Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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ich vom Süden, um mich in der frischen Bergesluft von Österreich zu erholen. Ich wählte bewusst Mürzzuschlag, weil mir gesagt wurde, dort könne ich, fern vom Getriebe der Welt, ruhig leben. Die Natur ist mir ein wichtiger Lebensbestandteil, ich war begeistert von diesem herrlichen Fleck Erde und kann mich keines Platzes erinnern, der mich so entzückt hätte. Du weißt ja, ich habe die halbe Welt bereist. Täglich machte ich weite Spaziergänge, ich kannte keinen Menschen und ich vermisste die Menschen auch nicht. Meine Seele schrie nach Ruhe und Frieden. Ich war vom Schicksal so wundgerieben, hatte ja noch kaum die letzte große Enttäuschung überwunden. Bei einer meiner einsamen Wanderungen begegnete mir eines Tages im Mai im grünen Walde ein Mann in steirischer Tracht. Ruhig schritt er den Waldweg entlang und rauchte mit Behagen seine Zigarre. Wir standen uns gegenüber und sahen uns fragend in die Augen. Der Mann stutzte, auch ich war wie versteinert. ­Zögernd nahm er den mit einem grünen Auerhahnstoß geschmückten Steirerhut vom Kopf. Eine weiche Stimme fragte mich: „Pardon, meine Gnädigste, Sie sind fremd hier?“ „Jawohl, ich bin erst ganz kurz hier“, gab ich zur Antwort. Darauf er: „Fürchten Sie sich nicht so allein im Wald? Darf ich Ihnen meine Gesellschaft anbieten? Ich bin hier der Bezirkshauptmann.“ Ist es Gottes Weg gewesen, war es Zufall, der mich diesen Mann finden ließ? Ich war zum ersten Mal in Österreich und wusste nicht, was ein Bezirkshauptmann ist. Das ganze Wesen des Mannes, von dem ich nicht wusste, was ich von ihm halten sollte, nahm mich gefangen. Seine elegante Erscheinung und seine Art zu sprechen ließen auf einen Mann von Welt schließen, dazu aber passte seine einfache, steirische Trachtenkleidung nicht. Mein Interesse, meine Neugierde waren geweckt. Ein Zauber ging von ihm aus, dem ich sofort erlag. Plaudernd gingen wir ein Stück des Weges gemeinsam, so gar nichts Fremdes war mehr zwischen uns. Es war mir, als ob ich diesen Mann, dessen Namen ich nicht einmal verstanden hatte, bereits jahrzehntelang kennen würde. Plötzlich blieb er stehen und sah mir tief in die Augen, er fasste meine Hand und sagte mit zitternder Stimme: „Ich bin so unglücklich, meine Mutter hat mich da mit einem Mädchen zusammengebracht, weil es reich ist. Ich liebe das Mädchen nicht, ich kann mit so einem Fratz nicht glücklich leben und ihm nicht treu sein. Ich habe mich gebunden und bereue es zutiefst. Ich werde mich lieber erschießen, als sie heiraten.“ Ich sah ihn erschrocken an und konnte nicht begreifen, wie man einer gänzlich fremden Frau solch intime Sachen anvertrauen konnte. Bald aber gewahrte ich eine derart große Angst im Herzen dieses sympathischen Mannes, dass ich ihm Trost spenden musste. Ich sagte ihm, eine Verlobung sei ja längst keine Ehe. Die Zeit der Verlobung sei dazu da, sich gegenseitig zu prüfen, ehe man sich fürs Leben bindet; und dass er ein Unrecht an jener jungen Dame begehe. Eine solche Handlungsweise sei eines Ehrenmannes unwürdig und er sei verpflichtet, den Eltern der Dame seine Gesinnung offen und ehrlich mitzu­teilen. „Aber meine Eltern sind in sehr schlechten Verhältnissen, da hat wohl meine Mutter viel falsch gemacht und dazu beigetragen. Schon seit langer Zeit öffne ich ihre Briefe nicht mehr, weil ich dieses fortwährende Drängen nicht mehr ertragen kann!“

