Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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Schritte bereuen und alles sich zum Guten wenden möge. Dass der Statthalter die unüberlegt ausgesprochene Suspendierung aufheben und sich öffentlich entschuldigen und den guten, ehrlichen Ruf meines Mannes wiederherstellen möge. Es war für diese grauen Amtsschimmel längst an der Zeit, die Grenzen zu erkennen! Was für Grenzen? … Die Grenzen ihrer Verlogenheit, ihres Neides und Hasses. Ich denke, jeder Mensch hat seine inneren Grenzen, die dem Guten und dem Bösen ihr Maß geben. Nur diese Menschen hatten keine Grenzen und ich konnte keine Erklärung für ihr böswilliges Tun finden.

      Wie du sicher schon erfahren musstest, kommt ein Unglück selten allein. Der Vater von Franz kam dann natürlich auch noch nach Mürzzuschlag, nachdem er von irgendjemand „Unbekanntem“ über die Schande in seiner Familie informiert worden war. „Eine hohe Person“, meinte er auf meine Aufforderung hin, einen Namen zu nennen, habe ihm sofort geschrieben, sich dazu verpflichtet gefühlt. Was er ihm geschrieben hatte? … Er solle doch mit seinem Sohn nach Wien auf die Polizeidirektion gehen und sich nach mir erkundigen, alle einleitenden Schritte seien bereits getan. Mir war sofort klar, dass dieser Brief einer „hohen Person“ von einem der verlogenen drei Herren stammte. Ich ahnte auch, welcher es sein könnte, natürlich der, der mir am meisten gestunken hatte! Ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen, ging also ganz ruhig mit meinem Mann und dessen Vater nach Wien. Wir suchten den Polizeipräsidenten auf und dort sagte man meinem Mann unter vier Augen, wie ich erst während der Verhandlung erfahren habe, dass ich eine Betrügerin sei, eine Hochstaplerin, die 24 Jahre im Zuchthaus gesessen habe. Man verwechselte mich, ich glaube nicht ohne Absicht, mit einer gewissen anderen „Frau Lützow“, auf welche diese Aussagen passten. Mein Mann wurde von seinem Vater und seinem Bruder aus der Polizeidirektion hinausgeführt und ich stand auf der Straße, ohne etwas denken oder fühlen zu können, und wartete auf die Herren. Eine Weile standen sie mir gegenüber, wie die Darsteller in einem schrecklichen Stück ohne Worte. Ich atmete tief ein und blickte sie an. Ich war bereit, ihnen Rede und Antwort zu stehen, und machte kurz die Augen zu. Mir war heiß und schwindelig. Als ich meine Fassung zurückgewonnen hatte und meine Augen öffnete, waren sie weg. Wie vom Erdboden verschluckt, einfach fort. Sie haben mich in meinem Elend alleine auf der Straße stehen gelassen! Das muss sich einer vorstellen! Sogar mein geliebter Ehemann war in Anwesenheit seines Vaters und seines Bruders zu feige, um mich zu fragen, was ich zu diesen verlogenen Geschichten zu sagen habe.

