Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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Reisen mitgebracht. Sie hat mir seinerzeit sehr leidgetan. Ihr vorheriger Dienstherr hatte sie sehr schlecht behandelt, sogar geschlagen, und da habe ich mich aus Mitleid ihrer angenommen. Sie war sehr verängstigt und ihre Stellung hat sich durch mich schnell geändert. In Mürzzuschlag war sie für mich mehr eine Freundin als eine Dienerin. Außerdem war ich sehr sparsam, erledigte das Meiste im Haushalt selbst und so konnte Anuschka sich im Hotel „Post“ ein kleines Zubrot verdienen und sich ein eigenes Zimmer neben unserer Wohnung leisten. 50 Kronen zahlte ich ihr dafür, dass sie mir zur Hand ging. Du siehst, wir lebten bescheiden. Mein Mann hatte außer seiner Dienstwohnung nur 400 Kronen monatlich Gehalt, davon musste er mindestens ein Drittel wieder ins Amt stecken, da das Pauschale viel zu gering war. Für meine gesamte Wirtschaft brauchte ich pro Monat gerade einmal 200 Kronen, trotz der teuren Verhältnisse im Semmeringgebiet. Ich musste ja in Mürzzuschlag auch alles teurer bezahlen. Später dann ließ ich mir, zum Verdruss der Mürzzuschlager Geschäftsleute, das, was ich brauchte, aus Wien schicken. In den zehn Monaten meiner Ehe habe ich mir nicht einen Heller vom Geld meines Mannes genommen. Auch besitze ich kein einziges Geschenk meines Mannes! Stell dir vor, mein Mann hatte Schulden, von denen ich erst viel später erfuhr. Sogar die Quartiersfrau seiner letzten Wohnung in Wien hier, Fräulein Gusti, schrieb diesbezüglich an mich, da sie auf mehrere Briefe an meinen Mann keine Antwort erhalten hatte. Ich bezahlte stillschweigend. Von nun an liefen täglich Mahnbriefe ein. Mein Schatz hatte an unserem Hochzeitstag gerade noch den Rest seines Gehaltes, nämlich 300 Kronen. Kannst du dir so etwas vorstellen? Ich bezahlte das Hochzeitsdiner, die Hochzeitsreise und gab einen Großteil meines Vermögens hin, um seine Schulden zu decken. Damit es nicht auffiel, brach ich einzelne Steine aus meinem wertvollen Schmuck und verkaufte sie. Dass ich anstelle der echten Steine falsche setzen ließ, geschah nur, um meinem Mann keine Demütigung zu bereiten. So sehr habe ich ihn geliebt. Hätte er mein Herzblut tropfenweise verlangt, ich hätte es ihm freudig gegeben. Verstehst du jetzt meine Worte vorhin, dass meine Liebe größer war als die seine? In Mürzzuschlag glaubten alle, dass mein Mann nur den schönen Körper liebte und meine Seele, meine Charaktereigenschaften ihm gleichgültig waren. Ich müsste lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass sich die ganzen Männer in Mürzzuschlag nach mir umdrehten. Wahrscheinlich konnten ihnen ihre eigenen Frauen, die mir sehr prüde schienen, nicht solche Reize bieten, wie ich sie hatte. Jedoch gehörten meine Reize lediglich meinem Franz und er liebte meine Seele, wenn auch nicht ganz bewusst. Er war eben auch nur ein Mann, der aber meinen Charakter achtete und bewunderte. Mit nicht wiederzugebendem Entzücken genoss er alles, was ich ihm zeigte und bot. So erfüllte ich ihm mit Verständnis all seine unausgesprochenen Wünsche, die ich ihm von den Augen ablas. Er hielt es kaum wenige Stunden ohne mich aus. Gewiss war seine Liebe auch eine sinnliche, nur war ihm die Sinnlichkeit nicht Hauptsache und ich versuchte Maß zu halten. Auch im intimsten ehelichen Verkehr, wenn ich dir das so sagen darf, ließen wir uns niemals gehen, alles hatte eine gewisse Weise und stets genossen wir unsere heiße, stürmische Liebe als etwas Neues, sogar Heiliges!

