Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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legte er für den 9. August 1903 fest, es sollte eine Überraschung für mich sein. Erst eine Woche vor dem Hochzeitstermin, als er sein Ziel unmittelbar vor Augen hatte, wurde er ruhiger und erzählte mir alles. Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie verwundert ich war, doch er beruhigte mich: „Die Hochzeit ist ein gutes Zeichen, sagen die Leute, und alle freuen sich für uns!“ Die wenigen Tage vergingen wie ein süßer Rausch, wir zählten die Stunden, machten Pläne, richteten im Geiste die Wohnung ein und lebten in heller Glückseligkeit. Und dann kam der große Tag, der uns die Erfüllung unserer heißesten Wünsche brachte. Ein Sommertag voll Sonnenschein und Blumenduft. Die kirchliche Feier war wundervoll. Wie kann ein Mensch dankbareren Herzens zu seinem Schöpfer gebetet haben als wir vor dem Altar? Nach der Zeremonie hielten wir uns umschlungen, als könnten wir uns nicht mehr aus den Armen lassen. Mein Gesicht war von seinen Freudentränen benetzt, wir fanden nur mit großer Mühe unsere Fassung wieder, um die Glückwünsche der Gäste in Empfang zu nehmen. Das Diner im Hofwartesalon des Bahnhofs war ausgezeichnet und die Stimmung, dank des sehr reichlichen Sektgenusses, eine ungemein fröhliche. Nur die Familie meines Mannes stimmte nicht ein in die allgemeine Fröhlichkeit. Meine Schwägerin war wütend, dass sie neben dem Bürgermeister sitzen musste und „nicht standesgemäß“ platziert war. Der Herr Bürgermeister erzählte so ausgiebig, wie er schwitzte. Am Abend fuhren wir dann nach Wien, ein Teil der Hochzeitsgesellschaft gab uns bis zum Semmering Geleit. Still saßen wir nebeneinander, mein Mann hatte mich fest in seinen Arm genommen. Wir sprachen beide kein Wort. Nach den Kämpfen der letzten Zeit umfing uns jetzt die wohlige Gewissheit: Nun gehörten wir zusammen. Dankerfüllten Herzens genossen wir dieses Glück. Nur ab und zu stammelte mein Franz: „Mein Märchen, du mein süßes Frauerl, jetzt bist du mein!“ Und nun stell dir vor: Unterwegs bemerkte mein Mann, dass er sein gesamtes Gepäck vergessen hatte! So stieg er aus, um zu telegrafieren, und in seiner großen Nervosität vergaß er wohl, zur rechten Zeit wieder in den Zug einzusteigen. Ja, so war er! Der Zug fuhr ohne ihn ab und erst in Wiener Neustadt trafen wir uns nach einigen Stunden wieder. Wir hielten uns etliche Tage hier in Wien auf und fuhren anschließend weiter nach Ungarn zu Verwandten meines Mannes, lieben, prächtigen Menschen, denen ich in meinem Herzen stets ein warmes Andenken bewahren werde. Sie verstanden meine Antipathie gegen meine Schiegermutter und erzählten mir Geschichten aus dem Leben dieser Frau. Ich könnte dir hässliche Sachen erzählen, aber ich mag nicht weiter im Schmutz wühlen. Wie bitte? … Warum ich mich dann mit dieser furchtbaren Frau geeinigt habe? … Oh Gott, das ist eine eigene Geschichte und für diese ist es heute wohl zu spät, meine Liebe, du entschuldigst. Gut, eine Frage noch! … Warum ich diese fünfte Ehe eingegangen bin? In erster Linie aus Liebe, denn die wahre Liebe lernte ich mit meinem Franz kennen und deshalb war diese Liebe, die sich unbewusst in meinem Herzen aufgespeichert hatte, so intensiv, so elementar. Es gibt aber auch, außer der Liebe, einen anderen zwingenden Grund – das heißt, für mich gab es ihn. Nämlich die Hilflosigkeit eines Mannes. In mir ist ein starker Hang zur Opferfreudigkeit. Sie hat mir, bis ich die Liebe kennenlernte, diese ersetzt. Das schöne, starke Gefühl erfüllter Pflicht ist beinahe Glück! Hätte man meinen Mann und mich zusammengelassen, es wäre mit jedem Tage ein vollkommeneres Glück geworden. Ich hätte diesen Mann meiner ersten, herrlichen Liebe hinaufgetragen zum höchsten moralischen Fühlen. Doch leider, diese glühende, verlangende Liebe und das schrankenlose Sich-Hingeben konnten keinen Bestand haben. Frevelnde Hände wühlten in unserem Heiligtum und ich habe nicht im Geringsten daran gedacht, dass ich beneidet werden könnte. Mir ist dieses Gefühl so fremd, ich hatte auch gar keine Zeit, an Böses zu denken in dieser wonnigen Zeit. Oh herrliche, süße Zeit. Worte vermögen unser Glück nicht zu schildern. Die Hochzeitsreise endete in Tatrafüred und die Natur stimmte uns auch so freudig, wir machten ganz allein herrliche Spaziergänge am See. Ich denke an die Abende auf unserem Balkon, dieses ganze wonnige Liebesleben mit seinen tausend so nichtssagenden Geheimnissen, die alle so süß sind. Oh Gott, jetzt, wo ich in Erinnerung an die wundervolle Hochzeit mit meinem Franz schwelge, werde ich ganz sentimental, entschuldige. Ich muss mir die Nase putzen. Siehst du, wie meine Hände zittern? Ob das irgendwann vergehen wird? … Ich denke nicht. Wie du siehst, bin ich eine von ihrem schweren Schicksal gezeichnete Frau.

