sehen, der sich im tiefsten Blau vom Schnee des Ätna abhebt. In Taormina an der Ostküste Siziliens hatte ich eine kleine Villa ganz für mich alleine. Nein, sie war nicht groß! Doch der malerische Ausblick von meiner Dachterrasse über das Meer und den weißen Sandstrand bleibt mir unvergesslich. Wäre ich nur dort geblieben. Aber ich, ich konnte nirgendwo Fuß fassen, war eine Getriebene, denn der Freiheitsdrang war immer groß in mir. Und heute bin ich eine innerlich Gefangene mit unwürdigen Ketten und einer Scheu vor allem Hässlichen und der quälenden Verachtung des Gemeinen, mutterseelenallein in der Welt und tief unglücklich. Zufällig traf ich heute ein buckeliges Mädchen, es bettelte nicht, aber seine Augen sahen mich so bittend an. Ich konnte nicht widerstehen, es war wohl noch ärmer als ich! Ich möchte mich auch an eine Straßenecke stellen und betteln – mit flehenden Augen und erhobenen Händen um eine Gabe von Reinheit und Glück wortlos betteln, wie das verkrüppelte Mädchen. Ich wollte mich verschwenden in Liebe, ohne etwas dafür zu empfangen. Wie die Sonne ohne Wahl Licht und Wärme verstreut in selbstloser Geberseligkeit. Ich wollte geben, ohne zu messen! Was daraus geworden ist? … Du siehst es ja! Mein Geschenk liegt zertrümmert vor meinen Füßen! Entsetzlich ist es, immer neben einem Abgrunde hinzuwandeln, bei jedem Schritt lösen sich kleine Steine und reißen im Hinunterrollen alles mit sich fort und letztlich wird man selbst von der Lawine begraben. Wann die Tragödie in Mürzzuschlag begonnen hat? … Wie so oft hat alles mit einem dummen Gerede seinen Anfang genommen. Wann genau, kann ich dir jetzt nicht sagen. Ich erinnere mich nur noch, dass der Statthalter meinen Mann als Bezirkshauptmann gerne wieder los sein wollte und ihn in jeder nur denkbaren Weise schikanierte. Es kam so weit, dass mein Schatz mich bat, frühmorgens die Statthalterpost für ihn zu öffnen und ihm dann die Nachrichten schonend beizubringen. Du musst wissen, mein Liebster war sehr nervös, er nahm sich alles sehr zu Herzen und sprach in Gegenwart der drei Herren oft sehr abfällig über den Statthalter. Oft genug warnte ich ihn vor seinen unüberlegten Äußerungen. Ich bat meinen Liebsten, er möge ein wenig Diplomatie an den Tag legen. Jedoch vergeblich, mein Franz konnte nicht anders. Er sagte alles immer offen hinaus. So meinte er eines Tages in Anwesenheit seiner sogenannten Freunde, dass ihm der Statthalter aufsitze und er es bitter bereue, dem Drängen des Grafen C. nachgegeben und seine schöne Stellung im Ministerium in Wien aufgegeben zu haben. Nicht nur in Mürzzuschlag, sondern auch in Graz bei der Statthalterei neideten ihm so manche Wichtigtuer seine Anstellung als erster Bezirkshauptmann von Mürzzuschlag. Dass sich so manche Frau, auch wenn sie bereits vergeben war, nach dem jungen, schönen Menschen umdrehte, passte den Männern ebenso wenig wie seine liebgewonnene Gewohnheit, stolz durch den Ort zu spazieren, um nach dem Rechten zu sehen. Etliche Schurken fühlten sich beobachtet und kontrolliert in ihrem Treiben. Dann kamen die „Nordischen Spiele“, eine ganz gute Idee des Besitzers des Hotels „Zur Post“, um sein Haus zu füllen. Mein Mann wurde zum Präsidenten gewählt und bei einer Versammlung beging er die Unvorsichtigkeit, den Schriftführer des Mürzzuschlager Wochenblattes zu beschimpfen. Der Kerl war zu feige, offen gegen meinen Mann aufzutreten, und wühlte nun im Geheimen. Am Tage des Festes bat mein Mann den Bürgermeister, seines Zeichens ein Schuster, wenigstens eine schwarz-gelbe Fahne statt der allgemeinen Trikoloren zu hissen. Der Herr Bürgermeister, der stets zu liebenswürdig war, um ernst genommen zu werden, und der seine sehr mangelhafte Bildung hinter dieser Liebenswürdigkeit zu verstecken trachtete, wollte es sich natürlich mit niemandem verderben. Nach vielem Hin und Her kam dann wirklich eine schwarz-gelbe Fahne auf den Festplatz. Die Veranstaltung wurde zum großen Erfolg für alle Beteiligten, ich hatte die Ehre, den Gewinnern die Medaille zu überreichen. Kurze Zeit danach wurde mein Mann zum Statthalter befohlen! Ein böser Tag, mein Franz war über diese Fahrt nach Graz sehr unglücklich. Der Statthalter empfahl meinem Mann, einer Versetzung zuzustimmen. Mehrere Abgeordnete hätten sich wiederholt über ihn beklagt, er gebe zu viel auf Popularität. Mit gewissen Aktionen schade er direkt der deutschen Partei. Nur denke ich, das war ja doch eigentlich der Zweck der Übung? Über seine Amtsführung konnte er allerdings nur Vorzügliches berichten. Der Statthalter hatte panische Angst, dass sich die so „wichtigen“ Abgeordneten in der Folge beim Minister beschweren würden, was wiederum für diesen selbst unangenehm wäre, da er sich seinerzeit für meinen Mann eingesetzt hatte. Sehr unangenehm für einen Statthalter, der es sehr nötig hat, Statthalter zu sein! Franz kam in einer nicht wiederzugebenden Stimmung nach Hause. Also dies war der Dank für seine immense Mühe, für die anstrengende Arbeit und für die Gewissenhaftigkeit, mit der er diese Musterbezirkshauptmannschaft eingerichtet hatte. Mein Liebster litt unsagbar, ich war empört über diese Art, einen pflichttreuen Beamten unmöglich zu machen, und zermarterte mir den Kopf, wie ich helfen konnte, meinem Schatz Genugtuung zu verschaffen und dem Herrn Statthalter einen „Tebscher“ – wie der Wiener sagt – zu versetzen.
