Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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eine verzehrende Sehnsucht nach ihm beherrscht mich! Gerade als wir ein ruhiges Leben in Mürzzuschlag führten, haben es diese Leute gewagt, meinen Mann zu verleugnen und mich dafür verantwortlich zu machen. Seine ach so guten Freunde haben sich erdreistet, mich für seine Verfehlungen abzuurteilen und mir die schönste Zeit meines Lebens zu rauben. Bei meiner Verhaftung fühlte ich gar nichts mehr. Ruhig ließ ich alles mit mir geschehen. Kennst du das Gefühl, wenn man sich mithilfe einer Art Taubheit wehrt? Man will weder etwas hören noch sehen! Ich fühlte mich wie unbeteiligt an dem ganzen Theater und zeigte keine Regung, wollte weder Zuschauer noch Darsteller sein. Auf meine einzige Frage, warum man mich überhaupt verhafte, wurde mir ohne Angabe von Gründen gesagt: „Der Statthalter von Graz hat eine Anzeige wegen Betrugs gegen Sie erstattet!“ Also der Herr Statthalter! Mir wurde übel! So legte er seiner Handlungsweise dieses Mäntelchen um. Ein Schuldiger muss her, meinen Franz zu halten, war man schließlich verpflichtet, und wenn ich eine Betrügerin war, hatte man ein leichtes Spiel. Oh! Pfui über so viel Gemeinheit, über solch ruchlose Niedertracht. Der Transport nach Leoben war das Qualvollste, was ein Mensch nur erdulden kann. Durch Mürzzuschlag – vorbei an dem Haus, wo ich das reinste Glück genossen hatte. Natürlich war das ganze Mürzzuschlager Gesindel auf dem Bahnhof und beschimpfte mich. Mein Gott, man bewarf mich mit Steinen, spuckte mir ins Gesicht und ich musste Spießruten durch den Pöbel laufen. Bei der Erinnerung glüht mir die Schamröte im Gesicht und heiße, wütende Empörung presst mir das Herz zusammen. Dann die Ankunft in Leoben, sofort wurde ich weggesperrt. Ich lernte Menschen kennen, in denen der Atem des Teufels zu lodern schien. Mit Diebinnen und Betrügerinnen saß ich zusammen in einem dumpfen Loch. Ich hatte panische Angst vor den Geschlechtskranken, musste dieselbe Sanitäranlage benutzen. Das Wasser rann an den Wänden hinunter. Eine entsetzliche Luft herrschte in dem Raum. Oben an der Decke war ein winziges Fenster, vergittert und mit einem dichtmaschigen Drahtnetz versehen. Kein Lichtstrahl fiel in die Zelle. Ein schmutziger, übelriechender Strohsack mit einer groben Pferdedecke war mein Lager. Dumpfe Verzweiflung, Scham und Empörung, heiße Sehnsucht nach meinem Mann drohten, mich wahnsinnig zu machen. Du hast keine Ahnung, wie das ist, wenn man sich sehnt, jemanden, den man liebt, wiederzusehen! Entschuldige, natürlich weißt du das. Du bist ja verheiratet, oder? Also horchte ich auf jeden Schritt, mein Franz musste doch kommen, um mich rauszuholen. Er war doch der Bezirkshauptmann von Mürzzuschlag und ich saß im Kerker. Er wusste, dass ich nichts begangen und niemanden betrogen hatte. Ach, dass Gott diese Gebete aus einer todeswunden Seele nicht erhört hat! Es ist mir heute noch schleierhaft, wie es zu alledem kommen konnte!

      Der Untersuchungsrichter fragte mich, ob ich schuldig sei. Natürlich sei ich schuldig, sagte ich. Was nützte es, wenn ich nicht tat, was sie von mir verlangten? Sie wollten einen Schuldigen und ich erkannte, dass es nur ein Ende geben konnte, wenn sie diesen Schuldigen gefunden hatten. Ich war allein von dem Drang beseelt, alles auf mich zu nehmen, um meinem Franz keine Schwierigkeiten zu machen. Es war genug an meinem zertretenen Dasein, ich hatte nichts mehr zu verlieren, ich durchschaute ahnend den ganzen politischen Betrug um die Stelle in Mürzzuschlag. Ich hatte nur einen Gedanken: Mein Mann musste gerettet werden! Mein Verteidiger sagte jedoch zu mir: „Ich weiß, dass Sie keine Verbrecherin sind, nur eine arme, vom Unglück verfolgte, bedauernswerte Frau!“ Das half mir jedoch auch nicht weiter, das waren leere Worte. Wer vom Schicksal mit leeren Worten erschlagen wird, hat das schlechteste Los erwischt, glaub mir!

