Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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war außerordentlich fromm. Stundenlang kniete er in der Kirche zum Gebet. Wahrscheinlich bat er den lieben Gott um pünktliche Steuerzahler in Mürzzuschlag. Bei einem größeren Fest hielt dieser besagte Herr eine hochoffizielle Rede. Mein Mann und ich waren Ehrengäste. Entschuldige, wenn ich keinen Namen nenne. Bei dieser Rede, in der er den lieben Gott wohl in jeder Minute einige Male anrief, wurde mir ganz mulmig. Ich bin mir ganz sicher, dass sich der liebe Gott selbst zu dieser Serenade die Ohren zuhielt. Zudem sang und jammerte er, anstatt wie ein Mann zu reden. Ich erlaubte mir, ihm ins Wort zu fallen, und fragte ihn, ob er den lieben Gott hochleben lassen wolle. Von diesem Tage an hatte er in Mürzzuschlag den Beinnamen: „Der liebe Gott!“ So eine grässliche Heuchelei ist mir aus tiefster Seele zuwider. Ich bin eine fromme Christin, ein gläubiges Gemüt, aber keine Heuchlerin. Ich gehe in die Kirche und bete innig und fromm, nur keine vorgeschriebenen Gebete. Meine Gebete kommen aus dem Herzen und die Quintessenz meiner Religion ist, ein anständiger Mensch zu sein und mich in christlicher Nächstenliebe zu üben. Du kannst dir denken, wie schwer es mich getroffen hat, vor dem Richter zu stehen und für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, die ich nie begangen habe. Das schreckliche Gefühl der Schuld, nicht genug auf meinen Mann aufgepasst zu haben, hat sich in mir breit gemacht. Es gibt Wunden, die die Zeit nicht heilt. Wenn du verstehst, was ich meine. Es fällt mir immer noch schwer, für das, was geschehen ist, die richtigen Worte zu finden. Unerträglich war es, ich hatte nicht die Kraft, einen Priester noch einen Arzt zu rufen. Niemanden wollte ich mehr sehen, keinen einzigen Menschen. Mir wurde klar, dass Gott nur die Natur, die Blumen und Tiere, erschaffen hat. Die Menschen aber hat der Teufel gemacht!

      Dem zweiten Mann gab ich den Spitznamen „Anatol Schumrig“. Er dachte wohl, seine Eltern seien die reichsten Leute in der Stadt. Jedes Mal, wenn ihm etwas nicht passte, meinte er, dass er den ganzen Kram einfach hinwerfen werde. Trotzdem schien es ihm, als könne der österreichische Staat nicht auf seine treue Arbeit verzichten, die er für einen – seiner Meinung nach – Hungerlohn leiste. Er war der Spitzel des Statthalters und animierte seinen Vorgesetzten, den Bezirkshauptmann, zu unvorsichtigen Äußerungen. Leider war mein gutgläubiger Gatte bei solchen Äußerungen manchmal ungeschickt, vor allem in meiner Abwesenheit, musste ich erfahren. Das hat ihm letztendlich das Genick gebrochen. Mein Mann war über die Arbeiten des Herrn Schumrig meist entsetzt, er musste häufig alles neu schreiben, weil seine Schrift die eines kleinen Kindes war. Ich sagte wohl manchmal lächelnd: „Wegen hohen Adels des Lesens und Schreibens unkundig!“ Nein, das Pulver hatte er nicht erfunden, nicht einmal das Insektenpulver; wenigstens für anständig hielt ich ihn damals. Die österreichischen Beamten bilden, soweit ich dies anhand der drei „Freunde“ meines Mannes zu beurteilen vermag, eine ganz besondere Spezies. Gelernt haben die jungen Herren eher wenig. Sie verstanden ihr Ämtchen mehr schlecht als recht und bildeten sich auf ihre Stellung Gott weiß was ein. Irgendein dummes Amtsgerede beschäftigte sie tagelang, denn außer „fachsimpeln“ konnten sie nichts. Neid und Missgunst waren ihre Charaktereigenschaften, wichtig war ihnen nur, nach außen den Stand zu wahren! Das war die Hauptsache – inwendig konnte man schon ein Lump sein, nur erwischen durfte man sich nicht lassen. Viel zu spät habe ich die ehrwürdigen Herren durchschaut! Viel zu spät, das stellte sich als großer Fehler heraus. Doch wer weiß das im Vorhinein schon?

