Seewölfe Paket 17. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397754
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hatte, also um acht Uhr abends.

      Er legte sich auf die linke Seite und achtete sorgfältig darauf, nicht das leiseste Geräusch zu verursachen. Garantiert hatten die Posten Order, auf keinen Fall einzuschlafen, bei höchster Strafandrohung. Und ebenso sicher war, daß sie aus Angst vor einer jederzeit möglichen Kontrolle tatsächlich wach blieben.

      Die Fesseln waren straff und boten kaum Spielraum. Hasard hatte jedoch in den letzten Stunden immer wieder die Arme gegeneinander bewegt, so daß die Stränge immerhin etwas lockerer geworden waren. Behutsam zog er das rechte Handgelenk so weit zurück, daß er mit den Fingerspitzen unter den linken Jackenärmel fassen und ihn hochschieben konnte.

      Zum Glück waren sie nicht auf die Idee verfallen, ihm die Fesseln über dem Ärmelstoff anzulegen.

      Er verharrte minutenlang und horchte angestrengt. Aber von dem Posten war kein verdächtiger Laut zu hören.

      Hasard setzte seine Arbeit fort. Er ertastete die Naht, die Will Thorne mit nur wenigen Stichen so angelegt hatte, daß sie sich ohne große Mühe leicht aufziehen ließ. Minuten später fühlte Hasard den kühlen Griff des Stiletts. Er zog es hervor, Stück für Stück, immer weiter, bis er es sicher zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger hielt. Wenn er es verlor, wenn es zu Boden klirrte, konnte alles vorbei sein.

      Er schaffte es, bekam die Klinge frei und drehte das Stilett in den Fingern. Vorsichtig setzte er die rasiermesserscharfe Schneide an. Die ersten Hanffasern begannen zu zerplatzen. Es ließ sich nicht vermeiden, daß sein linker Handballen von der Schneide angekratzt wurde. Hasard spürte das Blut, das ihm über das Handgelenk rann. Es war das kleinere Übel, etwas, das sich mit Leichtigkeit ertragen ließ.

      Endlich, nach langen Minuten, fielen die Fesseln.

      Aufatmend hielt der Seewolf inne und lauschte wieder. Doch nichts rührte sich draußen vor dem Schott. Er setzte sich auf, brachte die Arme nach vorn und zertrennte die Fußfesseln mit wenigen Schnitten. Die Blutzirkulation setzte mit prickelnden Stichen wieder ein. Hasard betastete die Schnittwunde am Handballen. Sie war in der Tat nicht der Rede wert.

      Geräuschlos räumte er die zertrennten Fesseln beiseite, in die äußerste Ecke neben dem Schott. Das Stilett schob er unter den Hosenbund, für den Rest der Zeit hieß es abwarten.

      Dann, endlich, näherte sich das schon vertraute Geräusch der Schritte, die dumpf durch die unteren Decksräume klangen.

      Hasard richtete sich auf und preßte sich eng an das glitschige Holz neben dem Schott.

      Stimmengemurmel war zu hören. Das Knirschen des Riegelbalkens folgte. Leise knarrend schwang das Schott auf.

      Hasard schloß die Augen, als der Laternenschein hereinfiel. Doch nur für einen Atemzug. Dann hatte er sich an die Helligkeit gewöhnt.

      Ahnungslos traten der alte und der neue Posten ein, um die vorgeschriebene Übergabeprozedur zu vollziehen.

      Mit einer blitzschnellen Bewegung war der Seewolf bei ihnen, packte ihre Köpfe und knallte sie gegeneinander. Es gab einen trockenen Laut, und beide Männer versanken klaglos ins Land der Träume. Rechtzeitig, bevor sie zu Boden sanken, griff Hasard zu und nahm die Laterne an sich.

      Er stellte sie ab und drehte die beiden Bewußtlosen auf den Rücken. Dem größeren Mann zog er Jacke und Hose aus und streifte beides über, nachdem er seine eigenen Sachen abgelegt hatte. Dann versorgte er sich mit einem Entermesser und einer Pistole von den beiden Spaniern, nahm die Laterne und verließ die Vorpiek. Sorgfältig verriegelte er das Schott, ehe er seinen Weg durch die düsteren Decksräume fortsetzte.

      Die Bauart der spanischen Schiffe war ihm vertraut, und so hatte er keine Mühe, sich zurechtzufinden.

      Sorgsam achtete er darauf, kein verräterisches Geräusch zu verursachen, während er nach oben vordrang und schließlich einen muffigen Stauraum erreichte, der sich knapp unterhalb der Back befinden mußte. Wenn er richtig vermutete, lag das Mannschaftslogis weiter mittschiffs.

