Kinder können nicht lernen, wenn ihre Haare in Flammen stehen.
Kinder, die unter großem Stress aufwachsen, sind aufgrund des Mangels an Geborgenheit und anderen Notwendigkeiten oft so sehr damit beschäftigt, sich für Gefahren zu wappnen, dass sie sich nicht konzentrieren können.
Sie scheinen in Ermangelung von sozialem Kontakt auch weniger gut lernen zu können. Schließlich ist bekannt, welche positiven Auswirkungen es auf die Lesekompetenz hat, wenn Eltern ihren Kindergartenkindern vorlesen, oder wie wertvoll es ist, einen wirklich guten Lehrer zu haben. Eine sichere Bindung ist der erste soziale Kontakt, der Ihr Baby beim Lernen unterstützt. Das funktioniert so:
1. Das Elternteil dient als sichere Basis, von der aus das Kind etwas erkunden kann – ob es der Spielplatz ist, wie in Leis Fall, oder ein Chemiebaukasten.
2. Vertrauen in das Elternteil macht es sicher gebundenen Kindern leichter, bei den Eltern Unterstützung beim Lernen zu suchen.
3. Konstruktive, erfreuliche Interaktionen zwischen Eltern und Kind erleichtern den Informationsaustausch.
4. Durch Bindung entwickeln Kinder ein kohärentes Gefühl für sich selbst und für andere, was sie dazu befähigt, klar zu denken und ihren Denkprozess effizient zu regulieren.
Es wurde beobachtet, dass sicher gebundene Kleinkinder aktiver in ihrer Erkundung sind und längere Aufmerksamkeitsspannen haben. In einer Studie beteiligten sich sicher gebundene Zweijährige mehr an symbolischen Spielen, die die Entwicklung einer gesunden, kreativen Fantasie fördern (siehe Seite 61). Ein Diagramm der Wissenschaftler Corine de Ruiter und Marinus van Ijzendoorn zeigt, dass Eltern, wenn sie eine sichere Bindung mit ihren Kindern aufbauen, indem sie ihnen feinfühlige, sanfte und nicht-bestrafende Anleitungen geben, die Selbstachtung des Kindes sowie seine Motivation, Aufmerksamkeitssteuerung, Ausdauer bei Aufgaben und metakognitive Fähigkeiten fördern. All diese Fähigkeiten tragen zu schulischem Erfolg bei.
Die Längsschnittstudie aus Minnesota zeigte, dass unsicher gebundene Kindergartenkinder viel mehr auf ihre Betreuerinnen angewiesen waren als sicher gebundene Kinder im gleichen Alter. Das gleiche Muster zeigte sich in Ferienlagern, als die Kinder zehn Jahre alt waren.
Sicherheit → Selbstvertrauen → Eigenständigkeit
Als Spezies sind wir nicht dazu bestimmt, unabhängig bis hin zur Isolation oder äußersten Selbstgenügsamkeit zu sein, anderseits leben wir nicht sehr lange, wenn wir nicht ein gewisses Maß an Selbstständigkeit erreichen. So wie es auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, dass wir jemand „anderen“ brauchen, um ein „Selbst“ zu entwickeln, so werden Kinder, die sich von Geburt an auf einen Erwachsenen verlassen können, auch in der Lage sein, sich auf sich selbst zu verlassen, wenn sie älter sind – weil sie wissen, wann es gut ist, Rat oder Trost bei einer vertrauten Person zu suchen. Und natürlich ist auch das Gegenteil wahr: Kinder ohne eine sichere Bindung haben, wenn sie älter sind, möglicherweise Probleme damit, sich auf sich selbst zu verlassen (oder sie sind unfähig, sich auf irgendjemanden außer sich selbst zu verlassen).
Unterstützt die Bindung Ihr Kind dabei, seine Fantasie zu entwickeln?
Wir alle wünschen uns, dass unsere Kinder mit einem klaren Realitätssinn aufwachsen, aber eine gesunde Fantasie hat zweifellos ebenfalls ihr Gutes. Dr. Robert Emde, Experte für frühe sozial-emotionale Entwicklung, nannte die Fantasie eine „anpassungsfähige psychologische Funktion von emotionaler Bedeutsamkeit“. Die Bindungsforscherin und -expertin Inge Bretherton schrieb der Fantasie positive Auswirkungen auf Kreativität und Lernen zu: Wenn ein Kind seine Fantasie dazu verwenden kann, eine Geschichte zu erzählen, kann es das „Als-ob“ der Fantasie übersetzen in das „Waswenn“ des Verstandes, und auf diese Art und Weise kann es verschiedene Zukunftsszenarien erschaffen und mit ihnen experimentieren. Das bedeutet, dass Fantasie auch die sozialen Interaktionen verbessern kann, zum Beispiel dadurch, dass die Kinder sich vorstellen, was ihre Altersgenossen und Bezugspersonen vielleicht tun oder sagen würden, und dem entsprechend handeln.