      Du bist bestimmt neugierig, wie es nach unserer Hochzeitsreise weitergegangen ist. Ich möchte dir diese schreckliche Geschichte nicht vorenthalten, sie war der reinste Horror für mich. Es wundert mich heute noch, wie ich diese furchtbare Zeit in Leoben im Gefängnis überleben konnte. Wie? Du wusstest nicht, dass ich tatsächlich im Kerker war? Ob ich dir davon erzählen möchte? … Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles noch einmal in Erinnerung bringen soll. Das wird schwer und im Moment fehlt mir fast die Kraft dazu, es dir zu erzählen. Außerdem ist es mir heute bereits zu spät geworden. Wann hast du wieder Zeit? Oh, morgen schon? … Wirklich? Also dann bis morgen, meine Liebe. Ich freue mich sehr darauf und werde mich heute ausruhen. Hier, im Hotel Imperial, um 9 Uhr, ja? Also meine liebe Freundin, bis morgen dann!

      ***

      Wartest du schon lange auf mich? Entschuldige, dass ich mich verspätet habe. Nach den vielen Erinnerungen, die sich gestern wie ein grauer Nebelschleier über meine Seele gelegt haben, ist es mir heute früh sehr schlecht gegangen. Es hat mich viel Kraft gekostet, überhaupt aufzustehen. Warum ich trotzdem gekommen bin? … Ich bin eine Kämpfernatur, auch wenn mich das ganze Leben kränkt. Kennst du das? Nein? Dann hast du es besser, ich beneide dich fast. Auf verschiedenste Art und Weise drückt mir die Verzweiflung immer wieder mein Herz zusammen. Wenn ich jedoch denke, wie sehr mich mein Franz geliebt hat, wird es langsam wieder. Und gerade aus diesem Grund bin ich da, wie du siehst. Ich möchte dir unbedingt weiter erzählen, wie stark unsere Liebe war. Obwohl ich denke, nein – heute weiß ich es mit Sicherheit, dass ich ihn mehr geliebt habe als er mich. Anscheinend muss es im Leben so sein, dass es einen gibt, der den anderen mehr liebt. Warum ich denke, dass er mich weniger geliebt hat? … Ach, mein Herzchen, vielleicht verstehst du das noch nicht! Über diese Frage brauche ich nicht lange nachzudenken. Es liegt auf der Hand. Als die ersten wirklich ernsten Probleme aufgetaucht sind, hat er mich einfach zurückgelassen. Er ist gekommen, war für mich da und ist wieder gegangen. Ein seltsamer Zug des Lebens. Denn als er weg war, dachte ich, nicht mehr weiterleben zu können. Doch gleichzeitig wurde mir bewusst, dass er immer noch da war. Meistens ist es so, dass die Zeit alles bereinigt, auf ihre eigene und einzig mögliche Art. Doch diesmal war mir klar, dass nichts mehr in Ordnung kommen würde. Ich wäre gerne gleichgültig gewesen und konnte es nicht. Heute weiß ich, was geschehen ist, und ich weiß auch, warum alles so geschehen ist. Doch davon etwas später.

      Wo war ich gestern mit meinen Erzählungen stehen geblieben? Genau, die Hochzeitsreise! … Es waren wirklich wundervolle Tage in Ungarn und dann kamen die Heimfahrt und bald darauf das böse Erwachen. Kannst du bitte den Ober rufen? Ich möchte mir einen starken Kaffee und ein Glas Wasser bestellen. Danke. Also mein Liebster und ich waren wieder zurück in Mürzzuschlag. Wir wohnten noch die ersten Tage im Hotel, während ich unser Nest einrichtete. Mein Herzensmann durfte nichts sehen, es sollte eine Überraschung sein. Ach, wie ich schaffte, wie ich arbeitete, wie ich immer und immer nachsann, was ihm wohl noch eine Freude bereiten könnte, und endlich kam der große Tag, an dem ich meinen geliebten Franz im Triumph durch unser Heim führte! Wie soll ich dir dieses jauchzende Glück nur schildern – jedes Stück musterte er und bei jedem Einzelnen erinnerte er sich: „Dies haben wir dort gesehen und ich sagte dir, dass es mir gefällt. Jenes habe ich mir damals gewünscht, mein Märchen, hier ist ja alles nur für mich eingerichtet. Bei allem dachtest du nur an mich und an meine Bequemlichkeit, mein Frauerl, mein Märchen.“ So hat er mich am liebsten genannt, mein Märchen. Entschuldige, wenn mir erneut die Tränen kommen. Das geht gleich vorbei. Wir herzten und küssten uns, dann begann die Wanderung aufs Neue und als wir müde wurden und uns zum ersten Mal im eigenen Heim, im gemütlichen Schlafzimmer zu Bett legten, da stieg ein heißes, inbrünstiges … Nein, nein, nicht was du denkst! Es stieg ein inbrünstiges Dankgebet aus meinem Inneren zu Gott empor. In diesem Augenblick vergab ich all den Menschen, die sich uns in den Weg gestellt hatten, um unser Glück zu verhindern. Ernsthaft nahm ich mir vor, meiner Schwiegermutter eine gute Tochter zu sein. Wir arrangierten uns. Du kannst mir glauben, ich habe mein Versprechen gehalten! Mit wahrem Feuereifer begann ich mein Hauswesen. Mein herziger kleiner Haushalt lief bald wie ein Uhrwerk. Lach jetzt nicht, das kann man sich ruhig so vorstellen! Sämtliche Leute, die uns besuchten, waren entzückt über unser Heim, dessen Zauber sich niemand verschließen konnte. Ob ich