      Nach wenigen Tagen stellte sich heftiges Fieber bei mir ein, ich konnte von der ekeligen Nahrung nichts mehr zu mir nehmen, so brachte man mich ins Krankenhaus. Niemand sprach mit mir und darüber konnte ich nur froh sein. Ich ließ das Zimmer verdunkeln, um in der Dämmerung alles verdrängen zu können. Nein, nicht alles! Die Verbundenheit zu meinem Mann konnte ich nicht vergessen. All meine traurigen Gedanken drehten sich um ihn: Wie es ihm ohne mich in Mürzzuschlag wohl ergehen würde? Ich fühlte mich für das, was mit ihm geschehen war, verantwortlich. Und genauso nahm ich ihn in die Verantwortung, was mit mir Schreckliches passierte. Hatten wir uns doch in Mürzzuschlag gemeinsam unsere Zukunft aufgebaut – und diese hing nun an einem seidenen Faden, der zu reißen drohte. Das durfte nicht passieren! Was könnte diesen Mann, der mir seine ewige Liebe geschworen hatte, dazu bewegen, mir nicht zu helfen? Was könnte er für ein Interesse haben, nicht zu mir zu stehen? Diese Fragen quälten mich Stunde um Stunde, jeden Tag wartete ich auf den Besuch meines armen Mannes. Erst nach drei Wochen sagte mir der Primarius des Stephaniehospitals ohne jegliche Vorwarnung, ohne nur mit der Wimper zu zucken oder auf meine labile Verfassung Rücksicht zu nehmen, dass sich mein Mann in Mürzzuschlag erschossen habe! Wie es mir dabei ergangen ist? … In diesem Augenblick fühlte ich eine schwere Benommenheit, wie sie wohl nur ein Scheintoter verspüren mag. Ich war so entsetzt, dass ich diesen rohen, gefühllosen Mann wie versteinert anstarrte. Kennst du das, wenn man alles um sich herum versteht und gleichzeitig erkennt, dass man nicht bei Sinnen ist? Wie gelähmt lag ich in meinem Bett, nicht wach, nicht schlafend und trotzdem nicht ansprechbar. Sehr wohl verstand ich die Bedeutung seiner Worte. Beim Hi­nausgehen sagte er zur Krankenschwester, die mir die heiße Stirn mit nassen Tüchern zu kühlen versuchte: „Sie macht sich gar nichts daraus!“

      Du wirst mich verstehen, wenn ich dir sage, dass diesen Schmerz keine Worte schildern können! Mein Franz, mein Herzblatt, lag seit Wochen unter der Erde und ich wartete geduldig auf ihn. Ich konnte nicht fassen, was man mir angetan hatte! Die Schwester stand still neben mir, sie hatte meine Hand fest in der ihren, sie sah meinen stummen Schmerz und wusste, dass es dafür keinen Trost gab. Stell dir vor, am selben Tag brachte man mich wieder zurück ins Gefängnis! Mehr brauche ich dir dazu wohl nicht zu sagen, meine liebe Freundin. Es erklärte alles, auch meine angeschlagene psychische Gesundheit. Von Tag zu Tag verschlimmerte sich mein Zustand, ich wurde bewusstlos. Von hier an kann ich dir nur erzählen, was mir später die Frau Oberin, meine Zellengenossinnen sowie verschiedene Leute, die mich in meiner schweren Krankheit gesehen hatten, sagten oder mir viel später erst schrieben.

      Ohne jede Pflege lag ich auf dem Strohsack. Der Gefängnisarzt behauptete, ich simuliere nur, und ließ mich täglich von zwei Sträflingen auf den mit spitzen Steinen gepflasterten Hof schleppen. Die ekelhafte Nahrung soll mir mit Gewalt in den Mund gesteckt worden sein. Im Hofe wurde ich auf einen Hocker gesetzt, von dem ich ständig hinunterfiel. Dabei schlug ich mir große Wunden. Diese Wunden sind, weil ohne jede Pflege, in Eiterung übergegangen und das Ungeziefer im Gefängnis machte alles noch schlimmer. Niemand kümmerte sich um mich. Wäre nicht einer der Aufseher zum Arrestinspektor gegangen und hätte er diesem nicht gesagt, dass er jegliche weitere Verantwortung in meinem Falle ablehne, läge ich längst unter der Erde bei meinem Schatz. Nun, es hätte mich nicht gewundert, wenn dies im Sinne dieser großen Justizverlegenheit gewesen wäre. So hätte sich der tragische Fall auf natürlichem Wege erledigt. Ich lag auf dem erbärmlichen Lager, nicht imstande, ein Wort zu sprechen oder mich zu bewegen. Entsetzliche Wunden bedeckten meinen Körper, was waren aber diese Schmerzen gegen die der Seele! Und kein Wort des Trostes. Rohe Behandlung vonseiten der Ärzte. So ein junger Affe, ein Assistenzarzt, sagte dem Mädchen, das mich pflegen sollte: „Warum sind Sie denn hier? Lassen Sie das Frauenzimmer doch ruhig liegen, an der verliert die Welt auch nichts!“ So lag ich den ganzen Tag allein, der Durst quälte mich oft bis zum Wahnsinn und das Mädchen tat von nun an alles widerwillig und schikanierte mich, wo es nur konnte.

      So vergingen Wochen, aber das war noch nicht alles! Wie ich in die Irrenanstalt gekommen bin? … Eines Nachts wurde ich aus dem Bett geholt, notdürftig angekleidet und von zwei Justizsoldaten in einen Wagen geschleppt. So ging es in die Nacht hinaus. Auf mein Flehen hin, mir doch zu sagen, was man mit mir vorhabe, erhielt ich keine Antwort, bloß ein zynisches Lächeln. Ich wurde zur „Beobachtung meines Geisteszustandes“ in die Irrenabteilung des Grazer Gefängnisses gebracht. Entschuldige, ich will dich nicht schockieren und werde dir daher nicht weiter davon erzählen. Du kannst dir ja denken, wie meine körperliche und seelische Verfassung zu dieser Zeit war. Übermenschliche Qualen und Leiden musste ich ertragen und stand an der Kippe zum Wahnsinn! Die ersten Tage in Graz waren entsetzlich und ich hatte, verursacht durch meine Krankheit, die schlimmsten Visionen. Andauernd soll ich mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen haben, bis ich bewusstlos wurde, erzählten mir die Zimmergenossinnen. Ich wollte nicht verrückt sein. Die fortwährenden Verhöre durch die Ärzte waren in meinem Zustand eine grenzenlose Quälerei. So biss ich die Zähne zusammen, denn ich wusste, wie schnell man in Österreich eine unbequeme Person im Irrenhaus verschwinden lässt. Woher