Meine Idee, den Bürgermeister bei seiner Eitelkeit zu fassen, sodass er mir als Werkzeug diene, erwies sich als goldrichtig. Solche Leute spielen ja so gerne ein kleines, feines Röllchen. Ich ging also zu besagtem Herrn und erzählte ihm die Geschichte und meinte, jetzt wäre so eine günstige Gelegenheit, dem Bezirkshauptmann seine Freundschaft zu zeigen. Natürlich fühlte sich der gute Herr geschmeichelt, dass ich mit einer Bitte vorsprach. Ob mein Mann davon wusste? … Was denkst du? Selbstverständlich kannte mein Mann mein Vorhaben, wollte jedoch so tun, als handle ich ohne sein Wissen. Der Bürgermeister besprach sich mit dem Obmann der Bezirksvertretung, einem wackeren Mann, diese beriefen eine Versammlung der Gemeindevertreter ein und nachmittags kamen die beiden Herren zu meinem Mann und sagten, sie hätten gehört, dass sich zwei Abgeordnete über ihn beim Statthalter beschwert haben und man ihm nahegelegt habe, sich um eine Versetzung zu bemühen. Sie hätten bereits an den Statthalter telegrafiert und würden nach Graz fahren, um im Namen des ganzen Mürztales zu berichten, dass sie ihren verehrten Bezirkshauptmann behalten wollen. Im Zuge ihres Besuches würden sie die Unwahrheiten, die über den Bezirkshauptmann verbreitet wurden, restlos aufklären. Wie mein Mann darauf reagiert hat? … Er war glückselig und hat geweint, denn die Anhänglichkeit seiner geliebten Mürzzuschlager ging ihm sehr nahe. Und ich? … Ich saß stumm in einer Ecke und beobachtete zufrieden die Situation. Die Marionetten tanzten wunderbar, die Komödie kam glatt heraus! Abends war dann eine geheime Sitzung und ein diskretes Schreiben des Bürgermeisters unterrichtete meinen Mann davon, dass seine „Mitbürger, die ehrenwerten Männer“, wie Marc Anton sagt, einstimmig für die Fahrt nach Graz gestimmt hatten. Außerordentlich wurden die Herren von Sr. Exzellenz empfangen. Sr. Exzellenz lieben es gar sehr, sich populär zu machen, aber nur Sr. Exzellenz dürfen populär sein. Der Statthalter freute sich wirklich von ganzem Herzen, dass „seine lieben Mürztaler“ so brav für ihren Bezirkshauptmann eintraten. Gewiss, gewiss, er solle nur bleiben, sollte mit seiner hohen Unterstützung noch viel Schönes und Gutes für seinen Bezirk tun. Er habe ja allerdings meinen Mann dort nicht hingebracht und er müsse jede Verantwortung ablehnen! In Wirklichkeit war seine Exzellenz sehr wohl oftmals bei meinem Mann gewesen, um ihn zu bitten, in Mürzzuschlag der erste Bezirkshauptmann zu werden. „Wie ist denn die Frau vom Bezirkshauptmann?“, geruhte seine Exzellenz den Bürgermeister zu fragen. „Man hört so dunkle Sachen!“, fügte der Statthalter hinter vorgehaltener Hand hinzu. Der Bürgermeister sprach nur Gutes: „Oh, wir verehren sie alle, sie tut viel für die Armen und die Herrschaften leben außerordentlich glücklich. Man sagt ja so viel, Exzellenz, aber man beweist nie etwas!“ Später meinte sogar der Minister, dass die Äußerung des Statthalters eine bodenlose Frechheit gewesen sei. Beim Fest am Semmering hatte ich die „hohe Ehre“, außerordentlich freundlich von seiner Exzellenz, dem Herrn Statthalter, angesprochen zu werden. Ich hatte auch diesmal die gleiche Frage zu beantworten: „Haben Sie sich in Mürzzuschlag schon eingewöhnt?“ Warte mal, ich muss kurz nachdenken, was ich darauf geantwortet habe. Auf jeden Fall habe ich mir die Nase gepudert und dann ein wenig überschwänglich gemeint: „Natürlich. Nun hoffe ich, dass sich die Mürzzuschlager auch an eine außergewöhnliche Frau wie mich gewöhnen!“ Weißt du, die Hoffnung birgt auch immer etwas Angst in sich. So hatte ich damals oft das Gefühl, dass die einfachen Leute in Mürzzuschlag Angst davor hatten, in meiner Gesellschaft zu sein, weil ich ihnen ja in vielen Dingen voraus, um nicht zu sagen überlegen war. Damit meine ich halt auch die Lebenserfahrung, die ich mit meinen jungen Jahren bereits mitbrachte. Meine aufregende Vergangenheit mit all ihren Begebenheiten, die manch einem sein ganzes Leben nicht widerfahren. Verstehst du, was ich damit meine?
Gewiss, deine Frage ist ganz berechtigt. Mein geliebter Mann kannte natürlich meine Vergangenheit. Was sollte ich