      Später habe ich mich gefragt, ob in dem Ganzen nicht etwas von seinem Vater Inszeniertes war. Ich glaube ja! Er arbeitete doch fieberhaft an meinem Ruin, nur zu dieser Zeit dachte ich nicht daran. Er hat mir letztendlich alles weggenommen und kaputt gemacht. Gott sei Dank kann ein Mensch nur ein gewisses Quantum Schmerz ertragen, was darüber hinausgeht, vernichtet ihn entweder oder es macht ihn gefühllos. Verstehe mich! Es ist sehr schwer für mich, das alles zu erklären. Den ganzen Tag irrte ich in dumpfem Schmerze in Wien umher. Ich konnte das Ungeheuerliche nicht fassen. Was hatte ich verbrochen, um so furchtbar bestraft zu werden? Am Abend ging ich zu Familie R., sie hatten mich sonst immer mit Jubel empfangen. Als ich ihnen kurz mitteilte, was sich ereignet hatte, merkte ich, wie sie kälter wurden und sich bemühten, mich auf irgendeine, nicht zu unanständige Weise loszuwerden. Frau R. sagte, vor wenigen Tagen habe sie nach dem Preisreiten mit der Familie meines Mannes in einer Gesellschaft beisammen sein sollen, sie habe es abgelehnt, denn mit diesen Leuten wolle sie nichts mehr zu tun haben. In der Kärntnerstraße brach ich ohnmächtig zusammen. Den ganzen Tag hatte ich keinen Bissen zu mir genommen, dazu kam die furchtbare Aufregung, was war natürlicher! Hilfsbereite Leute vom Roten Kreuz brachten mich dann in unser Hotel. In der Nacht wurde mein Mann an mein Krankenbett geholt, er wurde von Vater und Bruder keine Sekunde mehr allein gelassen. Mein geliebter Franz flüsterte mir zu: „Sei unbesorgt, ich lasse niemals von dir, jetzt halten sie mich fest. Sie wissen jetzt, dass du kein Geld hast.“ Aufgrund meines immer schlechter werdenden Zustandes brachte man mich ins Krankenhaus. Auch dort besuchte mich mein Mann mit seinem Bruder, der ihn nach wenigen Minuten schon fortzerrte. Als ich meinen Mann wegen meiner Habseligkeiten fragte, sagte er: „Aber du bekommst doch alles.“ Sein Bruder gab mir sogar sein Ehrenwort, dass ich all meine Ausstattung und das Silber zurückbekäme, auch die Summe, die ich für die Tilgung der Schulden meines Mannes gegeben hatte. „Du bist ja ein edles, gutes Wesen!“, sagte sein Bruder. Er wusste, dass ich meinem Mann nie schaden wollte. Nein, Gott ist mein Zeuge, ich wollte ihm gewiss nicht schaden. Dann kam Franz noch einmal mit dem Anwalt seiner Familie und gab mir hundert Kronen mit der Bemerkung, er müsse erst „Geld“ beschaffen – und hatte dabei Tränen in den Augen, ich würde ja die Verhältnisse kennen. Seine Tränen schienen mir auch echt, doch sie lösten in ihm nichts auf. Er war nicht mehr er selbst, zu sehr stand er unter dem Einfluss seiner Familie. Ich sah ihn an und mir wurde klar, dass er im Grunde nichts mehr fühlte. Das hatte etwas Unmenschliches. Er rannte aus dem Zimmer, als einer, der den Schmerz nicht aushält und der vor den Erinnerungen flieht. Den Erinnerungen an meine aufopfernde Liebe! Die Schwester, die mich pflegte, fragte mich, ob ich in meinem Hause noch wichtige Papiere oder dergleichen habe. Ich verstand die Frage nicht. Erst als sie meinte, die Familie meines Mannes scheine zu allem fähig zu sein, wurde mir klar, in welch grauenvoller Lage ich mich befand. Trotzdem, dass alles anklagend und aufgebracht gegen mich stand, raffte ich mich auf, schlich mich aus dem Krankenhaus und fuhr in derselben Nacht nach Mürzzuschlag. Ich fühlte mich von einem unwiderstehlichen Zwang getrieben! Wie in einem Kriminalroman, wo der Täter sich voll Angst und Bange zum Tatort zurückzuschleichen versucht. Nur war ich das Opfer, nicht der Täter. Man wollte mir den Eingang in unsere Wohnung verwehren. Sein Vater lag in meinem Bett, meinen Mann sah ich nicht. Mein Schreibtisch war aufgebrochen und alle Briefe meines Mannes, meiner verstorbenen Mutter und sämtliche Dokumente waren weg. Alles war gestohlen! Als ich seinen Vater zur Rede stellte, meinte dieser verlogen: „Du bekommst alle deine Unterlagen, wir sind keine gemeinen Menschen!“ In diesem Moment wurde mir klar, dass man mit solchen Leuten nicht leben konnte. Ich spürte, wie ich rot wurde: Der Zorn brach aus solcher Tiefe und mit solcher Wucht hervor, dass es mich selbst erschreckte; eine panische Stimme begann in mir zu schreien. Ich konnte und wollte sie nicht zum Schweigen bringen. „Ihr habt mich alle betrogen und belogen, so sieht die Wirklichkeit aus. Meinen Mann habt ihr mir genommen und mich werft ihr einfach weg, wie eine Streichholzschachtel. Eine arme, unschuldige Frau mag man leicht wegwerfen. Wenn ich Sie ansehe, wird mir schlecht vor Zorn. Ihr aufgedunsenes Gesicht gleicht dem eines Kartenspielers, der im Verlieren ist und versucht, alle Mittel und Wege zu finden, um sich zu retten. Nur spielen Sie nicht mit Karten, sondern mit Gefühlen und Menschen. Das Tragische ist, dass ich die Dame im Spiel bin, die es zu vernichten gilt! Das ist die Wahrheit, furchtbare, unmoralische Wahrheit! Alles Lügen, Sie treiben ein abgekartetes Spiel mit mir!“

      Was dann geschah, kannst du dir bestimmt vorstellen. Sein Vater packte mich und schrie meine Zofe Anuschka, die viele Jahre treu in meinen Diensten war, die nur Wohltaten von mir erhalten hatte, an: „Sie sind dafür verantwortlich, dass ‚diese Frau‘ sofort das Haus verlässt!“ Ich verstummte und packte meine wenigen, mir noch verbliebenen Habseligkeiten, bevor ich das Haus verließ. Da hatte ich mich aus dem Krankenhaus geschlichen, war in der Nacht noch in meine Wohnung gefahren und dann diese Gemeinheit!

      Über die „gemeinen Menschen“ bilde ich mir heute so meine eigene Meinung, die wohl die halbe Welt mit mir teilt, zumindest die anständigen Menschen. Was die Liebe betrifft, habe ich nur meinen Franz geliebt im Leben – und das ohne sehr ernste Ansprüche. Was ihn jedoch anbelangt, weiß ich, dass er mich zu wenig liebte. Es genügt nicht, jemanden einfach nur zu lieben, weil man ihn braucht oder um sich beschützt zu wissen. Man muss den anderen Menschen mutig lieben, sodass weder Lügen noch unmoralische Gesetze etwas gegen diese Liebe ausrichten können. Mein Franz hat mich nicht mutig geliebt! Das war im Grunde genommen mein wirkliches Problem. Daran ist mein armer Herzensschatz gescheitert und mit ihm alles andere auch, was unser endloses Glück hätte ausmachen können. Er hat das Schlimmste gemacht, was ein Mann machen kann. Was das ist? Er ist einfach, ohne seine Frau zu retten, davongelaufen. Wovor er mich hätte retten müssen? … Dann warte, was ich dir noch zu erzählen habe, meine Gute! Wenn er wenigstens Rücksicht auf meine Zukunft genommen hätte, aber auch das hat er in seinem grenzenlosen Selbstmitleid vergessen. Heute habe ich ihm verziehen, er war eben nicht zum Helden geboren. Und trüge er auch alle Schuld: Er war so ein schwacher Charakter – wie sollte man ihm Vorwürfe machen können, dass er nicht die Kraft besessen hatte, ihn zu festigen. Er hatte nicht die Kraft, sich an meine Seite