      Ich will dir seine eigenen Worte wiederholen: „Schatz, wie ist bei uns doch alles so heilig, was gibt mir dein tiefes Gemüt für ein grenzenloses Glück! Aber sag, wirst du mich auch lieben, so wie jetzt, wenn ich, was vielleicht bald sein wird, dich nur noch küssen kann?“ Ich habe ihm sehr ernst geantwortet, dass das, was er meint, doch nicht die „Hauptsache“, dass die wahrhaftige Liebe davon doch ganz unbeeinflusst sei. Eine Ehe wie die unsere basiere doch auch auf gegenseitiger Hochachtung. Die Gewohnheit, die Intimität des Ehelebens muss ja den Liebesrausch mit der Zeit dämpfen, dies sei ein Naturgesetz. Wenn jedoch dann die Freundschaft und die Hochachtung bleiben, so sei das ein herrlicher Ersatz für den Sinnesgenuss. Dieser Mann soll mich „Luder“ genannt haben? Nein, ich kann es nicht glauben, ich will mir wenigstens sein Andenken erhalten. Das Leben ist ja jetzt so elend für mich. In meinen Gedanken an ihn, den ich heute noch immer innig liebe, will ich die traurige Gegenwart vergessen. Wir lebten ganz für uns. Die Leute in Mürzzuschlag waren so minderwertig. Spießbürger, deren einzige Beschäftigung Klatsch und Tratsch waren. Eine entsetzliche Sorte von Menschen, engherzig, verdummt, nicht die geringste Gemeinsamkeit verband uns mit ihnen. Ich kam mir zu gut vor, als dass ich ihre neugierigen, albernen Fragen beantworten wollte. Mir war neu, dass Menschen so neugierig und dumm zugleich sein konnten. Warum ich dann in Mürzzuschlag geblieben bin? … Die Liebe zu meinem Mann wird zu meinem Schicksal, dachte ich, und durch seine Anstellung als Bezirkshauptmann waren wir an Mürzzuschlag gebunden. Ich versuchte ruhig und freundlich zu bleiben, hatte keine wirkliche Angst mehr vor dem hetzenden Pöbel in Mürzzuschlag. Ich sagte mir: Das sind alles Gescheiterte – und dieser Gedanke erfüllte mich nicht mit Befriedigung, sondern ich fühlte plötzlich Mitleid. Hast du schon einmal ein tiefes, demütiges Bedauern für jemanden empfunden? Nein? Es ist so, wie wenn man merkt, dass andere etwas Unpassendes tun und man selbst viel zu reif ist, um sie zu tadeln, weil sie auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung stehengeblieben sind. Nur wenn diese Leute mich besuchten, war es eine Qual für mich. Ich bemerkte, wie sie mit Unverstand und Unvermögen jedes Stück, welches in unserer Wohnung stand, prüften. Sie fragten nach den Preisen, wunderten sich über alles, erfassten nichts. Mit dreister Neugier wurde alles aufgenommen; mir bereitete dieses Zerstückeln unseres Heiligtums fast körperliche Schmerzen. Öffentliches Ärgernis erregte es in Mürzzuschlag, dass ich lieber auf eine „gute Stube“ verzichtete und mir stattdessen ein Badezimmer einrichten ließ. Wenn die Besucher unser Schlafzimmer sehen wollten, wurde ich grob und so schuf ich mir Feinde. Ich gab auch keine Kaffeegesellschaften, fragte die Leute nie etwas, was mir allerdings nicht als Zartgefühl, sondern als Interessenlosigkeit ausgelegt wurde. Wenn ich ehrlich bin, war ich diesen Menschen gegenüber eine sehr schlechte Zuhörerin. Ob ich keine Freunde hatte in Mürzzuschlag? … Natürlich hatte ich auch Freunde, aber es waren sehr wenige und sie gehörten eher zu den armen Leuten, die von der Welt noch nicht viel gesehen hatten und zu meinem einfachen Mann passten. Um ehrlich zu sein, muss ich dir sagen, dass mein Mann geistig nicht sehr begabt war. Gelernt hatte er nichts, als ein liebenswürdiger Mensch zu sein und seine Amtsgeschäfte nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen. Lebenserfahrungen konnte er sich bei seiner Erziehung kaum bis gar nicht aneignen, ebensowenig Weltkenntnis. Bei unseren herrlichen Wanderungen über Berg und Tal weckte ich andere Interessen in ihm. Dieses große Brachfeld zu bearbeiten, dünkte mich eine himmlisch schöne Aufgabe. Abends las ich ihm die Klassiker und Nietzsche vor, plauderte von meinen Reiseerlebnissen, erschloss ihm eine neue Welt!

      Nie ist zwischen uns ein heftiges oder gar böses Wort gefallen, nie gab es Zank zwischen uns. Nur die innigste Liebe, gegenseitiges Verständnis herrschten in unserem Eheglück. Er konnte einfach nicht von mir lassen oder ohne mich sein. Alle Augenblicke kam er während seiner Amtsstunden zu mir, um mich mit seinen Zärtlichkeiten zu überschütten. Ich wartete immer mit Sehnsucht auf ihn. An einen Abend kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich wollte in die Maiandacht gehen. An sich sagte ich meinem Mann, wenn ich ausging. Da ich aber in seinem Büro Stimmen hörte, wollte ich nicht stören und ging fort. Als ich dann um acht Uhr nach Hause kam, stürzte mir Anuschka mit folgenden verzweifelten Worten entgegen: „Ach, gnädige Frau, der Herr Bezirkshauptmann sucht Sie schon seit einer Stunde, er war so furchtbar erregt, als ich nicht wusste, wo Frau Baronin sind!“ Du kannst dir meine Verzweiflung vorstellen? Ich lief hinunter auf die Straße, machte mir bittere Vorwürfe, dem heißgeliebten Mann eine einzige traurige Minute bereitet zu haben. Ich traf ihn bald, der Schweiß lief ihm über sein leichenblasses Gesicht und zitternd schloss er mich in seine Arme und keuchte: „Gott, wie furchtbar erschreckt war ich, als du nicht zu Hause warst, meine Liebste, mein Glück. Bitte schwöre mir, dass du nie wieder fortgehst, ohne es mir vorher zu sagen!“ Und dieser Mann soll sich vor meiner Herrschsucht gefürchtet und mich eine Hexe genannt haben! Ich kann es immer noch nicht glauben, was man mir im Gerichtssaal alles erzählt und vorgeworfen hat! Ich bin mir sicher, dass dies alles ein Produkt der Fantasie des Mürzzuschlager Gesindels ist – und damit meine ich sie alle! Es ist alles so lächerlich für mich, wenn ich im Nachhinein die Zeit in Mürzzuschlag Revue passieren lasse. Wie konnte ich nur so naiv und gutgläubig sein!

      Die Einzigen, die bei uns verkehrten, waren die drei jungen Herren meines Mannes. Welche Herren? … Seine engsten Freunde, für die er seine Hand ins Feuer legte. Und ich? … Ich bemühte mich, ihnen bei uns ein Heim zu geben. Fast täglich waren sie unsere Gäste und fühlten sich wohl bei uns, denn auch sie hatten keinerlei Kontakte im Ort. Zu meinem Leidwesen hatten sie außer für steirische Lieder keinerlei