      In dem Stauraum lagerten leere Kisten und Fässer in wirrem Durcheinander. Vorsichtig schob Hasard eins der Fässer zurecht, bis er die Grätingsluke erreichen konnte. Er löschte die Laterne und ließ sie zurück.

      Atemlos horchte er, bevor er die Luke langsam nach oben drückte.

      An Deck rührte sich nichts. Nur das Knarren und Ächzen von laufendem und stehendem Gut waren zu hören, dazu das Singen des Windes in Wanten und Pardunen. Hier, auf See, war der Nachthimmel klarer. Bleiches Licht von Mond und Sternen erleichterte dem Seewolf sein weiteres Vorgehen. Möglich auch, daß sich das Wetter überhaupt im Laufe des Tages aufgeklart hatte.

      Hasard sah nun, daß er jene Grätingsluke erwischt hatte, die sich zwischen der Back und der auf der Kuhl verzurrten Jolle befand. Wenn er Glück hatte, stand die Deckswache mittschiffs oder gar achtern. Notfalls mußte er sich den Weg freikämpfen.

      Abermals verharrte er regungslos, nachdem er die Luke vollends geöffnet hatte. Dann zog er sich vorsichtig höher, bis er einen Blick riskieren konnte.

      Unendliche Erleichterung befiel ihn.

      Nirgendwo in der Umgebung rührte sich etwas.

      Dennoch wahrte Hasard die nötige Vorsicht, als er sich mit einem Klimmzug hochschwang. Immerhin konnte er nicht jeden Winkel des Schiffes überblicken, und auch die Back konnte er nicht einsehen.

      Flach auf die Planken gepreßt, robbte er bis zum Niedergang, der an Steuerbord zur Back hinaufführte. Eher beiläufig stellte er fest, daß die „Santissima Madre“ unter Vollzeug lief. Rodriguez de Coria hatte es zweifellos eilig, eine möglichst große Distanz zwischen sich und die hinterpommersche Küste zu bringen. Daß er der „Isabella“ und der „Wappen von Kolberg“ nicht davonlaufen konnte, mußte er eigentlich längst begriffen haben.

      Gefahrlos erreichte der Seewolf die gähnende Leere der Back. Es stand nun endgültig fest, daß sich die Deckswache weiter achtern aufhielt. Dennoch robbte er im Sichtschutz der Balustraden, des Spills und der Nagelbänke nach vorn, damit er nicht zu guter Letzt noch bemerkt wurde.

      Er glitt hinunter zur Galion und ließ sich hinuntersinken, ohne auch nur einen Atemzug lang zu zögern.

      Das Ostseewasser umfing ihn mit eisiger Kälte. Er biß die Zähne zusammen, trat Wasser und ließ sich backbords an der Galeone entlangtreiben.

      Sekunden später war er versucht, einen Triumphschrei auszustoßen. Die Spanier führten ein zweites Beiboot mit, das an einer Leine nachgeschleppt wurde.

      Rechtzeitig zog Hasard das Entermesser, das er dem Posten abgenommen hatte. Er trieb auf das Beiboot zu und kappte das Schlepptau mit einem einzigen Hieb.

      Es war wie plötzlicher Stillstand.

      Die Galeone rauschte davon, und ihre hellen Segelflächen standen prall im Mondlicht.

      Hasard hielt sich am Dollbord fest und wartete einige Minuten. Dann, als er von der sich rasch entfernenden „Santissima Madre“ kein aufgeregtes Gebrüll hören konnte, enterte er in das Beiboot und legte die Riemen in die Dollen. Im Kielwasser der spanischen Galeone begann er, auf Gegenkurs zu pullen.

      Es war nur eine kurze Zeitspanne, die verstrich, bis er Stimmen hörte. Vertraute englische Stimmen, die ihn von der „Isabella“ aus anpreiten.

      Mit einem freudig gebrüllten „Ar – we – nack“ gab der Seewolf sich zu erkennen.

      Kurz darauf, als seine Männer ihm an Bord halfen, gab es niemanden mehr, der noch die Koje abhorchte.

      „Himmel, Arsch und Zwiebelsuppe!“ brüllte Ed Carberry begeistert und hieb ihm die Pranke auf die Schulter, daß Hasard fast in die Knie ging. „Da wird man fast verrückt vor Sorge, da wälzt man Pläne, wie man ihn herauspauken kann – und was treibt dieser Himmelhund von einem Kapitän? Schleicht den Dons heimlich davon, ohne uns vorher zu fragen!“

      Das Gelächter der Männer hallte über die Decks. All ihre Erleichterung klang heraus, denn die Anspannung hatte an ihnen allen genagt. Und niemand hatte recht zur Ruhe finden können.