      Und der Dritte? … Ach, das war ein armer Teufel, der eher zu allem anderen getaugt hätte, als Beamter einer Bezirkshauptmannschaft zu sein! Immer war er gleich beleidigt, fühlte sich zurückgesetzt, obgleich er im Grunde genommen der Begabteste von allen dreien war. War er im Büro und kamen die Mürzzuschlager zu ihm, redeten ihn seine Kollegen mit „Sie“ an, aber wenn er auswärts arbeitete, machten sie sich über ihn lustig: „Warum heiratet er nicht in ein gutgehendes Gemischtwarengeschäft?“, fragten sie. Dort passte er ihrer Meinung nach besser hin als zum politischen Dienst! Die entsetzliche Unsauberkeit machte mir diesen Mann widerwärtig. Ein so übler Geruch ging von ihm aus, dass seine Kameraden ihn öfter darauf aufmerksam machen mussten, er solle seine Wäsche wechseln. Stell dir vor, ich bin einmal ohnmächtig geworden neben ihm. Ein derartig übler Gestank hing an diesem Mann. Aus diesem Grund war er der eher seltenere Gast bei uns, sein ganzes Benehmen gefiel mir nicht. Am Verhandlungstag überreichte er mir dafür dankend die Quittung! Seine hasserfüllten Augen werden mir unvergesslich bleiben. Ich blickte ihm ins Gesicht und musste innerlich lachen, selbstverständlich war alles gelogen, was er über mich erzählte. Er begann um sich zu blicken, zu fuchteln, sich mit dem Taschentuch die Stirn abzuwischen. „Warum hast du dich nur mit ihnen abgegeben?“, fragte ich mich. Bei seinen Worten wurde es mir ganz unheimlich, ein Wahnsinniger schien da vor dem Richter zu reden. Sein Gerede schwirrte durch den Raum, wie verzweifelte Hummeln, die Luft im Saal wurde immer stickiger und ich drohte bald zusammenzubrechen, habe mich jedoch aufgerafft. Ich dachte, der Gipfel der Gemeinheit sei erreicht – und täuschte mich, denn das war noch lange nicht alles! Du musst mir zustimmen: Zu diesen schrecklichen Leuten habe ich nicht gepasst. Doch das Glück meines Mannes füllte mich damals so vollständig aus. Sein Wohl beherrschte mich viel zu sehr, um die schlechten Absichten seiner „Freunde“ zu erkennen. Wer auf dieser unseligen Welt nur der reinen Vernunft und seinem Gewissen Folge leisten will, der kann getrost zu den Narren gezählt werden. Das kannst du mir glauben. In diesem Sinne hatten meine Henker ja recht, mich zur Beobachtung meines Geisteszustandes ins Irrenhaus nach Graz zu bringen. Aber ebenso wenig, wie ich ihnen den Gefallen tat, im Gefängnis zu sterben, ebenso wenig tat ich ihnen den Gefallen, geisteskrank zu sein. Ist doch schade? Es wäre ihnen jedenfalls aufs Angenehmste geholfen gewesen, wenn sich dieser große Justizskandal auf „natürlichem“, einfachem Wege bereinigt hätte, indem sie mich hinter den Mauern der Irrenanstalt hätten verschwinden lassen können. Von dort wäre kein einziger Laut meiner Verzweiflungsschreie in die Welt hinausgedrungen. Nur, so einfach habe ich es dem hohen Gericht in Leoben nicht gemacht! Jedenfalls brach die ganze Tragödie über sie herein und zuletzt musste das hohe Gericht zur Besinnung kommen. Die Situation war ein einziges, schlechtes Rollenspiel um Verwirrungen und ich mittendrin die Leidtragende. Das Schlimme daran war, dass dieses Theater viel zu lange hinausgezögert wurde, sodass sich nicht nur alle Beteiligten, sondern auch die Presse und der Pöbel in Mürzzuschlag schamlos auf mich stürzen und ihre Sensationsgier befriedigen konnten.

      Ich will dir eine kleine Geschichte aus früher Kindheit erzählen. Leider sind viele meiner Erinnerungen traurig, wie auch diese Geschichte. Sie passt jedoch sehr gut auf mein Leben. Willst du sie hören? Also, ich war noch ein sehr junges Mädchen und zu Besuch bei meiner Pflegemutter in Finnland. Ich sollte dem Herrn Pfarrer „Guten Tag“ sagen und fand ihn in seinem Garten, wie er seine Rosen pflegte. Ich sah, wie er die schönsten und frischesten Triebe mit erbarmungsloser Hand von den jungen Stämmchen schnitt und gleich dem Herzblut quoll der Saft aus den Wunden und mir war, als ob die Rosen wie in herbem Schmerz erzitterten. „Warum quälen Sie Ihre Lieblinge so sehr?“, fragte ich den alten Herrn und er antwortete: „Rosen und Menschenherzen sind sich wunderbar gleich; je tiefer das Schicksal ihnen ins Mark schneidet und je mehr der grünenden Hoffnung es ihnen nimmt, desto schöner und herrlicher entwickeln sie sich. Was zu schnell und üppig in die Höhe wächst, treibt wohl Laub, aber längst keine Blüten!“ Viele Jahre später begriff ich diese Aussage des alten, weisen Pfarrers, die mir damals unverständlich war, und verband sie mit meinem Schicksal. Ich muss ständig für meine Individualität kämpfen und leiden. Das ganze Leben ist mir ein Kampf und gesiegt habe ich immer nur über mich selbst. Wenigstens etwas, nicht wahr? Lache ruhig!

      Die Menschen erlauben es nicht, dass man seine eigenen Wege beschreitet. Wehe denen, die den Mut dazu besitzen! Und wachsen gar ein paar grüne Halme auf diesem Pfad, so kommen genau diese Menschen mit ihren großen Füßen und zerstampfen alles. Ich gebe es ja zu, dass ich im Leben viel geliebt wurde. Bin ich dafür verantwortlich? Nein! Wer will mich dafür verantwortlich machen? Ich weiß ja selbst nicht, warum mich die Männer so anziehend finden. Was an mir schön ist, sieht doch keiner, und in meiner Kleidung bin ich einfach und schlicht. Ich trage fast immer schwarze, maßgeschneiderte Mode. Meine Leidenschaft sind schwere Stoffe, die sehr weich und ruhig die Figur umspielen. Meine Haare trage ich nie offen. Die Dessous liebe ich in Weiß, elegant und edel. Sie waren das ganze Entzücken meines stürmischen Franz. Und was ich zu meiner Toilette brauche, was mich umgibt, muss schön sein. So eine durstige Sehnsucht nach Schönheit beherrscht mich eben.

      Warst du schon einmal in Italien? Nein? Dort solltest du unbedingt hin! Ich denke sehr gerne zurück