Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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Alles war fein, gesittet und geregelt. Ich war erstaunt, wie unbeschwert diese Dame ihr Leben führen durfte. Du musst wissen, mich hat meine Mutter nach dem Grundsatz erzogen, dass das Leben mit einem ständigen Existenzkampf verbunden ist. Dort sah ich zum ersten Mal, dass es auch anders sein konnte, und in diesem Hause lernte ich den Freiherrn von Lützow kennen. Er war ein Offizier und noch dazu adelig und er versprach mir seine Liebe. Im Gegensatz zu meinem ersten Mann war er sehr männlich, zudem äußerst gebildet und konsequent. Mag sein, dass er vom Aussehen her nicht ganz meinem Typ entsprach, aber er konnte mit Worten umgehen – auf eine eigene, beruhigende Art, die mich ­faszinierte. Ich glaubte an seine Liebe, er schilderte mir das Leben an seiner Seite in den prächtigsten Farben. Freiherr von Lützow war zudem ein stattlicher Offizier und sein Auftreten und sein Verhalten mir gegenüber gefielen mir von Tag zu Tag besser. Als er mir dann einen Antrag machte, verdrängte ich die Scheidung von meinem ersten Mann, die mir bis dahin psychisch schwer zu schaffen gemacht hatte, und sagte „Ja“. Es war in Helgoland, er blickte mich so offenherzig an, dass ich nicht anders konnte. Die erste Zeit war voller Leidenschaft, er verehrte mich, als erfülle er eine heilige Pflicht. Jedenfalls lebte ich mit diesem Mann so lange glücklich zusammen, bis er seine Stellung aus Gründen, die er mir partout nicht verraten wollte, verlor. Er bat mich um meine gesamte Mitgift, denn ich hatte in der Zwischenzeit eine ziemlich bedeutende Erbschaft gemacht. Er bemühte sich auch um eine neue Anstellung. Wer die deutschen Verhältnisse kennt, weiß, wie schwer es für einen ehemaligen Offizier ist, Broterwerb zu finden. Bald traten denn auch existenzielle Sorgen an uns heran. Ich nahm meine kunstvollen Handarbeiten wieder auf und ernährte uns beide mehr schlecht als recht, bis ich ihm bei einem mir sehr gut bekannten Russen eine vorzügliche Stellung vermitteln konnte. Wir lebten friedlich zusammen, ich erfüllte meine Pflicht als Hausfrau, studierte auch eifrig und füllte mir mit diesen mannigfachen Studien mein Dasein aus. Als ich später dann wahrhaben musste, dass mein Mann eine gemeine Rolle spielte, seinen Brotgeber bei der politischen Polizei verriet, sich von dieser bezahlen ließ, mich auch noch mit einer Dirne betrog, da ließ ich mich von ihm scheiden. „Du bist total verrückt“, dachte ich. Mir war ganz seltsam zumute, denn ich wurde innerhalb kürzester Zeit ein zweites Mal geschieden. Bist du entsetzt? Meine Geschichte ist nun halt einmal kein schönes Märchen. Glaub mir, ich konnte nicht anders, sonst hätte ich das alles nicht überstanden. Ich war gezwungen, den Mann zu verlassen, dem ich einst vertraut hatte. Um Gutes zu tun, übte ich den Beruf einer Krankenpflegerin aus. Ein Freund meiner Eltern gab mir die Mittel und ich machte eine Reise durch Frankreich, Italien, Sizilien und Nordafrika. In dieser Zeit war ich zum ersten Mal in meinem Leben rundum glücklich. Ich fing an zu sehen, mein Horizont erweiterte sich und ich lernte das Leben und die Menschen kennen. Bei meiner Arbeit als Krankenpflegerin traf ich meinen dritten Ehemann, Herrn von Schewe. Es dünkte mich eine erhabene Aufgabe, den kranken Mann zu pflegen, ihm sein Leben ein wenig leichter zu gestalten, ihm ein Heim geben zu können. Seine schüchterne, tiefe Liebe rührte so gewaltig an mein Herz. Du verstehst mich? Was konnte mir das Leben noch bieten? An Glück glaubte ich nicht mehr recht. Aber als der arme, kranke Mann so eindringlich flehte: „Ach Schwester, ob Sie nun einen pflegen oder viele, ist doch gleich. Ich liebe Sie so grenzenlos, heiraten Sie mich!“, da konnte ich nicht nein sagen. Es war ja eine schier unerschöpfliche Menschenliebe in mir, ich wollte so leidenschaftlich gern einen Lebenszweck haben, ein nützliches Glied in der menschlichen Gesellschaft sein! So gab ich wiede­rum mein Jawort, brachte den Kranken nach Neapel, wo wir in aller Stille getraut wurden. Es war eine schwere Bürde, die ich trug. Mein Mann hatte mir verschwiegen, dass er schon mehrmals in Heilanstalten gewesen war. Zeitweise war er unfähig, sich zu bewegen; er war ein verschlossener, finsterer Charakter und entsetzlich nervös.

