Entwicklungsforschung hat jedoch zum Glück eine Klarheit gebracht, die mit der Zeit zu immer mehr Eltern durchdringt. Sie sagt sehr wenig darüber, was man tun und lassen sollte; viel mehr bietet sie die Möglichkeit, verschiedene Empfehlungen zu verstehen und dann eigene Entscheidungen zu treffen. Die Bindungstheorie und ihre praktische Anwendung im Kreis der Sicherheit ermöglicht uns, diese Entscheidungen zu treffen, ohne dass wir dazu ein „Zehn-Schritte-Programm zur erfolgreichen Erziehung“ befolgen müssen.
Es mag nicht leicht sein, das zu hören, aber wenn wir unsere Kinder zu emotionaler Gesundheit anleiten wollen, dann erfordert das, dass wir gesunde Entscheidungen treffen. Wichtiger als eine bestimmte Entscheidung ist jedoch, wer wir sind und wie wir uns fühlen, wenn wir diese Entscheidung treffen. Wenn man einfach einer Formel oder einer Anleitung folgt, wie man zu einem zufriedenen Baby kommt, wird das Kind sich dressiert oder manipuliert vorkommen, selbst wenn die besten Absichten dahinterstehen.
Das Problem ist folgendes: Wie kann man wichtige Dinge über Kinderbetreuung lernen, die sich für das Kind tatsächlich positiv auswirken, ohne dabei den Ängsten zu erliegen, die durch einen pädagogischen Ansatz nach dem Motto „richtig versus falsch“ ausgelöst werden? Wenn Sie beim Lesen dieser Seiten nervös werden – oder noch nervöser, als Sie es bereits sind –, haben wir Ihnen keinen Dienst erwiesen. Doch wenn Sie die Bedeutung dessen erkennen, was Sie tun, und es Ihnen außerdem in zunehmendem Maße leichtfällt, Ihrem Kind das zu geben, was es braucht, dann haben wir genau das erreicht, was wir uns erhoffen.
Der Irrweg des Verhaltensmanagements
In Kapitel 1 haben wir erwähnt, dass im zwanzigsten Jahrhundert die Bedeutung von Bindung zugunsten des Behaviorismus heruntergespielt wurde. Das bedeutet nicht, dass Verhalten nicht wichtig ist. Es bedeutet, dass das Verhalten nicht das Problem ist – auch wenn es einem natürlich so vorkommt, wenn man gerade verzweifelt versucht, sein „unmögliches Kind“ dazu zu bewegen, ins Auto zu steigen, weil man mit ihm zum Einkaufen oder in den Kindergarten fahren will. Verhalten ist einfach eine Botschaft. Dennoch liegt in unserer Gesellschaft das Augenmerk oft noch immer auf dem Verhalten des Kindes. Zweifellos ist ein Verhalten, das dem Lernen zuträglich ist, wichtig, sobald das Kind zur Schule geht, und wir alle müssen uns so benehmen, dass wir uns durch die Welt bewegen können, ohne den anderen Menschen und ihren Absichten unnötig in die Quere zu kommen, während wir versuchen, unsere eigenen Ziele zu erreichen. Aber bei sehr kleinen Kindern sollte der Fokus der Fürsorge nicht auf dem Verhalten liegen.
Verhaltensansätze sind wunderbar, wenn sie funktionieren, oft aber ändern sie nur vorübergehend etwas an dem Verhalten, ohne die zugrunde liegenden Probleme zu adressieren, aus denen das Verhalten resultiert. Das liegt daran, dass sie im Wesentlichen ein weiterer Versuch einer schnellen oder oberflächlichen Lösung sind. Wenn wir das Verhalten unserer Kinder erfolgreich verändern, fühlen wir uns dadurch vielleicht gut, weil unsere braven Kinder der sichtbare Beweis unserer Fähigkeiten als Eltern zu sein scheinen – und dieses Gefühl brauchen wir natürlich, wenn wir immerzu nach Perfektion streben und dabei unweigerlich scheitern. Mehr zu der Vorstellung von perfekten Eltern und perfekten Kindern später. Für jetzt mag es genügen zu sagen, dass wir uns durch die Erfahrung emotionaler Verbundenheit, die aus der sicheren Bindung zu unserem Kind resultiert, wahrscheinlich weitaus besser fühlen, als wenn wir sein schlechtes Benehmen „managen“.
Wenn Sie verstehen wollen, wie man unserer Meinung nach Verhalten zutreffender betrachten kann, stellen Sie sich einen Eisberg vor. An der Oberfläche sehen Sie lediglich eine enorme Anhäufung von Eis. Was Sie nicht sehen, ist die Masse, die sich unter der Oberfläche befindet und die oft mehr als 80 % des eigentlichen Eisbergs ausmacht. Stellen Sie sich nun vor, dass das, was Sie an der Oberfläche sehen, die Verhaltensweisen des Kindes sind, und das, was Sie nicht sehen, seine legitimen Bedürfnisse nach Unterstützung und Regulation. Wir haben in vielen verschiedenen Settings (Schulen, Pflegeheimen, Familienberatungen) mit vielen gefährdeten Kindern gearbeitet, und wir haben dabei erlebt, wie wichtig es ist, dass die Bezugspersonen sich stets der legitimen Bedürfnisse bewusst sind, die oft unterhalb der Oberfläche eines bestimmten (negativen) Verhaltens liegen. Einer von uns Autoren erinnert sich, als junger Pflegevater Sternchenkarten, Auszeiten, logische Konsequenzen und weitere verschiedene Formen positiver und negativer Verstärkung mit wenig dauerhaftem Erfolg ausprobiert zu haben, bevor er schließlich dazu überging, sich mit dem Kind, das gerade ausflippte, hinzusetzen und zu sagen: „Wir bleiben jetzt dabei, bis wir auf der anderen Seite ankommen.“ Hatte sich erst einmal eine Beziehung entwickelt, in der das Teilen von Gefühlen entscheidend für die Lebenserfahrung der Kinder war, löste sich das problematische Verhalten auf. Wenn man nur auf das Verhalten reagiert und das Bedürfnis nicht beachtet (das