Die schwarze Baronin. Franz Preitler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Preitler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701179749
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Du kennst die Geschichte, ja? Genau die, die mich unschuldig ins Gefängnis brachte. Gebrochen an Leib und Seele wusste ich, dass ich das Opfer einer politischen Intrige war. Zu vier Monaten Gefängnis wurde ich verurteilt für eine Schuld, die andere auf sich geladen hatten, meine Untersuchungshaft ist mir dabei nicht angerechnet worden. Sie haben es gewagt, mich unschuldig einzusperren und vom Licht der Sonne und vom Glanz des Mondes auszuschließen. Ich allein kenne die Wahrheit, verstehst du? Die bittere Wahrheit! Schau in mein Gesicht und du wirst sehen, wie müde ich geworden bin. Nachts schlafe ich schlecht. Und schließe ich die Augen, bilde ich mir ein, immer noch in Haft zu sein. Ich habe bereits die Jahre zuvor viel gelitten, nach dem schrecklichen Vorfall wurde alles noch schlimmer. Schonungslos hat sich die Hölle aufgetan und versucht, mich zu verschlingen. Mein bitterer Kampf war hart, aber nicht aussichtslos. Die Enttäuschung hätte mich fast um den Verstand gebracht. Sogar im Irrenhaus bin ich gelandet. Das war enorm demütigend, entwürdigend. Ich verlangte weder Mitleid noch Hilfe und trotzdem standen sehr viele Leute auf meiner Seite. Sie waren nicht nur von meiner Unschuld überzeugt, sondern kämpften sogar um mich. Verstehst du? Im Unterschied zu meinem Mann, der viel zu schwach dafür war. So gut er auch sonst gewesen sein mag. Ob ich dir ein Foto von ihm zeigen kann? … Gerne, warte einen Moment, ich suche gleich in meiner Handtasche, denn ich trage stets ein Bild von ihm mit mir. Dumm, ich weiß. Aber ich kann nicht anders. Hier ist das Bild, schau, das ist er. Siehst du diese Augen? Sie lachen unschuldig und rein. Ja, so war er, unerfahren und treuherzig. Ich fragte mich: Wie kann ein so schöner, stattlicher junger Mann, der mitten im Leben steht, derart vertrauensselig sein? Er war ein Mensch, der ständig mit der Welt Frieden halten musste, um in seiner Seele Ordnung zu schaffen. Was los ist? … Entschuldige, gib mir eine Minute, ich muss die Tränen aus meinen Augen wischen. Siehst du, ich bin noch immer nicht über das Furchtbarste hinweg – wie stark doch die Toten sind. Eines Tages tauchen sie wieder auf, vielleicht ist gerade heute so ein Tag. Es gab kein Wort des Abschieds und ich hatte keine Chance, mit ihm über all das zu reden, was zwischen uns stand! Ob ich vergessen kann? … Nein, auch nach den vielen Jahren nicht. Wie? … Die Zeit heilt alle Wunden? … Das sagt sich so einfach. Ich habe meinen Franz über alles geliebt. Manchmal denke ich, ich liebe ihn noch immer. Besser gesagt, ich werde diesen Mann mein Leben lang lieben. Es gibt Wunden, die nicht einmal die Zeit heilt. Das weiß ich. Warum? … So etwas spürt man einfach. Du kennst mich ja und weißt, dass ich eine Frau mit besonderer Moral bin und nach dem Prinzip erzogen wurde, dass man sich durchs Leben schlagen muss. Keine Dahergelaufene, wie es sie überall zuhauf gibt. Mein Leben war davon bestimmt, dass ich aus jeder Situation etwas gemacht habe. Dazu bedarf es einer besonderen Kraft und Disziplin. Ich war nie ein schwacher Mensch, im Gegenteil. Andere haben von meiner Kraft profitiert und meine Energie in sich aufgesogen. Mein einziger Fehler ist, dass ich ohne Liebe nicht leben kann. Es ist schwer, das alles zu erklären. Sagen wir es einmal so: Die Männer wussten das gekonnt auszunutzen. Das ist wie mit den Misteln und dem Baum. Plötzlich hast du einen Mann an deiner Seite und im Handumdrehen befindest du dich in einer Beziehung. Ich denke, eine Beziehung zwischen Mann und Frau ist immer etwas Bindendes. Etwas, das Körper und Seele zweier Menschen verknüpft. Noch viel mehr, wenn er dein Ehemann ist. Die Ehe ist für mich etwas Heiliges. Das hat mir meine Mutter immer gepredigt; und dass man sich als Ehefrau glücklich schätzen muss und für die Liebe des Mannes stets dankbar sein sollte. Ja, das hat sie mich gelehrt – und glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Schau mich bitte nicht so an! Natürlich hast du recht, ich selbst bin heute eine zutiefst unglückliche Frau, die elend zugrunde gehen muss, weil ihr Horizont größer ist als eine Mürzzuschlager Waschschüssel. Ich führe einen harten Kampf, das Wissen um meine Schuldlosigkeit gibt mir Kraft und Mut. Die tausend Beweise für echte Anteilnahme heben meinen tieftraurigen Seelenzustand. Bin ich eine Durchschnittsfrau?

      Es war stets mein innigster Wunsch, alle nur erdenkbaren menschlichen Facetten im Namen der Liebe auszukosten. Ich persönlich neige dazu die Liebe als das fünfte Element nach Feuer, Luft, Erde und Wasser zu bezeichnen. Sie ist mystisch und allumfassend und alleine deshalb eben musste ich für so manchen eine Hochstaplerin sein, wenngleich sich damals trotz aller Aufrufe während der fünf Monate kein Einziger der von mir angeblich Geschädigten meldete! Du kannst dir wohl vorstellen, in welcher inneren Verfassung ich mich noch immer befinde. Aber die wahnsinnige Empörung über das mir zugefügte Unrecht, das eine ganze Familie ins tiefste Unglück brachte, hat mich auch körperlich mitgenommen. Sieh mich bloß an. Ich habe eine schwere Krankheit mit Mühe überstanden. Und über die Behandlung während meiner Haft erzähle ich dir später noch ausführlich, es wird dich erschüttern!