      Wir zogen aufs Land. In einem Anfall geistiger Umnachtung warf mich mein Mann einmal sogar aus dem Fenster! Er kam in eine Anstalt und ich ging wieder hinaus in die weite Welt, machte viele Reisen, wusste nicht, was ich mit meinem Leben noch anfangen sollte, irrte umher. Ich sehnte mich nach Glück und Geborgenheit. Vor allem nach einer Heimat. Die Einsamkeit wurde auch von meinen Studien nicht ausgefüllt, eine so temperamentvolle Frau wie ich sehnt sich nach dem Leben und seinen Freuden! Von einer Reise durch Indien zurückgekommen, machte ich in Mentone Zwischenstation. Es war Januar und der Winter in Deutschland, dem Ziel meiner Reise, zu kalt. In Mentone wurde ich mit Herrn Meurin bekannt. Die Frauen nannten ihn einen „schönen Mann“, ich aber konnte diesem verlebten Gesicht mit der gelben, schlaffen Haut nichts abgewinnen. Der unstete Blick seiner grünlich schillernden Augen war mir oft unsympathisch. Er verstand jedoch klug und anregend zu plaudern, und seine geistsprühenden Briefe nahmen mich ganz gefangen. Ich sagte mir, wenn mich Zweifel peinigten: Ein Mann, der mit so reiner, kindlicher Liebe an seinen Eltern hängt, kann nur gut sein. Ach! Alles Lug und Trug, der ganze Mann war eine einzige große Lüge. Hätte ich auf all die Warnungen gehört, wie viel Unglück wäre mir erspart geblieben! Er sagte mir, er sei Plantagenbesitzer, Afrikaforscher, am auswärtigen Amte angestellt und mehr. Später erfuhr ich, dass er ein stellungsloser Kommis sei, nur Schulden und recht böse Sachen auf dem Gewissen habe. Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, ihm mein Jawort zu geben, es war an einem märchenschönen Abend. Du musst wissen: Die herrliche Natur wirkt sehr auf mein Gemüt! Ich war so grenzenlos allein, er erzählte mir von seinem Elternhause, von seinen Geschwistern. Mir war so weh ums Herz. Heiße Sehnsucht nach dem Frieden dieses weinumrankten Hauses an der grünen Mosel überkam mich! Ach! Endlich einen Platz zum Ausruhen, endlich Liebe, Ruhe und Frieden! Unser Bund sollte etwas Besonderes sein, wir schlossen ihn in London. Wer könnte meine Handlungsweise nicht verstehen?

      Und dann dieses grauenvolle Erwachen! Er hatte seinen Gläubigern gesagt: „Wartet, ich heirate eine sehr reiche Russin, dann bekommt ihr euer Geld. Lasst mich nur so lange in Ruhe, bis ich geheiratet habe.“ Er hatte keine Anstellung, war weder im auswärtigen Amte noch Afrikaforscher, sondern lediglich kurze Zeit Kommis einer Handelsgesellschaft in Neuguinea gewesen; dort hatte er sich eine Tropenkrankheit geholt und musste nach Europa zurückgebracht werden. Er war ein kranker, verbrauchter Mann. Auch diesem Manne verschaffte ich durch Beziehungen eine gute Anstellung im gehobenen Dienst, als Inspektor. Entzückend richtete ich unser Haus ein. Ich bin, glaube ich, eine gute Hausfrau und für meine Person sehr bescheiden. Wir wären also vorzüglich zurechtgekommen, wenn mein Mann nicht so verschuldet gewesen wäre. Er besaß keinen Pfennig Vermögen, schon als Braut musste ich ihm Geld geben, um die Hochzeit und alles andere zu bezahlen. Nun fingen die Gläubiger an zu drängen, Klage über Klage kam. Der Gerichtsvollzieher war täglicher Gast bei uns, ich bezahlte, verkaufte, es hieß ja immer: „Dies ist das Letzte.“ Meine Enttäuschung war entsetzlich, der Mann schlug mich erbarmungslos, wenn ich kein Geld geben konnte. Er zerschlug mir das Trommelfell, mein Gesicht war oft entstellt, mein Leiden nicht zu schildern. Er musste die Stellung aufgeben. Ich erfuhr, dass er wieder mit seiner früheren Geliebten zusammen sei. Ihre Briefe gingen an die Adresse des Buchhalters. Kurz, ich wollte von ihm fort. Da sagte er: „Wir wollen nach Afrika gehen, ich habe dort eine ausgezeichnete Stellung.“ Er verkaufte meine Sachen, nahm mein Geld und wir reisten ab. Ich bin so mürbe geworden. Eine derartige Gleichgültigkeit war über mich gekommen, dass ich widerstandslos alles mit mir geschehen ließ.

      Herr Meurin hatte in Afrika keine Anstellung, unsere Mittel gingen zu Ende, er wurde todkrank und ich brachte ihn mithilfe eines guten Menschen zu seinen Eltern. Dort versuchte er, mich als geistesgestört hinzustellen. Als ihm dies missglückte, zeigte mich sein Vater wegen Betrugs bei der Staatsanwaltschaft an. Ich hatte ihm ein Fahrrad geschenkt, dieses bis auf 30 Kronen bezahlt und wollte es, als ich nicht weiter zahlen konnte, dem Besitzer zurückgeben. Mein Mann hatte es verpfändet. Der Schwindel kam ja während der Untersuchung schnell heraus und das Verfahren wurde eingestellt. Ich aber reichte die Scheidung ein, seither verfolgt dieser Mann mich mit seinem wütenden Hasse. Wo er mir schaden konnte, tat er es! Aber er wird seinen Lohn finden, dessen bin ich ganz sicher, noch ist nicht aller Tage Abend.

      Siehst du, ich habe mir mein ganzes Leben lang ein schweres Los ausgesucht. Es gehört zu den schmerzlichsten Erfahrungen, wenn man für jemanden voll und ganz da ist und von ihm dann zutiefst enttäuscht wird. Ich musste unter schwierigsten Bedingungen lernen loszulassen und es dauerte sehr lange, bis ich das begriff. Es brauchte Zeit und das Leben ging vorbei. Manchmal erstickte ich fast an meiner Einsamkeit. Was meinst du? Warum ich vorhin geweint habe, als ich das Bild von meinem Franz gesehen habe? In solchen Momenten ist mir zum Weinen, denn Gott hat mich mit ihm beschenkt und bestraft zugleich.