Die meisten Kinder entwickeln im Alter von etwa drei oder vier Jahren Fantasie, allerdings hat die Forschung gezeigt, dass schon zweijährige Kinder Freude daran haben, mit ihren Eltern zu fantasieren, und in vielen Fällen bereits zwischen Wirklichkeit und Fantasie unterscheiden können. Interessanterweise fällt ihnen diese Unterscheidung unter Stress deutlich schwerer. Durch die Reduzierung von momentanem und langfristigem Stress könnte eine sichere Bindung bei kleinen Kindern den Nebeneffekt einer gesunden Fantasie haben.
Eine Grundlage für echtes Selbstwertgefühl
Wenn ein Elternteil die meiste Zeit für uns da ist (nicht die ganze Zeit – ein wichtiger Aspekt, den wir in diesem Buch noch ausführlich besprechen werden), schließen wir daraus, dass wir es wohl verdient haben müssen. Klingt albern – das ist doch schließlich die Aufgabe von Mama und Papa, oder? Es ist schließlich keine Belohnung für etwas. Aber stellen Sie sich einmal vor, was in einem Baby vorgehen würde, wenn es bereits über Worte verfügen würde: „Hm, ich habe geweint und Mama ist hergekommen und hat mich auf den Arm genommen. Sie hat mir in die Augen geschaut und ein trauriges Gesicht gemacht, und dann hat sie ganz sanft gesagt: ‚Ich weiß, ich weiß, das ist ganz schlimm…‘, woher wusste sie, wie ich mich gefühlt habe? Na ja, wie auch immer, sie ist da, und ich fühle mich schon etwas besser.“
Und dann, das nächste Mal: „Na schau mal, Mama ist wieder da. Sie ist herumgelaufen und hat schrecklich schnell irgendwelche Sachen gemacht, aber als ich geweint habe, kam sie trotzdem her.“ Und dann: „Schau mal! Sie ist da! Ich habe gerade angefangen, mir etwas Sorgen zu machen – ich habe sie ein paar Minuten lang nicht gesehen und wusste nicht, wo sie hingegangen ist. Aber ich habe noch nicht mal geweint, und da ist sie!“ Das Baby zieht aus diesem Muster folgenden Schluss:
Die Mutter sagt: „Ich bin da und du bist es wert.“
Ich schließe daraus: „Du bist da und ich muss es wert sein.“3
Die Forscher der Längsschnitt-Studie aus Minnesota fanden einen weiteren Nebeneffekt der Emotionsregulation, die in einer sicheren Bindungsbeziehung gelernt wird: Kinder, die darauf zu vertrauen gelernt hatten, dass ihre Eltern ihnen helfen würden, schmerzhafte Gefühle zu regulieren, entwickelten mit der Zeit auch Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit zur Emotionsregulation, was dazu führte, dass sie im Kindergartenalter und im Alter von zehn Jahren über mehr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl verfügten.
Sicher gebundene Babys beginnen ihr Leben mit einem großen Vorteil: Sie haben bereits erlebt, dass, wenn nichts in der Welt Sinn ergibt, wenn Schmerz, Angst und Traurigkeit wie aus dem Nichts auftauchen, dann jemand da ist, dem sie es wert sind, mit ihnen zu sein – ganz gleich, was los ist.
Wie Sie sicherlich wissen, ist „Selbstwertgefühl“ ein kontroverses Konzept. Vor noch nicht allzu vielen Jahren glaubten viele Eltern und andere Menschen, die mit Kindern zu tun hatten, Selbstwertgefühl entstünde dadurch, dass die Kinder sich anderen nicht unterlegen fühlen: goldene Sternchen für alle! Einfach dafür, dass sie gekommen sind! Inzwischen scheint sich die gegenteilige Vorstellung, Selbstwertgefühl entstünde durch Kompetenz, als gängige Meinung durchgesetzt zu haben. Und, wie wir gesehen haben, ist eine sichere Bindung glücklicherweise auch die Grundlage für Selbstvertrauen und weitere Eigenschaften, die man braucht, um Kompetenz zu entwickeln. Dass ein geringes Selbstwertgefühl Stress erzeugt, scheint sich von selbst zu verstehen. Wir möchten, dass unsere Kinder sich gut damit fühlen, wer sie sind und was sie können, und nicht durch Neid oder rücksichtsloses Konkurrenzdenken um ihren Selbstwert ringen müssen.
Ein weiterer warnender Hinweis: Selbstwertgefühl entsteht aus Bindungssicherheit,