      Wenn ich an all die Zerrbilder denke, die man von mir entworfen hat, steigt Bitterkeit in mir auf. Man glaubt in mir so eine Art Flittchen sehen zu müssen, die sich um kurzer Genussstunden willen, die sich dafür, dass sie sich mit Prunk umgeben kann, dem Meistbietenden in die Arme wirft. Die Welt denkt, ich sei eine verblühte Frau, der der einst farbenprächtige Staub ihrer Schmetterlingsnatur fortgeweht ist, die sich um jeden Preis eine sorgenlose Existenz schaffen wollte. Ich bin jedoch eine tiefernste Natur! Der stete Kampf gegen mein Schicksal, dieses Sich-unausgesetzt-in-Notwehr-Befinden, hat mir Mut und Energie gegeben – und eine große Rücksichtslosigkeit. Mein ganzes Leben war ja ein einziges Sich-Aufopfern für andere und so mag es sein, dass Gott mich genau dafür auch noch bestrafte. Wieso? … Weil ich ständig meine eigenen Bedürfnisse zurückstellte, Sinn und Zweck meines Lebens allein darin sah, andere Menschen glücklich zu machen. Glaubst du mir nicht? Nein, nicht aus Liebe alleine, nicht aus kleinlichem Selbsterhaltungstriebe heiratete ich mehrmals. Sondern aus dem Gefühl heraus, einem Menschen etwas sein, ihm eine Heimat geben zu können, die ich auch selbst so sehnsüchtig erhoffte. Es kam mir so erhaben vor, sich selbst in der Sorge um einen anderen zu vergessen. Wenn ich dann einsehen musste, dass der Mann sich nicht einmal die geringste Mühe gab, mein Seelenleben zu verstehen, sondern mich nur seine Wirtschafterin sein ließ, die geistig neben ihm darben sollte, wenn dann noch die Erkenntnis dazukam, dass der Mann durch und durch schlecht und gemein war, dann war meines Bleibens nicht länger. Ich ging wieder hinaus in die Welt und nahm den Kampf mit dem Leben mutig auf. Allemal aber ging ich bettelarm fort – betrogen und belogen, in den heiligsten Gefühlen misshandelt! Wie? … Die Geschichte meiner vier Ehen zuvor willst du wissen? Ach, wie schwer es ist zu leben. Jetzt soll ich das Ganze wieder aufwühlen? Na gut, ich will es für dich tun, auch wenn es mich enorme Kraft kostet. Hast du denn überhaupt so viel Zeit?

      Ich war kaum siebzehn Jahre alt, als ich Herrn Kunz in Berlin heiratete. Einen sehr gut aussehenden, stattlichen Mann. Ich wusste nichts vom Leben, nicht einmal einen Ball hatte ich bis dato besucht; meine Mutter führte ein einsames Dasein, nachdem ihr einziger Sohn im Duell gefallen war. Niemand kam in unser Haus. Ich war von Kindheit an von einem glühenden Wissensdurst beseelt und meine kluge, hochintelligente Mutter half mir, diesen zu befriedigen. Dann heiratete ich diesen Agenten, hatte eine entzückende Wohnung – aber keinen richtigen Mann. Ich war zu unerfahren, um das zu verstehen, wunderte mich aber, dass der Herr die wunderschönsten Stickereien anfertigte und mir ständig die Haare machen wollte. Er hatte in seiner ganzen Art etwas Weibliches und war mir also kein Ehemann. Ich wartete wohl auf etwas, gab mich jedoch mit der Zeit auch ohne dieses Etwas zufrieden. Schon nach wenigen Tagen unserer Ehe, wenn man dieses Zusammensein so nennen kann, blieb mein Mann Tage und Nächte aus, ohne dass ich wusste, wo er sich befand. Er verreiste für lange Zeit, ohne mir auch nur einen einzigen Brief zu schreiben, ohne dass ich seinen Aufenthaltsort kannte. Eines schönen Tages erfuhr ich das Schreckliche. Er war ein Säufer, ein Spieler, hatte Wechsel gefälscht, Unterschlagungen gemacht und sollte verhaftet werden. Du kannst dir wohl vorstellen, was ich durchmachte. Es brauchte übermenschliche Kraft, all das zu verstehen. In meiner Gutgläubigkeit gab ich ihm alles, was ich besaß, und verhalf ihm zu seiner Flucht nach Amerika, deckte mit dem Letzten seine Schulden und Fälschungen – er versprach mir, im Gegenzug dafür ein neues Leben anzufangen. Sobald alles in geordneten Bahnen verlaufe, so seine Worte, werde er mich nach Amerika nachholen. Vielleicht hätte ich nicht so gelitten, wenn ich ihn gleich losgelassen hätte. Doch ich wartete und wartete auf seine Nachricht, bis ich einsehen musste, dass er mich betrogen hatte. Was weiter aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Erst bei meiner Verhandlung in Leoben vernahm ich, dass er gestorben sei.

      Ich mietete mir dann damals ein kleines Zimmer und fristete mithilfe kunstvoller Handarbeit mein Leben, bis ich als Gesellschafterin einer Dame eine Stellung fand. Bei dieser Dame zu Hause war alles ein wenig anders als