Wir zogen aufs Land. In einem Anfall geistiger Umnachtung warf mich mein Mann einmal sogar aus dem Fenster! Er kam in eine Anstalt und ich ging wieder hinaus in die weite Welt, machte viele Reisen, wusste nicht, was ich mit meinem Leben noch anfangen sollte, irrte umher. Ich sehnte mich nach Glück und Geborgenheit. Vor allem nach einer Heimat. Die Einsamkeit wurde auch von meinen Studien nicht ausgefüllt, eine so temperamentvolle Frau wie ich sehnt sich nach dem Leben und seinen Freuden! Von einer Reise durch Indien zurückgekommen, machte ich in Mentone Zwischenstation. Es war Januar und der Winter in Deutschland, dem Ziel meiner Reise, zu kalt. In Mentone wurde ich mit Herrn Meurin bekannt. Die Frauen nannten ihn einen „schönen Mann“, ich aber konnte diesem verlebten Gesicht mit der gelben, schlaffen Haut nichts abgewinnen. Der unstete Blick seiner grünlich schillernden Augen war mir oft unsympathisch. Er verstand jedoch klug und anregend zu plaudern, und seine geistsprühenden Briefe nahmen mich ganz gefangen. Ich sagte mir, wenn mich Zweifel peinigten: Ein Mann, der mit so reiner, kindlicher Liebe an seinen Eltern hängt, kann nur gut sein. Ach! Alles Lug und Trug, der ganze Mann war eine einzige große Lüge. Hätte ich auf all die Warnungen gehört, wie viel Unglück wäre mir erspart geblieben! Er sagte mir, er sei Plantagenbesitzer, Afrikaforscher, am auswärtigen Amte angestellt und mehr. Später erfuhr ich, dass er ein stellungsloser Kommis sei, nur Schulden und recht böse Sachen auf dem Gewissen habe. Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, ihm mein Jawort zu geben, es war an einem märchenschönen Abend. Du musst wissen: Die herrliche Natur wirkt sehr auf mein Gemüt! Ich war so grenzenlos allein, er erzählte mir von seinem Elternhause, von seinen Geschwistern. Mir war so weh ums Herz. Heiße Sehnsucht nach dem Frieden dieses weinumrankten Hauses an der grünen Mosel überkam mich! Ach! Endlich einen Platz zum Ausruhen, endlich Liebe, Ruhe und Frieden! Unser Bund sollte etwas Besonderes sein, wir schlossen ihn in London. Wer könnte meine Handlungsweise nicht verstehen?
Und dann dieses grauenvolle Erwachen! Er hatte seinen Gläubigern gesagt: „Wartet, ich heirate eine sehr reiche Russin, dann bekommt ihr euer Geld. Lasst mich nur so lange in Ruhe, bis ich geheiratet habe.“ Er hatte keine Anstellung, war weder im auswärtigen Amte noch Afrikaforscher, sondern lediglich kurze Zeit Kommis einer Handelsgesellschaft in Neuguinea gewesen; dort hatte er sich eine Tropenkrankheit geholt und musste nach Europa zurückgebracht werden. Er war ein kranker, verbrauchter Mann. Auch diesem Manne verschaffte ich durch Beziehungen eine gute Anstellung im gehobenen Dienst, als Inspektor. Entzückend richtete ich unser Haus ein. Ich bin, glaube ich, eine gute Hausfrau und für meine Person sehr bescheiden. Wir wären also vorzüglich zurechtgekommen, wenn mein Mann nicht so verschuldet gewesen wäre. Er besaß keinen Pfennig Vermögen, schon als Braut musste ich ihm Geld geben, um die Hochzeit und alles andere zu bezahlen. Nun fingen die Gläubiger an zu drängen, Klage über Klage kam. Der Gerichtsvollzieher war täglicher Gast bei uns, ich bezahlte, verkaufte, es hieß ja immer: „Dies ist das Letzte.“ Meine Enttäuschung war entsetzlich, der Mann schlug mich erbarmungslos, wenn ich kein Geld geben konnte. Er zerschlug mir das Trommelfell, mein Gesicht war oft entstellt, mein Leiden nicht zu schildern. Er musste die Stellung aufgeben. Ich erfuhr, dass er wieder mit seiner früheren Geliebten zusammen sei. Ihre Briefe gingen an die Adresse des Buchhalters. Kurz, ich wollte von ihm fort. Da sagte er: „Wir wollen nach Afrika gehen, ich habe dort eine ausgezeichnete Stellung.“ Er verkaufte meine Sachen, nahm mein Geld und wir reisten ab. Ich bin so mürbe geworden. Eine derartige Gleichgültigkeit war über mich gekommen, dass ich widerstandslos alles mit mir geschehen ließ.
Herr Meurin hatte in Afrika keine Anstellung, unsere Mittel gingen zu Ende, er wurde todkrank und ich brachte ihn mithilfe eines guten Menschen zu seinen Eltern. Dort versuchte er, mich als geistesgestört hinzustellen. Als ihm dies missglückte, zeigte mich sein Vater wegen Betrugs bei der Staatsanwaltschaft an. Ich hatte ihm ein Fahrrad geschenkt, dieses bis auf 30 Kronen bezahlt und wollte es, als ich nicht weiter zahlen konnte, dem Besitzer zurückgeben. Mein Mann hatte es verpfändet. Der Schwindel kam ja während der Untersuchung schnell heraus und das Verfahren wurde eingestellt. Ich aber reichte die Scheidung ein, seither verfolgt dieser Mann mich mit seinem wütenden Hasse. Wo er mir schaden konnte, tat er es! Aber er wird seinen Lohn finden, dessen bin ich ganz sicher, noch ist nicht aller Tage Abend.
Siehst du, ich habe mir mein ganzes Leben lang ein schweres Los ausgesucht. Es gehört zu den schmerzlichsten Erfahrungen, wenn man für jemanden voll und ganz da ist und von ihm dann zutiefst enttäuscht wird. Ich musste unter schwierigsten Bedingungen lernen loszulassen und es dauerte sehr lange, bis ich das begriff. Es brauchte Zeit und das Leben ging vorbei. Manchmal erstickte ich fast an meiner Einsamkeit. Was meinst du? Warum ich vorhin geweint habe, als ich das Bild von meinem Franz gesehen habe? In solchen Momenten ist mir zum Weinen, denn Gott hat mich mit ihm beschenkt und bestraft zugleich.