      Er hatte Tränen in den Augen und mir steckten sie im Hals. Stell dir vor, ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen. Wir setzten uns auf eine Bank und plötzlich hielt er mich fest in seinen Armen und flehte: „Hilf mir, hilf mir! Dich hat Gott zu mir geschickt, ich fühle es so deutlich; sage mir bitte, wie darf ich dich nennen?“ „Mara“, stammelte ich. Ein namenlos beseeligendes Gefühl hatte mein ganzes Sein erfasst. Wir waren beide ganz still, dieser einzigartige Friede umgab uns, leise rauschten die grünen Wipfel. Wie eine heilige Andacht umgab uns die grüne Waldeseinsamkeit und nur die lustigen Finken sahen unser zagendes Glück! Am anderen Tage fuhren wir auf den Semmering. In Mürzzuschlag beobachtete man jeden Schritt und wir hatten uns viel zu sagen. Dass der Bezirkshauptmann bei mir seine Karte am Vormittag abgegeben hatte, wusste bereits das ganze Mürztal. Wir gingen in den Wald und dort fing ich an, von meinem Leben zu erzählen. Ich sprach davon, wie mein Mann mich so entsetzlich misshandelte, wie furchtbar ich gelitten hatte, wie sich in mir ein Gefühl aufstaue, welches mich fast zu zersprengen drohe. Er sollte einen vollständigen Einblick in mein Leben bekommen. Er sollte mein ganzes Leben kennen – und dies hat er in Briefen an befreundete Personen, die auch bei der Gerichtsverhandlung verlesen wurden, deutlich gesagt. Doch ich will nicht abschweifen. Er verstand mich so gut, war ja auch in ihm diese ungestillte Sehnsucht nach Glück, ein Unbefriedigtsein, eine Empfindung, wie herrlich es sein könnte, wenn zwei Menschen Hand in Hand in tiefer Liebe vereinigt ihr Leben gemeinsam lebten, ineinander und miteinander. Und er schloss mich so fest in seine Arme, als ob er mich nie wieder lassen wollte. Er flehte, er bat: „Sei meine Frau. Auf meinen Händen will ich dich tragen, alles Schwere, was du erlebt und erlitten hast, wird meine Liebe dich vergessen machen. Mir liegt nichts am Geld, darüber mache dir keine Sorge. Tausende leben von Einkünften gleich den meinigen, ich will nur glücklich sein.“ Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er nicht frei sei, dass er schweigen müsse. Und dass ich, obwohl ich ihn unsagbar lieb habe, nicht seine Frau werden könne. Aber er wollte von alledem nichts hören, seine süßen Zärtlichkeiten erstickten mich fast. Ich schloss die Augen und ich konnte kaum fassen, was ich hörte. Mir schwindelte vor diesem Glück, ich liebte diesen Mann mit dem goldenen Herzen, mit dem lauteren Charakter. Und doch konnte ich nicht seine Frau sein, eben weil ich ihn so innig liebte. Mein Franz wollte nicht von mir lassen, ich hatte ihn auf Stürme vorbereitet, habe ihm alles gesagt, ihn gewarnt – aber er sagte nur immer wieder: „Ich lasse dich nicht, ich liebe dich zu sehr, ich kann ohne dich nicht leben.“ Auch ich war noch nicht frei, noch nicht geschieden, mein Mann verfolgte und quälte mich. Wenn er erfuhr, dass mir ein Glück blühte, so zerstampfte er es aus niedriger Rachsucht. Meinen Hinweis, dass es für ihn als Bezirkshauptmann unbedingt notwendig sei, eine reiche Frau zu heiraten, tat er ab mit den Worten: „Und wenn du mit nur einem Hemd zu mir kommst, ich heirate dich und bin glücklich!“ So schrieb er schließlich mit meiner Hilfe an die Mutter der jungen Dame, ihr auseinandersetzend, dass er ihre Tochter nicht liebe und diese Verbindung bei der Verschiedenartigkeit der Charaktere keine glückliche sein könne. Im selben Atemzuge bat er mich erneut, seine Frau zu werden, sprach von seiner Liebe zu mir, erzählte mir, wie er sonst immer so schwer einen Entschluss fassen könne und diesmal so schnell mit sich einig sei.

      An diesem Tag war ich auch zum ersten Mal in seinem Büro. Die musterhafte Ordnung auf seinem Schreibtisch, die Wärme, mit der er von seinem Beruf sprach, alles entzückte mich. Am anderen Morgen bekam ich von ihm einen Rosenstrauß mit einem Brief, worin er mir mitteilte, dass er von der Mutter der jungen Dame seine Briefe zurückerhalten habe, ohne Begleitschreiben. Er sei nun frei und komme gegen zwölf Uhr zu mir. Er wolle ganz feierlich um meine Hand bitten. Er sei glücklich und zähle die Stunden, bis er mich als seine Braut in den Armen halten könne. Was meinst du wegen meines Vorlebens? … Denkst du, er hatte ein Problem damit? „Sprich nicht von deiner Vergangenheit, mein süßes Engelsmärchen, sie geht mich überhaupt nichts an. Du regst dich nur auf. Ich will gar nichts wissen. Was geht es mich an, was hinter dir liegt, die Zukunft gehört uns und ich liebe dich so heiß, so grenzenlos“, waren seine Worte und ich konnte nicht anders, als ihm mein Jawort zu geben. Hier kam endlich mein Glück, ich war ihm zum Leben notwendig. An seine äußere Position dachte ich dabei nicht, denn ich wusste, dass wir beide arm waren. Mit ihm an meiner Seite fürchtete ich mich vor keinem Kampf, er wollte mich schützen, er liebte mich, nur mich, meine Seele! Auf einmal war die Welt schön, auf einmal schien die Sonne in mein freudloses Dasein. Es waren die enormen Gegensätze unserer Charaktere, die uns so mächtig anzogen. Das Märchen von zwei Sternen, die sich im weiten Weltall suchten, wurde zur Wahrheit für uns. Weißt du, er war eine schwache Natur, die sich anlehnen musste; ein ewiges Hin- und Herschwanken, ein unfertiger Charakter, dem die „Freistelle“ auf der Theresianischen Akademie den Stempel aufgedrückt hatte. Der von dem Augenblick an, in dem er selbstständig denken konnte, von seinen Eltern nur mit dem Ausblick auf eine steile Karriere gefüttert worden war. Er lernte nie die Stürme des Lebens kennen, andere ebneten ihm die Wege, kampflos fiel ihm alles in den Schoß, ein Kindergemüt steckte in der entzückenden Hülle! Die Jagd nach der reichen Frau hatte ihn müde gemacht. Wo er Geld gefunden hatte, fehlte die Zuneigung, und die Mama erlaubte doch nur eine sehr reiche Heirat. Denn Geld brauchte man: Erstens, um Karriere zu machen, in Österreich noch viel mehr als anderswo, aber auch die Familie brauchte Geld, die Schulden lasteten auf all ihren Mitgliedern.

      Nun aber fand mein Franz in mir den starken Charakter, an den er sich anlehnen konnte, er fand eine Frau, die nicht nur die Geliebte des Mannes sein wollte, sondern auch sein bester und treuester